Wenn man sich Talleyrand zu allen Zeiten nur wie Harpokrates, alt wie die Wintersonne, denken kann, Martinez de la Rosa in mittleren Jahren, mit bürger¬ lichem Embonpoint, gesetzten Zügen, und einen gold¬ nen Ring an dem zarten, poetischen Schreibfinger, so gibt es für Franz August Vicomte von Chateaubriand keine andere Vorstellung, als die des Jünglings.
Wer glaubt es, daß Chateaubriand ein alter Herr ist, der in wenig Jahren seinen siebenzigsten Geburts¬ tag feiern wird? Er, den wir uns noch immer von etwas phantastischem Aeußern denken, als den letzten Kreuzfahrer, der nie stirbt, immer bereit, noch mit neuen Epochen der Geschichte in Kollision zu gerathen, ein junges Mädchen zu besingen und Thorheiten zu begehen?
Ihr werdet wenig Menschen kennen, welche mit so viel Jugend ihr Alter angetreten haben. Chateaubriand hat die unverwüstliche Physiognomie der Naivetät, die
Wenn man ſich Talleyrand zu allen Zeiten nur wie Harpokrates, alt wie die Winterſonne, denken kann, Martinez de la Roſa in mittleren Jahren, mit buͤrger¬ lichem Embonpoint, geſetzten Zuͤgen, und einen gold¬ nen Ring an dem zarten, poetiſchen Schreibfinger, ſo gibt es fuͤr Franz Auguſt Vicomte von Chateaubriand keine andere Vorſtellung, als die des Juͤnglings.
Wer glaubt es, daß Chateaubriand ein alter Herr iſt, der in wenig Jahren ſeinen ſiebenzigſten Geburts¬ tag feiern wird? Er, den wir uns noch immer von etwas phantaſtiſchem Aeußern denken, als den letzten Kreuzfahrer, der nie ſtirbt, immer bereit, noch mit neuen Epochen der Geſchichte in Kolliſion zu gerathen, ein junges Maͤdchen zu beſingen und Thorheiten zu begehen?
Ihr werdet wenig Menſchen kennen, welche mit ſo viel Jugend ihr Alter angetreten haben. Chateaubriand hat die unverwuͤſtliche Phyſiognomie der Naivetaͤt, die
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Wenn man ſich Talleyrand zu allen Zeiten nur wie
Harpokrates, alt wie die Winterſonne, denken kann,
Martinez de la Roſa in mittleren Jahren, mit buͤrger¬
lichem Embonpoint, geſetzten Zuͤgen, und einen gold¬
nen Ring an dem zarten, poetiſchen Schreibfinger, ſo
gibt es fuͤr Franz Auguſt Vicomte von Chateaubriand
keine andere Vorſtellung, als die des Juͤnglings.
Wer glaubt es, daß Chateaubriand ein alter Herr
iſt, der in wenig Jahren ſeinen ſiebenzigſten Geburts¬
tag feiern wird? Er, den wir uns noch immer von
etwas phantaſtiſchem Aeußern denken, als den letzten
Kreuzfahrer, der nie ſtirbt, immer bereit, noch mit neuen
Epochen der Geſchichte in Kolliſion zu gerathen, ein
junges Maͤdchen zu beſingen und Thorheiten zu begehen?
Ihr werdet wenig Menſchen kennen, welche mit ſo
viel Jugend ihr Alter angetreten haben. Chateaubriand
hat die unverwuͤſtliche Phyſiognomie der Naivetaͤt, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/73>, abgerufen am 24.11.2024.
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