Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Talleyrand. auf, und zwang sie, in das Gleis des alten betrü¬gerischen Herkommens zurückzukehren. Aus der Völker¬ freiheit machte er Fragen des Gebiets und des Gleich¬ gewichts, wie Belgien zur Genüge beweist. Er be¬ treibt die Verwicklungen des Orients mit Vorliebe, weil sie eine Frage der Suprematie sind, eines alten Begriffes, dem die Völker nicht mehr aufgeopfert sein wollen, und weil ihm nichts passender scheint, um Oest¬ reich von der nordischen Allianz abzuziehen. Talleyrand würde im Sinne der alten Balance sein Meisterstück erreichen, wenn er Oestreich vermögen könnte, wieder seiner alten englischen Politik nachzugeben. Talleyrand arbeitet an etwas Unmöglichem. Die feinste Kombina¬ tion der Diplomatie zerstört in unserm Zeitalter ein Augenblick. Unsre jetzige Periode der Legationssekretaire kann nicht lange dauern; denn die alten Kunstgriffe, diese zierlichen Fechterstücke der Parade, hauen ja doch, wie Menzel sagt, die Riesen durch. Frankreich beklagt nicht mit Unrecht, daß Talleyrand sein Vaterland an England verräth. Denn welchen Vortheil zog es bis jetzt aus seiner Politik? Es hat Ehre genug, "den Frieden um jeden Preis" keinen Vortheil zu nennen. Talleyrands Politik ist ein leeres Würfelspiel. Er spielt mit den Mächten, wer die meisten Augen hat; aber 2 **
Talleyrand. auf, und zwang ſie, in das Gleis des alten betruͤ¬geriſchen Herkommens zuruͤckzukehren. Aus der Voͤlker¬ freiheit machte er Fragen des Gebiets und des Gleich¬ gewichts, wie Belgien zur Genuͤge beweiſt. Er be¬ treibt die Verwicklungen des Orients mit Vorliebe, weil ſie eine Frage der Suprematie ſind, eines alten Begriffes, dem die Voͤlker nicht mehr aufgeopfert ſein wollen, und weil ihm nichts paſſender ſcheint, um Oeſt¬ reich von der nordiſchen Allianz abzuziehen. Talleyrand wuͤrde im Sinne der alten Balance ſein Meiſterſtuͤck erreichen, wenn er Oeſtreich vermoͤgen koͤnnte, wieder ſeiner alten engliſchen Politik nachzugeben. Talleyrand arbeitet an etwas Unmoͤglichem. Die feinſte Kombina¬ tion der Diplomatie zerſtoͤrt in unſerm Zeitalter ein Augenblick. Unſre jetzige Periode der Legationsſekretaire kann nicht lange dauern; denn die alten Kunſtgriffe, dieſe zierlichen Fechterſtuͤcke der Parade, hauen ja doch, wie Menzel ſagt, die Rieſen durch. Frankreich beklagt nicht mit Unrecht, daß Talleyrand ſein Vaterland an England verraͤth. Denn welchen Vortheil zog es bis jetzt aus ſeiner Politik? Es hat Ehre genug, „den Frieden um jeden Preis“ keinen Vortheil zu nennen. Talleyrands Politik iſt ein leeres Wuͤrfelſpiel. Er ſpielt mit den Maͤchten, wer die meiſten Augen hat; aber 2 **
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Talleyrand.
auf, und zwang ſie, in das Gleis des alten betruͤ¬
geriſchen Herkommens zuruͤckzukehren. Aus der Voͤlker¬
freiheit machte er Fragen des Gebiets und des Gleich¬
gewichts, wie Belgien zur Genuͤge beweiſt. Er be¬
treibt die Verwicklungen des Orients mit Vorliebe,
weil ſie eine Frage der Suprematie ſind, eines alten
Begriffes, dem die Voͤlker nicht mehr aufgeopfert ſein
wollen, und weil ihm nichts paſſender ſcheint, um Oeſt¬
reich von der nordiſchen Allianz abzuziehen. Talleyrand
wuͤrde im Sinne der alten Balance ſein Meiſterſtuͤck
erreichen, wenn er Oeſtreich vermoͤgen koͤnnte, wieder
ſeiner alten engliſchen Politik nachzugeben. Talleyrand
arbeitet an etwas Unmoͤglichem. Die feinſte Kombina¬
tion der Diplomatie zerſtoͤrt in unſerm Zeitalter ein
Augenblick. Unſre jetzige Periode der Legationsſekretaire
kann nicht lange dauern; denn die alten Kunſtgriffe,
dieſe zierlichen Fechterſtuͤcke der Parade, hauen ja doch,
wie Menzel ſagt, die Rieſen durch. Frankreich beklagt
nicht mit Unrecht, daß Talleyrand ſein Vaterland an
England verraͤth. Denn welchen Vortheil zog es bis
jetzt aus ſeiner Politik? Es hat Ehre genug, „den
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Talleyrands Politik iſt ein leeres Wuͤrfelſpiel. Er ſpielt
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