Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Chateaubriand.
wußt, als etre und avoir, so würde ich mich um den
frommen Gesandten bekümmert haben; so aber zog
mich damals der Halbmond, der unter den Linden in
der Sonne wohnte, der türkische Gesandte, mehr an.

Chateaubriand ging auch bald nach Verona, wo er
so beredt gegen die Revolution sprach, daß er selbst ei¬
nen Montmorency, einen Namen, der das ganze Mit¬
telalter zu umfassen scheint, verdrängte.

Chateaubriand kam nach Paris, und übernahm das
auswärtige Ministerium, das jetzt für ihn eine Wahr¬
heit war. Man weiß, was im Jahr 1823 geschah,
in jener Periode, wo fast gleichzeitig drei Dichter die
auswärtigen Angelegenheiten Spaniens, Frankreichs und
Englands lenkten, Martinez de la Rosa, Chateaubri¬
and und Canning; denn auch Canning hatte in eine
etwas stumpfe Leyer gegriffen, und Griechenlieder ge¬
sungen, wie Wilhelm Müller.

Chateaubriand aber hatte von allen Dreien den
meisten Ruhm zu verlieren, und er warf die europäi¬
sche Achtung in ganzen Massen von sich. Er sprach
für Ferdinand wie für einen Gottfried von Bouillon,
der in die Hände der Sarazenen gefallen sei; er hoffte
Angouleme werde ein zweiter Napoleon werden, und

Chateaubriand.
wußt, als être und avoir, ſo wuͤrde ich mich um den
frommen Geſandten bekuͤmmert haben; ſo aber zog
mich damals der Halbmond, der unter den Linden in
der Sonne wohnte, der tuͤrkiſche Geſandte, mehr an.

Chateaubriand ging auch bald nach Verona, wo er
ſo beredt gegen die Revolution ſprach, daß er ſelbſt ei¬
nen Montmorency, einen Namen, der das ganze Mit¬
telalter zu umfaſſen ſcheint, verdraͤngte.

Chateaubriand kam nach Paris, und uͤbernahm das
auswaͤrtige Miniſterium, das jetzt fuͤr ihn eine Wahr¬
heit war. Man weiß, was im Jahr 1823 geſchah,
in jener Periode, wo faſt gleichzeitig drei Dichter die
auswaͤrtigen Angelegenheiten Spaniens, Frankreichs und
Englands lenkten, Martinez de la Roſa, Chateaubri¬
and und Canning; denn auch Canning hatte in eine
etwas ſtumpfe Leyer gegriffen, und Griechenlieder ge¬
ſungen, wie Wilhelm Muͤller.

Chateaubriand aber hatte von allen Dreien den
meiſten Ruhm zu verlieren, und er warf die europaͤi¬
ſche Achtung in ganzen Maſſen von ſich. Er ſprach
fuͤr Ferdinand wie fuͤr einen Gottfried von Bouillon,
der in die Haͤnde der Sarazenen gefallen ſei; er hoffte
Angoulème werde ein zweiter Napoleon werden, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="76"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Chateaubriand</hi>.<lb/></fw> wußt, als <hi rendition="#aq">être</hi> und <hi rendition="#aq">avoir</hi>, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich mich um den<lb/>
frommen Ge&#x017F;andten beku&#x0364;mmert haben; &#x017F;o aber zog<lb/>
mich damals der Halbmond, der unter den Linden in<lb/>
der Sonne wohnte, der tu&#x0364;rki&#x017F;che Ge&#x017F;andte, mehr an.</p><lb/>
        <p>Chateaubriand ging auch bald nach Verona, wo er<lb/>
&#x017F;o beredt gegen die Revolution &#x017F;prach, daß er &#x017F;elb&#x017F;t ei¬<lb/>
nen Montmorency, einen Namen, der das ganze Mit¬<lb/>
telalter zu umfa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheint, verdra&#x0364;ngte.</p><lb/>
        <p>Chateaubriand kam nach Paris, und u&#x0364;bernahm das<lb/>
auswa&#x0364;rtige Mini&#x017F;terium, das jetzt fu&#x0364;r ihn eine Wahr¬<lb/>
heit war. Man weiß, was im Jahr 1823 ge&#x017F;chah,<lb/>
in jener Periode, wo fa&#x017F;t gleichzeitig drei Dichter die<lb/>
auswa&#x0364;rtigen Angelegenheiten Spaniens, Frankreichs und<lb/>
Englands lenkten, Martinez de la Ro&#x017F;a, Chateaubri¬<lb/>
and und Canning; denn auch Canning hatte in eine<lb/>
etwas &#x017F;tumpfe Leyer gegriffen, und Griechenlieder ge¬<lb/>
&#x017F;ungen, wie Wilhelm Mu&#x0364;ller.</p><lb/>
        <p>Chateaubriand aber hatte von allen Dreien den<lb/>
mei&#x017F;ten Ruhm zu verlieren, und er warf die europa&#x0364;<lb/>
&#x017F;che Achtung in ganzen Ma&#x017F;&#x017F;en von &#x017F;ich. Er &#x017F;prach<lb/>
fu&#x0364;r Ferdinand wie fu&#x0364;r einen Gottfried von Bouillon,<lb/>
der in die Ha&#x0364;nde der Sarazenen gefallen &#x017F;ei; er hoffte<lb/>
Angoul<hi rendition="#aq">è</hi>me werde ein zweiter Napoleon werden, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0094] Chateaubriand. wußt, als être und avoir, ſo wuͤrde ich mich um den frommen Geſandten bekuͤmmert haben; ſo aber zog mich damals der Halbmond, der unter den Linden in der Sonne wohnte, der tuͤrkiſche Geſandte, mehr an. Chateaubriand ging auch bald nach Verona, wo er ſo beredt gegen die Revolution ſprach, daß er ſelbſt ei¬ nen Montmorency, einen Namen, der das ganze Mit¬ telalter zu umfaſſen ſcheint, verdraͤngte. Chateaubriand kam nach Paris, und uͤbernahm das auswaͤrtige Miniſterium, das jetzt fuͤr ihn eine Wahr¬ heit war. Man weiß, was im Jahr 1823 geſchah, in jener Periode, wo faſt gleichzeitig drei Dichter die auswaͤrtigen Angelegenheiten Spaniens, Frankreichs und Englands lenkten, Martinez de la Roſa, Chateaubri¬ and und Canning; denn auch Canning hatte in eine etwas ſtumpfe Leyer gegriffen, und Griechenlieder ge¬ ſungen, wie Wilhelm Muͤller. Chateaubriand aber hatte von allen Dreien den meiſten Ruhm zu verlieren, und er warf die europaͤi¬ ſche Achtung in ganzen Maſſen von ſich. Er ſprach fuͤr Ferdinand wie fuͤr einen Gottfried von Bouillon, der in die Haͤnde der Sarazenen gefallen ſei; er hoffte Angoulème werde ein zweiter Napoleon werden, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/94
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/94>, abgerufen am 21.11.2024.