Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Martinez de la Rosa.
Es ist wahr, David kämpfte zwar auch wie jeder Dich¬
ter mit Philistern: aber eine ganze Völkermasse von
Prosa ist leichter zu besiegen, als wenn sich die All¬
täglichkeit vereinzelt oder wohl gar die Maske der Kri¬
tik vornimmt. Kurz, einen Dichter der Vorwelt kostete
sein Ruhm keine Mühe, seine Zukunft keine Gegen¬
wart, seine Unsterblichkeit nicht, wie den Romantiker,
den Tod. Der poetische Minister Sauls durfte nur
einen Blick in die Morgenröthe werfen, einen Blick,
der ihn nichts von seinen Geschäften versäumen ließ,
und das einfache Bild, das bloße Wort reichte hin,
alles das auszudrücken, woran ein zeitgenossischer Dich¬
ter einen Tag, und Alles, was sich in einem Tage ver¬
säumen läßt, setzen muß. Dies hat unsre Zeit so mi߬
trauisch gegen Minister gemacht, welche mit dichterischen
Talenten begabt sind. Eine Ungerechtigkeit ist einge¬
rissen gegen Etwas, was sich doch mit unwiderstehli¬
chem Drange in die Seele wirft, was der schönste Be¬
gleiter einer dornenvollen Laufbahn ist, und auch einen
Minister trösten kann, nach den sauern Stunden, welche
eine Ständesitzung, ein theilnahmloser Blick des Mo¬
narchen, ein plötzliches Defizit ihn kostet. Warum soll
dem ersten Staatsmanne die aufgehende Sonne keine
Empfindung entlocken? Warum soll er kalt bleiben,

Martinez de la Roſa.
Es iſt wahr, David kaͤmpfte zwar auch wie jeder Dich¬
ter mit Philiſtern: aber eine ganze Voͤlkermaſſe von
Proſa iſt leichter zu beſiegen, als wenn ſich die All¬
taͤglichkeit vereinzelt oder wohl gar die Maske der Kri¬
tik vornimmt. Kurz, einen Dichter der Vorwelt koſtete
ſein Ruhm keine Muͤhe, ſeine Zukunft keine Gegen¬
wart, ſeine Unſterblichkeit nicht, wie den Romantiker,
den Tod. Der poetiſche Miniſter Sauls durfte nur
einen Blick in die Morgenroͤthe werfen, einen Blick,
der ihn nichts von ſeinen Geſchaͤften verſaͤumen ließ,
und das einfache Bild, das bloße Wort reichte hin,
alles das auszudruͤcken, woran ein zeitgenoſſiſcher Dich¬
ter einen Tag, und Alles, was ſich in einem Tage ver¬
ſaͤumen laͤßt, ſetzen muß. Dies hat unſre Zeit ſo mi߬
trauiſch gegen Miniſter gemacht, welche mit dichteriſchen
Talenten begabt ſind. Eine Ungerechtigkeit iſt einge¬
riſſen gegen Etwas, was ſich doch mit unwiderſtehli¬
chem Drange in die Seele wirft, was der ſchoͤnſte Be¬
gleiter einer dornenvollen Laufbahn iſt, und auch einen
Miniſter troͤſten kann, nach den ſauern Stunden, welche
eine Staͤndeſitzung, ein theilnahmloſer Blick des Mo¬
narchen, ein ploͤtzliches Defizit ihn koſtet. Warum ſoll
dem erſten Staatsmanne die aufgehende Sonne keine
Empfindung entlocken? Warum ſoll er kalt bleiben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="31"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Martinez de la Ro&#x017F;a</hi>.<lb/></fw> Es i&#x017F;t wahr, David ka&#x0364;mpfte zwar auch wie jeder Dich¬<lb/>
ter mit Phili&#x017F;tern: aber eine ganze Vo&#x0364;lkerma&#x017F;&#x017F;e von<lb/>
Pro&#x017F;a i&#x017F;t leichter zu be&#x017F;iegen, als wenn &#x017F;ich die All¬<lb/>
ta&#x0364;glichkeit vereinzelt oder wohl gar die Maske der Kri¬<lb/>
