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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Der Sultan.
standen werden muß, Selim III., beschäftigte sich in
seiner Gefangenschaft, während draußen Mustapha
IV. herrschte, dem jüngern Bruder des Sultans, sei¬
nem Neffen, Unterricht zu geben. Er lehrte ihn tür¬
kisch und arabisch; doch blieb Mahmuds Bildung im¬
mer nur äußerlich. Er warf sich zuletzt auf die Kalli¬
graphie, welche er als jene Profession treibt, die die
Sultane immer noch neben ihren Regentenpflichten
lernen müssen. Mahmud ist auf die Schnörkel seiner
schönen Handschrift so eitel, wie ein Kommis oder der
Marschall von Treviso.

Er übte sich gerade in seiner Kunst, und ertrug
unwillig die Vorwürfe Selims, der ihn zu Philoso¬
phie und Mathematik antrieb, als der Lärm eines
kriegerischen Aufstandes an sein Ohr schlug. Das
Feldgeschrei war Selim, den Taher Pascha und die
disziplinirten Truppen wieder auf den Thron setzen
wollten; aber bald erschien der zitternde Mustapha mit
seinem Oberstallmeister, und würgten den Greis, den
sie heimlich überfielen. Mahmud raffte seine Kalli¬
graphien zusammen, und versteckte sich vor dem Blut¬
durst und der Furcht seines Bruders so lange, bis
ihn die Meuterer selbst aufsuchten, und ihn an des
gefangenen Mustapha Stelle setzten.

Der Sultan.
ſtanden werden muß, Selim III., beſchaͤftigte ſich in
ſeiner Gefangenſchaft, waͤhrend draußen Muſtapha
IV. herrſchte, dem juͤngern Bruder des Sultans, ſei¬
nem Neffen, Unterricht zu geben. Er lehrte ihn tuͤr¬
kiſch und arabiſch; doch blieb Mahmuds Bildung im¬
mer nur aͤußerlich. Er warf ſich zuletzt auf die Kalli¬
graphie, welche er als jene Profeſſion treibt, die die
Sultane immer noch neben ihren Regentenpflichten
lernen muͤſſen. Mahmud iſt auf die Schnoͤrkel ſeiner
ſchoͤnen Handſchrift ſo eitel, wie ein Kommis oder der
Marſchall von Treviſo.

Er uͤbte ſich gerade in ſeiner Kunſt, und ertrug
unwillig die Vorwuͤrfe Selims, der ihn zu Philoſo¬
phie und Mathematik antrieb, als der Laͤrm eines
kriegeriſchen Aufſtandes an ſein Ohr ſchlug. Das
Feldgeſchrei war Selim, den Taher Paſcha und die
disziplinirten Truppen wieder auf den Thron ſetzen
wollten; aber bald erſchien der zitternde Muſtapha mit
ſeinem Oberſtallmeiſter, und wuͤrgten den Greis, den
ſie heimlich uͤberfielen. Mahmud raffte ſeine Kalli¬
graphien zuſammen, und verſteckte ſich vor dem Blut¬
durſt und der Furcht ſeines Bruders ſo lange, bis
ihn die Meuterer ſelbſt aufſuchten, und ihn an des
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[317/0335] Der Sultan. ſtanden werden muß, Selim III., beſchaͤftigte ſich in ſeiner Gefangenſchaft, waͤhrend draußen Muſtapha IV. herrſchte, dem juͤngern Bruder des Sultans, ſei¬ nem Neffen, Unterricht zu geben. Er lehrte ihn tuͤr¬ kiſch und arabiſch; doch blieb Mahmuds Bildung im¬ mer nur aͤußerlich. Er warf ſich zuletzt auf die Kalli¬ graphie, welche er als jene Profeſſion treibt, die die Sultane immer noch neben ihren Regentenpflichten lernen muͤſſen. Mahmud iſt auf die Schnoͤrkel ſeiner ſchoͤnen Handſchrift ſo eitel, wie ein Kommis oder der Marſchall von Treviſo. Er uͤbte ſich gerade in ſeiner Kunſt, und ertrug unwillig die Vorwuͤrfe Selims, der ihn zu Philoſo¬ phie und Mathematik antrieb, als der Laͤrm eines kriegeriſchen Aufſtandes an ſein Ohr ſchlug. Das Feldgeſchrei war Selim, den Taher Paſcha und die disziplinirten Truppen wieder auf den Thron ſetzen wollten; aber bald erſchien der zitternde Muſtapha mit ſeinem Oberſtallmeiſter, und wuͤrgten den Greis, den ſie heimlich uͤberfielen. Mahmud raffte ſeine Kalli¬ graphien zuſammen, und verſteckte ſich vor dem Blut¬ durſt und der Furcht ſeines Bruders ſo lange, bis ihn die Meuterer ſelbſt aufſuchten, und ihn an des gefangenen Muſtapha Stelle ſetzten.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/335>, abgerufen am 21.11.2024.