[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.Ueberhaupt wollen wir uns in der Ferne mit unsern Ansichten halten, und zur Sicherung mit den Geschäftsmännern ausrufen: Vieles gilt in der Theorie, aber wenig in der Praxis! Die Republik hat historische Gegner, die die Existenz einer Sache von ihrem Werden nicht trennen können, moralische, die vergessen, daß eine jede Wahrheit vorher gemißbraucht, und dann erst zum rechten Gebrauch verwandt zu werden pflegt, philosophische endlich, die das Königthum für nothwendig halten, ich weiß nicht, zu welchen allgemeinen Zwecken der Menschheit. Die historischen Beweise stehen der Wahrheit meist immer am Nächsten. Aber der geringe Zwischenraum ist doch so groß, wie der Unterschied der Menschen in unterschiedenen Zeitaltern. Diesen wird man nie aufheben, jenen nie ausfüllen können. In die Lehre vom Menschen rechnet man sein Leben, wohl auch seinen Tod; aber die Schmerzen der Geburt werden unbemerkt hinter einer Wand ausgestanden. Nicht so die Geschichte. Sie gibt selbst die Conception der Ideen und die Organe dazu öffentlich, und können denn wir Beide dafür, daß es da ohne Blut und Jammer nicht abgeht? Weil Rom und Athen und die Republik Bopfingen untergegangen ist, so ist alle Republik ein Hirngespinnst. Ist diese Beweisführung aber Ueberhaupt wollen wir uns in der Ferne mit unsern Ansichten halten, und zur Sicherung mit den Geschäftsmännern ausrufen: Vieles gilt in der Theorie, aber wenig in der Praxis! Die Republik hat historische Gegner, die die Existenz einer Sache von ihrem Werden nicht trennen können, moralische, die vergessen, daß eine jede Wahrheit vorher gemißbraucht, und dann erst zum rechten Gebrauch verwandt zu werden pflegt, philosophische endlich, die das Königthum für nothwendig halten, ich weiß nicht, zu welchen allgemeinen Zwecken der Menschheit. Die historischen Beweise stehen der Wahrheit meist immer am Nächsten. Aber der geringe Zwischenraum ist doch so groß, wie der Unterschied der Menschen in unterschiedenen Zeitaltern. Diesen wird man nie aufheben, jenen nie ausfüllen können. In die Lehre vom Menschen rechnet man sein Leben, wohl auch seinen Tod; aber die Schmerzen der Geburt werden unbemerkt hinter einer Wand ausgestanden. Nicht so die Geschichte. Sie gibt selbst die Conception der Ideen und die Organe dazu öffentlich, und können denn wir Beide dafür, daß es da ohne Blut und Jammer nicht abgeht? Weil Rom und Athen und die Republik Bopfingen untergegangen ist, so ist alle Republik ein Hirngespinnst. Ist diese Beweisführung aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0119" n="106"/> Ueberhaupt wollen wir uns in der Ferne mit unsern Ansichten halten, und zur Sicherung mit den Geschäftsmännern ausrufen: Vieles gilt in der Theorie, aber wenig in der Praxis!</p> <p>Die Republik hat historische Gegner, die die Existenz einer Sache von ihrem Werden nicht trennen können, moralische, die vergessen, daß eine jede Wahrheit vorher gemißbraucht, und dann erst zum rechten Gebrauch verwandt zu werden pflegt, philosophische endlich, die das Königthum für nothwendig halten, ich weiß nicht, zu welchen allgemeinen Zwecken der Menschheit.</p> <p>Die historischen Beweise stehen der Wahrheit meist immer am Nächsten. Aber der geringe Zwischenraum ist doch so groß, wie der Unterschied der Menschen in unterschiedenen Zeitaltern. Diesen wird man nie aufheben, jenen nie ausfüllen können. In die Lehre vom Menschen rechnet man sein Leben, wohl auch seinen Tod; aber die Schmerzen der Geburt werden unbemerkt hinter einer Wand ausgestanden. Nicht so die Geschichte. Sie gibt selbst die Conception der Ideen und die Organe dazu öffentlich, und können denn wir Beide dafür, daß es da ohne Blut und Jammer nicht abgeht? Weil Rom und Athen und die Republik Bopfingen untergegangen ist, so ist alle Republik ein Hirngespinnst. Ist diese Beweisführung aber </p> </div> </body> </text> </TEI> [106/0119]
Ueberhaupt wollen wir uns in der Ferne mit unsern Ansichten halten, und zur Sicherung mit den Geschäftsmännern ausrufen: Vieles gilt in der Theorie, aber wenig in der Praxis!
Die Republik hat historische Gegner, die die Existenz einer Sache von ihrem Werden nicht trennen können, moralische, die vergessen, daß eine jede Wahrheit vorher gemißbraucht, und dann erst zum rechten Gebrauch verwandt zu werden pflegt, philosophische endlich, die das Königthum für nothwendig halten, ich weiß nicht, zu welchen allgemeinen Zwecken der Menschheit.
Die historischen Beweise stehen der Wahrheit meist immer am Nächsten. Aber der geringe Zwischenraum ist doch so groß, wie der Unterschied der Menschen in unterschiedenen Zeitaltern. Diesen wird man nie aufheben, jenen nie ausfüllen können. In die Lehre vom Menschen rechnet man sein Leben, wohl auch seinen Tod; aber die Schmerzen der Geburt werden unbemerkt hinter einer Wand ausgestanden. Nicht so die Geschichte. Sie gibt selbst die Conception der Ideen und die Organe dazu öffentlich, und können denn wir Beide dafür, daß es da ohne Blut und Jammer nicht abgeht? Weil Rom und Athen und die Republik Bopfingen untergegangen ist, so ist alle Republik ein Hirngespinnst. Ist diese Beweisführung aber
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