tik vornimmt. Kurz, einen Dichter der Vorwelt ko&#x017F;tete<lb/>
&#x017F;ein Ruhm keine Mu&#x0364;he, &#x017F;eine Zukunft keine Gegen¬<lb/>
wart, &#x017F;eine Un&#x017F;terblichkeit nicht, wie den Romantiker,<lb/>
den Tod. Der poeti&#x017F;che Mini&#x017F;ter Sauls durfte nur<lb/>
einen Blick in die Morgenro&#x0364;the werfen, einen Blick,<lb/>
der ihn nichts von &#x017F;einen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften ver&#x017F;a&#x0364;umen ließ,<lb/>
und das einfache Bild, das bloße Wort reichte hin,<lb/>
alles das auszudru&#x0364;cken, woran ein zeitgeno&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Dich¬<lb/>
ter einen Tag, und Alles, was &#x017F;ich in einem Tage ver¬<lb/>
&#x017F;a&#x0364;umen la&#x0364;ßt, &#x017F;etzen muß. Dies hat un&#x017F;re Zeit &#x017F;o mi߬<lb/>
traui&#x017F;ch gegen Mini&#x017F;ter gemacht, welche mit dichteri&#x017F;chen<lb/>
Talenten begabt &#x017F;ind. Eine Ungerechtigkeit i&#x017F;t einge¬<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en gegen Etwas, was &#x017F;ich doch mit unwider&#x017F;tehli¬<lb/>
chem Drange in die Seele wirft, was der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Be¬<lb/>
gleiter einer dornenvollen Laufbahn i&#x017F;t, und auch einen<lb/>
Mini&#x017F;ter tro&#x0364;&#x017F;ten kann, nach den &#x017F;auern Stunden, welche<lb/>
eine Sta&#x0364;nde&#x017F;itzung, ein theilnahmlo&#x017F;er Blick des Mo¬<lb/>
narchen, ein plo&#x0364;tzliches Defizit ihn ko&#x017F;tet. Warum &#x017F;oll<lb/>
dem er&#x017F;ten Staatsmanne die aufgehende Sonne keine<lb/>
Empfindung entlocken? Warum &#x017F;oll er kalt bleiben,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0049] Martinez de la Roſa. Es iſt wahr, David kaͤmpfte zwar auch wie jeder Dich¬ ter mit Philiſtern: aber eine ganze Voͤlkermaſſe von Proſa iſt leichter zu beſiegen, als wenn ſich die All¬ taͤglichkeit vereinzelt oder wohl gar die Maske der Kri¬ tik vornimmt. Kurz, einen Dichter der Vorwelt koſtete ſein Ruhm keine Muͤhe, ſeine Zukunft keine Gegen¬ wart, ſeine Unſterblichkeit nicht, wie den Romantiker, den Tod. Der poetiſche Miniſter Sauls durfte nur einen Blick in die Morgenroͤthe werfen, einen Blick, der ihn nichts von ſeinen Geſchaͤften verſaͤumen ließ, und das einfache Bild, das bloße Wort reichte hin, alles das auszudruͤcken, woran ein zeitgenoſſiſcher Dich¬ ter einen Tag, und Alles, was ſich in einem Tage ver¬ ſaͤumen laͤßt, ſetzen muß. Dies hat unſre Zeit ſo mi߬ trauiſch gegen Miniſter gemacht, welche mit dichteriſchen Talenten begabt ſind. Eine Ungerechtigkeit iſt einge¬ riſſen gegen Etwas, was ſich doch mit unwiderſtehli¬ chem Drange in die Seele wirft, was der ſchoͤnſte Be¬ gleiter einer dornenvollen Laufbahn iſt, und auch einen Miniſter troͤſten kann, nach den ſauern Stunden, welche eine Staͤndeſitzung, ein theilnahmloſer Blick des Mo¬ narchen, ein ploͤtzliches Defizit ihn koſtet. Warum ſoll dem erſten Staatsmanne die aufgehende Sonne keine Empfindung entlocken? Warum ſoll er kalt bleiben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/49
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/49>, abgerufen am 21.11.2024.