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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Der Sultan.
chen. Durch Ränke würde er vielleicht auch die Eu¬
ropäer besiegt haben, wenn diese ihre diplomatischen
Anträge durch Demonstrationen a la Navarin nicht
unterstützt hätten. Die europäische Einmischung war
jetzt keine Drohung mehr; die Russen verlangten den
Vollzug des Friedens von Bucharest und die Räu¬
mung der Fürstenthümer; ein Vernichtungskrieg war
die Folge der Weigerung. Die Riegel und Pfosten
der Pforte stürzten ein, und was hätte gehindert, daß
nicht aufs Neue das Kreuz die Kuppel der Sophia¬
kirche beherrschte?

Der Kern der türkischen Macht, die Janitscharen
waren nicht mehr. Drei Jahre vorher hatte sie Mah¬
mud abschlachten lassen, nicht nach einem angelegten
Plane, wie man wohl irrig glaubt, sondern in Folge
einer benutzten Gunst des Augenblicks. Es war nur
dis, daß der Sultan einen gewonnenen Erfolg konse¬
quent durchführte. Er verbrannte die Kasernen, gab
keinen Pardon und rettete sich selbst vor einer Macht,
die später den Staat hätte retten können. Jetzt ist
Mahmud der Schatte vom Schatten Gottes, er ist
der Federball der Intrigue zwischen dreien Kabineten;
wollte er auch seine Statthalter, welche sich emanci¬

Der Sultan.
chen. Durch Raͤnke wuͤrde er vielleicht auch die Eu¬
ropaͤer beſiegt haben, wenn dieſe ihre diplomatiſchen
Antraͤge durch Demonſtrationen à la Navarin nicht
unterſtuͤtzt haͤtten. Die europaͤiſche Einmiſchung war
jetzt keine Drohung mehr; die Ruſſen verlangten den
Vollzug des Friedens von Buchareſt und die Raͤu¬
mung der Fuͤrſtenthuͤmer; ein Vernichtungskrieg war
die Folge der Weigerung. Die Riegel und Pfoſten
der Pforte ſtuͤrzten ein, und was haͤtte gehindert, daß
nicht aufs Neue das Kreuz die Kuppel der Sophia¬
kirche beherrſchte?

Der Kern der tuͤrkiſchen Macht, die Janitſcharen
waren nicht mehr. Drei Jahre vorher hatte ſie Mah¬
mud abſchlachten laſſen, nicht nach einem angelegten
Plane, wie man wohl irrig glaubt, ſondern in Folge
einer benutzten Gunſt des Augenblicks. Es war nur
dis, daß der Sultan einen gewonnenen Erfolg konſe¬
quent durchfuͤhrte. Er verbrannte die Kaſernen, gab
keinen Pardon und rettete ſich ſelbſt vor einer Macht,
die ſpaͤter den Staat haͤtte retten koͤnnen. Jetzt iſt
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[324/0342] Der Sultan. chen. Durch Raͤnke wuͤrde er vielleicht auch die Eu¬ ropaͤer beſiegt haben, wenn dieſe ihre diplomatiſchen Antraͤge durch Demonſtrationen à la Navarin nicht unterſtuͤtzt haͤtten. Die europaͤiſche Einmiſchung war jetzt keine Drohung mehr; die Ruſſen verlangten den Vollzug des Friedens von Buchareſt und die Raͤu¬ mung der Fuͤrſtenthuͤmer; ein Vernichtungskrieg war die Folge der Weigerung. Die Riegel und Pfoſten der Pforte ſtuͤrzten ein, und was haͤtte gehindert, daß nicht aufs Neue das Kreuz die Kuppel der Sophia¬ kirche beherrſchte? Der Kern der tuͤrkiſchen Macht, die Janitſcharen waren nicht mehr. Drei Jahre vorher hatte ſie Mah¬ mud abſchlachten laſſen, nicht nach einem angelegten Plane, wie man wohl irrig glaubt, ſondern in Folge einer benutzten Gunſt des Augenblicks. Es war nur dis, daß der Sultan einen gewonnenen Erfolg konſe¬ quent durchfuͤhrte. Er verbrannte die Kaſernen, gab keinen Pardon und rettete ſich ſelbſt vor einer Macht, die ſpaͤter den Staat haͤtte retten koͤnnen. Jetzt iſt Mahmud der Schatte vom Schatten Gottes, er iſt der Federball der Intrigue zwiſchen dreien Kabineten; wollte er auch ſeine Statthalter, welche ſich emanci¬

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/342>, abgerufen am 21.11.2024.