Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Martinez de la Rosa.
wenn die Lerche ihr Morgenlied singt? Warum soll
ihm überhaupt der Himmel verschlossen seyn? Die grau¬
samen Franzosen! Sie machen Martinez den Vor¬
wurf, daß er Dichter ist! Wir wollen, indem wir die
flüchtigen Schatten seines Lebens reißen, in ihm den
redlichen, patriotischen und talentvollen Mann erkennen
lassen. Geboren wurde Martinez de la Rosa im An¬
fang der achtziger Jahre zu Granada. Wenn Ihr den
Vorzug, Deutsche zu seyn, auf einen Moment verges¬
sen könnt, so beneidet ihn darum! Beneidet ihn um
die Olivenwälder, die am Fuße der Sierra Nevada ste¬
hen, beneidet ihn um den goldhaltigen Genil, in dem
er baden konnte, und jenen zweiten Fluß, dessen Name
mir entfiel, der aber gediegenes Silber mit seinen Wel¬
len führt! Welche zaubervolle Jugend! Die alten mau¬
rischen Sagen umflüsterten den Knaben, wenn er beim
Spiele seinen Ball in die Trümmer des Alhambra
warf. Er hörte in der wunderbaren Löwenhalle, wie
sich die großen Emire der Wüste aus dem weisheits¬
vollen Koran die Sprüche vorlesen ließen, welche an
die Mäßigung im Glück und die Barmherzigkeit des
Siegers des Paradieses schönste Freuden knüpften. Er
trank aus dem Brunnen im schweigsamen Hofe und
fühlte, wie sich frühe die Gabe der Weissagung und

Martinez de la Roſa.
wenn die Lerche ihr Morgenlied ſingt? Warum ſoll
ihm uͤberhaupt der Himmel verſchloſſen ſeyn? Die grau¬
ſamen Franzoſen! Sie machen Martinez den Vor¬
wurf, daß er Dichter iſt! Wir wollen, indem wir die
fluͤchtigen Schatten ſeines Lebens reißen, in ihm den
redlichen, patriotiſchen und talentvollen Mann erkennen
laſſen. Geboren wurde Martinez de la Roſa im An¬
fang der achtziger Jahre zu Granada. Wenn Ihr den
Vorzug, Deutſche zu ſeyn, auf einen Moment vergeſ¬
ſen koͤnnt, ſo beneidet ihn darum! Beneidet ihn um
die Olivenwaͤlder, die am Fuße der Sierra Nevada ſte¬
hen, beneidet ihn um den goldhaltigen Genil, in dem
er baden konnte, und jenen zweiten Fluß, deſſen Name
mir entfiel, der aber gediegenes Silber mit ſeinen Wel¬
len fuͤhrt! Welche zaubervolle Jugend! Die alten mau¬
riſchen Sagen umfluͤſterten den Knaben, wenn er beim
Spiele ſeinen Ball in die Truͤmmer des Alhambra
warf. Er hoͤrte in der wunderbaren Loͤwenhalle, wie
ſich die großen Emire der Wuͤſte aus dem weisheits¬
vollen Koran die Spruͤche vorleſen ließen, welche an
die Maͤßigung im Gluͤck und die Barmherzigkeit des
Siegers des Paradieſes ſchoͤnſte Freuden knuͤpften. Er
trank aus dem Brunnen im ſchweigſamen Hofe und
fuͤhlte, wie ſich fruͤhe die Gabe der Weiſſagung und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0050" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Martinez de la Ro&#x017F;a</hi>.<lb/></fw>wenn die Lerche ihr Morgenlied &#x017F;ingt? Warum &#x017F;oll<lb/>
ihm u&#x0364;berhaupt der Himmel ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn? Die grau¬<lb/>
&#x017F;amen Franzo&#x017F;en! Sie machen Martinez den Vor¬<lb/>
wurf, daß er Dichter i&#x017F;t! Wir wollen, indem wir die<lb/>
