Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Talleyrand. glaublich zu machen. Doch müssen diese Dinge sichanders verhalten, denn die Lage der pyrenäischen Halb¬ insel war keine solche, die erst über Nacht entstand; sie ließ sich lange vorhersehen, und die Diplomatie mußte auf das Kommende gefaßt sein. Das Intervenstion¬ recht, welches dieser Allianz zum Grunde liegt, scheint vielmehr das Tageslicht etwas gescheut zu haben, und nahm, um sich besser verantworten zu lassen, den Deckmantel einer Intrigue vor, da es doch im Grunde nichts Anderes war, als eine in London getroffene Ver¬ abredung. Wir können diese Darstellung nicht verlassen, ohne noch zum Schluß die Frage auszuwerfen, ob Tal¬ leyrand sich noch in dem Bereiche der Territorial- und Gleichgewichtsinteressenpolitik bewegt, oder ob er es an¬ erkannt hat, daß die völkerrechtlichen Beziehungen sich immer mehr auf Trutz und Schutz für die beiden Sy¬ steme des Stillstandes oder der Bewegung herausstel¬ len? Wir bezweifeln das Letztere. Talleyrand ist nicht gewohnt, in der französischen Revolution ein Prinzip zu sehen; sie ist ihm nichts als eine Katastrophe. Tal¬ leyrands erstes Geschäft war, der Revolution von 1830 das Außerordentliche zu nehmen. Die große Um¬ wälzung, welche sich aus ihr für Frankreichs auswär¬ tige Politik hätte ergeben müssen, hielt er im Beginne Talleyrand. glaublich zu machen. Doch muͤſſen dieſe Dinge ſichanders verhalten, denn die Lage der pyrenaͤiſchen Halb¬ inſel war keine ſolche, die erſt uͤber Nacht entſtand; ſie ließ ſich lange vorherſehen, und die Diplomatie mußte auf das Kommende gefaßt ſein. Das Intervenstion¬ recht, welches dieſer Allianz zum Grunde liegt, ſcheint vielmehr das Tageslicht etwas geſcheut zu haben, und nahm, um ſich beſſer verantworten zu laſſen, den Deckmantel einer Intrigue vor, da es doch im Grunde nichts Anderes war, als eine in London getroffene Ver¬ abredung. Wir koͤnnen dieſe Darſtellung nicht verlaſſen, ohne noch zum Schluß die Frage auszuwerfen, ob Tal¬ leyrand ſich noch in dem Bereiche der Territorial- und Gleichgewichtsintereſſenpolitik bewegt, oder ob er es an¬ erkannt hat, daß die voͤlkerrechtlichen Beziehungen ſich immer mehr auf Trutz und Schutz fuͤr die beiden Sy¬ ſteme des Stillſtandes oder der Bewegung herausſtel¬ len? Wir bezweifeln das Letztere. Talleyrand iſt nicht gewohnt, in der franzoͤſiſchen Revolution ein Prinzip zu ſehen; ſie iſt ihm nichts als eine Kataſtrophe. Tal¬ leyrands erſtes Geſchaͤft war, der Revolution von 1830 das Außerordentliche zu nehmen. Die große Um¬ waͤlzung, welche ſich aus ihr fuͤr Frankreichs auswaͤr¬ tige Politik haͤtte ergeben muͤſſen, hielt er im Beginne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0042" n="24"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Talleyrand</hi>.<lb/></fw>glaublich zu machen. Doch muͤſſen dieſe Dinge ſich<lb/> anders verhalten, denn die Lage der pyrenaͤiſchen Halb¬<lb/> inſel war keine ſolche, die erſt uͤber Nacht entſtand; ſie<lb/> ließ ſich lange vorherſehen, und die Diplomatie mußte<lb/> auf das Kommende gefaßt ſein. Das Intervenstion¬<lb/> recht, welches dieſer Allianz zum Grunde liegt, ſcheint<lb/> vielmehr das Tageslicht etwas geſcheut zu haben, und<lb/> nahm, um ſich beſſer verantworten zu laſſen, den<lb/> Deckmantel einer Intrigue vor, da es doch im Grunde<lb/> nichts Anderes war, als eine in London getroffene Ver¬<lb/> abredung. Wir koͤnnen dieſe Darſtellung nicht verlaſſen,<lb/> ohne noch zum Schluß die Frage auszuwerfen, ob Tal¬<lb/> leyrand ſich noch in dem Bereiche der Territorial- und<lb/> Gleichgewichtsintereſſenpolitik bewegt, oder ob er es an¬<lb/> erkannt hat, daß die voͤlkerrechtlichen Beziehungen ſich<lb/> immer mehr auf Trutz und Schutz fuͤr die beiden Sy¬<lb/> ſteme des Stillſtandes oder der Bewegung herausſtel¬<lb/> len? Wir bezweifeln das Letztere. Talleyrand iſt nicht<lb/> gewohnt, in der franzoͤſiſchen Revolution ein Prinzip<lb/> zu ſehen; ſie iſt ihm nichts als eine Kataſtrophe. Tal¬<lb/> leyrands erſtes Geſchaͤft war, der Revolution von<lb/> 1830 das Außerordentliche zu nehmen. Die große Um¬<lb/> waͤlzung, welche ſich aus ihr fuͤr Frankreichs auswaͤr¬<lb/> tige Politik haͤtte ergeben muͤſſen, hielt er im Beginne<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0042]
Talleyrand.
glaublich zu machen. Doch muͤſſen dieſe Dinge ſich
anders verhalten, denn die Lage der pyrenaͤiſchen Halb¬
inſel war keine ſolche, die erſt uͤber Nacht entſtand; ſie
ließ ſich lange vorherſehen, und die Diplomatie mußte
auf das Kommende gefaßt ſein. Das Intervenstion¬
recht, welches dieſer Allianz zum Grunde liegt, ſcheint
vielmehr das Tageslicht etwas geſcheut zu haben, und
nahm, um ſich beſſer verantworten zu laſſen, den
Deckmantel einer Intrigue vor, da es doch im Grunde
nichts Anderes war, als eine in London getroffene Ver¬
abredung. Wir koͤnnen dieſe Darſtellung nicht verlaſſen,
ohne noch zum Schluß die Frage auszuwerfen, ob Tal¬
leyrand ſich noch in dem Bereiche der Territorial- und
Gleichgewichtsintereſſenpolitik bewegt, oder ob er es an¬
erkannt hat, daß die voͤlkerrechtlichen Beziehungen ſich
immer mehr auf Trutz und Schutz fuͤr die beiden Sy¬
ſteme des Stillſtandes oder der Bewegung herausſtel¬
len? Wir bezweifeln das Letztere. Talleyrand iſt nicht
gewohnt, in der franzoͤſiſchen Revolution ein Prinzip
zu ſehen; ſie iſt ihm nichts als eine Kataſtrophe. Tal¬
leyrands erſtes Geſchaͤft war, der Revolution von
1830 das Außerordentliche zu nehmen. Die große Um¬
waͤlzung, welche ſich aus ihr fuͤr Frankreichs auswaͤr¬
tige Politik haͤtte ergeben muͤſſen, hielt er im Beginne
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