[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.hin, setze Dich auf den Gebärstuhl und gebäre Männer! Wirklich, ich hätte mich geschämt, und meine Scham mit Feigenblättern bedeckt. Ich glaube fast, Du gehörst zu jenen deutschen Historikern, die die Geschichte für einen Todten, sich selbst für angestellte Klageweiber halten. Das Geheimniß des Lebens scheint fast nur durch Offenbarung an die Leute zu kommen. Die Alten hatten für Schlaf, Traum, Tod, Geburt eine oder mehre Gottheiten, für das Leben keine, weil sie wußten, daß dies der Menschen einziges Vorrecht, daß hier Niemand Etwas ist, als durch sich selbst. Diese Ansicht, daß das Leben nur ein ewiges Sterben und der Tod die Geburt zum wahren Leben sei, ist für Viele die einzige Idee geworden, auf die sie ihr Dasein gründen. Aber sie ist verwerflich, nicht nur als Meinung, sondern auch als That. Als That lebt sie in einem ewigen Todtschlage. Die tiefste Quelle dieses Uebels liegt nicht im Christenthume, wie man zu behaupten gewohnt ist, sondern noch weiter hinauf in den ersten Ursprüngen des germanischen Lebens. Die germanischen Völker würden nie zu solchen Consequenzen christlicher Ideen, die sich im Mönchthum und Klosterwesen aufs Höchste steigerten, gekommen sein, wenn sie an ihrer eignen historischen Quelle, den alten heidnischen Naturanschauungen hin, setze Dich auf den Gebärstuhl und gebäre Männer! Wirklich, ich hätte mich geschämt, und meine Scham mit Feigenblättern bedeckt. Ich glaube fast, Du gehörst zu jenen deutschen Historikern, die die Geschichte für einen Todten, sich selbst für angestellte Klageweiber halten. Das Geheimniß des Lebens scheint fast nur durch Offenbarung an die Leute zu kommen. Die Alten hatten für Schlaf, Traum, Tod, Geburt eine oder mehre Gottheiten, für das Leben keine, weil sie wußten, daß dies der Menschen einziges Vorrecht, daß hier Niemand Etwas ist, als durch sich selbst. Diese Ansicht, daß das Leben nur ein ewiges Sterben und der Tod die Geburt zum wahren Leben sei, ist für Viele die einzige Idee geworden, auf die sie ihr Dasein gründen. Aber sie ist verwerflich, nicht nur als Meinung, sondern auch als That. Als That lebt sie in einem ewigen Todtschlage. Die tiefste Quelle dieses Uebels liegt nicht im Christenthume, wie man zu behaupten gewohnt ist, sondern noch weiter hinauf in den ersten Ursprüngen des germanischen Lebens. Die germanischen Völker würden nie zu solchen Consequenzen christlicher Ideen, die sich im Mönchthum und Klosterwesen aufs Höchste steigerten, gekommen sein, wenn sie an ihrer eignen historischen Quelle, den alten heidnischen Naturanschauungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="99"/> hin, setze Dich auf den Gebärstuhl und gebäre Männer! Wirklich, ich hätte mich geschämt, und meine Scham mit Feigenblättern bedeckt.</p> <p>Ich glaube fast, Du gehörst zu jenen deutschen Historikern, die die Geschichte für einen Todten, sich selbst für angestellte Klageweiber halten. Das Geheimniß des Lebens scheint fast nur durch Offenbarung an die Leute zu kommen. Die Alten hatten für Schlaf, Traum, Tod, Geburt eine oder mehre Gottheiten, für das Leben keine, weil sie wußten, daß dies der Menschen einziges Vorrecht, daß hier Niemand Etwas ist, als durch sich selbst. Diese Ansicht, daß das Leben nur ein ewiges Sterben und der Tod die Geburt zum wahren Leben sei, ist für Viele die einzige Idee geworden, auf die sie ihr Dasein gründen. Aber sie ist verwerflich, nicht nur als Meinung, sondern auch als That. Als That lebt sie in einem ewigen Todtschlage. Die tiefste Quelle dieses Uebels liegt nicht im Christenthume, wie man zu behaupten gewohnt ist, sondern noch weiter hinauf in den ersten Ursprüngen des germanischen Lebens. Die germanischen Völker würden nie zu solchen Consequenzen christlicher Ideen, die sich im Mönchthum und Klosterwesen aufs Höchste steigerten, gekommen sein, wenn sie an ihrer eignen historischen Quelle, den alten heidnischen Naturanschauungen </p> </div> </body> </text> </TEI> [99/0112]
hin, setze Dich auf den Gebärstuhl und gebäre Männer! Wirklich, ich hätte mich geschämt, und meine Scham mit Feigenblättern bedeckt.
Ich glaube fast, Du gehörst zu jenen deutschen Historikern, die die Geschichte für einen Todten, sich selbst für angestellte Klageweiber halten. Das Geheimniß des Lebens scheint fast nur durch Offenbarung an die Leute zu kommen. Die Alten hatten für Schlaf, Traum, Tod, Geburt eine oder mehre Gottheiten, für das Leben keine, weil sie wußten, daß dies der Menschen einziges Vorrecht, daß hier Niemand Etwas ist, als durch sich selbst. Diese Ansicht, daß das Leben nur ein ewiges Sterben und der Tod die Geburt zum wahren Leben sei, ist für Viele die einzige Idee geworden, auf die sie ihr Dasein gründen. Aber sie ist verwerflich, nicht nur als Meinung, sondern auch als That. Als That lebt sie in einem ewigen Todtschlage. Die tiefste Quelle dieses Uebels liegt nicht im Christenthume, wie man zu behaupten gewohnt ist, sondern noch weiter hinauf in den ersten Ursprüngen des germanischen Lebens. Die germanischen Völker würden nie zu solchen Consequenzen christlicher Ideen, die sich im Mönchthum und Klosterwesen aufs Höchste steigerten, gekommen sein, wenn sie an ihrer eignen historischen Quelle, den alten heidnischen Naturanschauungen
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