flu&#x0364;chtigen Schatten &#x017F;eines Lebens reißen, in ihm den<lb/>
redlichen, patrioti&#x017F;chen und talentvollen Mann erkennen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Geboren wurde Martinez de la Ro&#x017F;a im An¬<lb/>
fang der achtziger Jahre zu Granada. Wenn Ihr den<lb/>
Vorzug, Deut&#x017F;che zu &#x017F;eyn, auf einen Moment verge&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en ko&#x0364;nnt, &#x017F;o beneidet ihn darum! Beneidet ihn um<lb/>
die Olivenwa&#x0364;lder, die am Fuße der Sierra Nevada &#x017F;te¬<lb/>
hen, beneidet ihn um den goldhaltigen Genil, in dem<lb/>
er baden konnte, und jenen zweiten Fluß, de&#x017F;&#x017F;en Name<lb/>
mir entfiel, der aber gediegenes Silber mit &#x017F;einen Wel¬<lb/>
len fu&#x0364;hrt! Welche zaubervolle Jugend! Die alten mau¬<lb/>
ri&#x017F;chen Sagen umflu&#x0364;&#x017F;terten den Knaben, wenn er beim<lb/>
Spiele &#x017F;einen Ball in die Tru&#x0364;mmer des Alhambra<lb/>
warf. Er ho&#x0364;rte in der wunderbaren Lo&#x0364;wenhalle, wie<lb/>
&#x017F;ich die großen Emire der Wu&#x0364;&#x017F;te aus dem weisheits¬<lb/>
vollen Koran die Spru&#x0364;che vorle&#x017F;en ließen, welche an<lb/>
die Ma&#x0364;ßigung im Glu&#x0364;ck und die Barmherzigkeit des<lb/>
Siegers des Paradie&#x017F;es &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Freuden knu&#x0364;pften. Er<lb/>
trank aus dem Brunnen im &#x017F;chweig&#x017F;amen Hofe und<lb/>
fu&#x0364;hlte, wie &#x017F;ich fru&#x0364;he die Gabe der Wei&#x017F;&#x017F;agung und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0050] Martinez de la Roſa. wenn die Lerche ihr Morgenlied ſingt? Warum ſoll ihm uͤberhaupt der Himmel verſchloſſen ſeyn? Die grau¬ ſamen Franzoſen! Sie machen Martinez den Vor¬ wurf, daß er Dichter iſt! Wir wollen, indem wir die fluͤchtigen Schatten ſeines Lebens reißen, in ihm den redlichen, patriotiſchen und talentvollen Mann erkennen laſſen. Geboren wurde Martinez de la Roſa im An¬ fang der achtziger Jahre zu Granada. Wenn Ihr den Vorzug, Deutſche zu ſeyn, auf einen Moment vergeſ¬ ſen koͤnnt, ſo beneidet ihn darum! Beneidet ihn um die Olivenwaͤlder, die am Fuße der Sierra Nevada ſte¬ hen, beneidet ihn um den goldhaltigen Genil, in dem er baden konnte, und jenen zweiten Fluß, deſſen Name mir entfiel, der aber gediegenes Silber mit ſeinen Wel¬ len fuͤhrt! Welche zaubervolle Jugend! Die alten mau¬ riſchen Sagen umfluͤſterten den Knaben, wenn er beim Spiele ſeinen Ball in die Truͤmmer des Alhambra warf. Er hoͤrte in der wunderbaren Loͤwenhalle, wie ſich die großen Emire der Wuͤſte aus dem weisheits¬ vollen Koran die Spruͤche vorleſen ließen, welche an die Maͤßigung im Gluͤck und die Barmherzigkeit des Siegers des Paradieſes ſchoͤnſte Freuden knuͤpften. Er trank aus dem Brunnen im ſchweigſamen Hofe und fuͤhlte, wie ſich fruͤhe die Gabe der Weiſſagung und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/50
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/50>, abgerufen am 21.11.2024.