[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.nicht ebenso thöricht, als wenn ich für die Möglichkeit der Republik Frankfurt oder Bremen citiren wollte! Nicht einmal Nordamerika beweist für Europa, die verlangten Gründe liegen weit anderswo. In der Republik soll kein Antrieb zur Sittlichkeit liegen. Ohne Rücksicht auf seine Civilpolizei denkt man sich das Königthum noch als eine Art höherer, sittlicher Gewalt, als eine moralische Allgegenwart, als ein lohnendes oder strafendes Gewissen. Aber du lieber Gott, warum lässest du dann deine Wetter nicht in die Glockenstühle der Kirche schlagen? wozu existiren sie, wenn man das Alles kürzer, wohlfeiler haben kann? dann aber frag' ich auch, sind die Fürsten mehr als ihre Handlungen? Können sie ihrem Volke irgend eine Weihe geben, die sie in ihrem Leben selbst nicht besitzen? Du weißt, ich mache ihnen nicht einmal Vorwürfe, wenn sie den Gelüsten ihres Herzens folgen, und solche Wege gehen, wohin sie ihr Bedürfniß treibt. Ich verlange weder Tugenden von ihnen, noch gute Beispiele. Wenn solche nicht da sind, so hasse ich die falschen Vorspiegelungen derselben. Worauf ich aber hoffe, das ist die innere Macht der Sittlichkeit, die nie eines äußern, imponirenden Stachels bedarf; auf das stille Geheimniß des Herzens, das nur durch edle nicht ebenso thöricht, als wenn ich für die Möglichkeit der Republik Frankfurt oder Bremen citiren wollte! Nicht einmal Nordamerika beweist für Europa, die verlangten Gründe liegen weit anderswo. In der Republik soll kein Antrieb zur Sittlichkeit liegen. Ohne Rücksicht auf seine Civilpolizei denkt man sich das Königthum noch als eine Art höherer, sittlicher Gewalt, als eine moralische Allgegenwart, als ein lohnendes oder strafendes Gewissen. Aber du lieber Gott, warum lässest du dann deine Wetter nicht in die Glockenstühle der Kirche schlagen? wozu existiren sie, wenn man das Alles kürzer, wohlfeiler haben kann? dann aber frag’ ich auch, sind die Fürsten mehr als ihre Handlungen? Können sie ihrem Volke irgend eine Weihe geben, die sie in ihrem Leben selbst nicht besitzen? Du weißt, ich mache ihnen nicht einmal Vorwürfe, wenn sie den Gelüsten ihres Herzens folgen, und solche Wege gehen, wohin sie ihr Bedürfniß treibt. Ich verlange weder Tugenden von ihnen, noch gute Beispiele. Wenn solche nicht da sind, so hasse ich die falschen Vorspiegelungen derselben. Worauf ich aber hoffe, das ist die innere Macht der Sittlichkeit, die nie eines äußern, imponirenden Stachels bedarf; auf das stille Geheimniß des Herzens, das nur durch edle <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0120" n="107"/> nicht ebenso thöricht, als wenn ich für die Möglichkeit der Republik Frankfurt oder Bremen citiren wollte! Nicht einmal Nordamerika beweist für Europa, die verlangten Gründe liegen weit anderswo.</p> <p>In der Republik soll kein Antrieb zur Sittlichkeit liegen. Ohne Rücksicht auf seine Civilpolizei denkt man sich das Königthum noch als eine Art höherer, sittlicher Gewalt, als eine moralische Allgegenwart, als ein lohnendes oder strafendes Gewissen. Aber du lieber Gott, warum lässest du dann deine Wetter nicht in die Glockenstühle der Kirche schlagen? wozu existiren sie, wenn man das Alles kürzer, wohlfeiler haben kann? dann aber frag’ ich auch, sind die Fürsten mehr als ihre Handlungen? Können sie ihrem Volke irgend eine Weihe geben, die sie in ihrem Leben selbst nicht besitzen? Du weißt, ich mache ihnen nicht einmal Vorwürfe, wenn sie den Gelüsten ihres Herzens folgen, und solche Wege gehen, wohin sie ihr Bedürfniß treibt. Ich verlange weder Tugenden von ihnen, noch gute Beispiele. Wenn solche nicht da sind, so hasse ich die falschen Vorspiegelungen derselben. Worauf ich aber hoffe, das ist die innere Macht der Sittlichkeit, die nie eines äußern, imponirenden Stachels bedarf; auf das stille Geheimniß des Herzens, das nur durch edle </p> </div> </body> </text> </TEI> [107/0120]
nicht ebenso thöricht, als wenn ich für die Möglichkeit der Republik Frankfurt oder Bremen citiren wollte! Nicht einmal Nordamerika beweist für Europa, die verlangten Gründe liegen weit anderswo.
In der Republik soll kein Antrieb zur Sittlichkeit liegen. Ohne Rücksicht auf seine Civilpolizei denkt man sich das Königthum noch als eine Art höherer, sittlicher Gewalt, als eine moralische Allgegenwart, als ein lohnendes oder strafendes Gewissen. Aber du lieber Gott, warum lässest du dann deine Wetter nicht in die Glockenstühle der Kirche schlagen? wozu existiren sie, wenn man das Alles kürzer, wohlfeiler haben kann? dann aber frag’ ich auch, sind die Fürsten mehr als ihre Handlungen? Können sie ihrem Volke irgend eine Weihe geben, die sie in ihrem Leben selbst nicht besitzen? Du weißt, ich mache ihnen nicht einmal Vorwürfe, wenn sie den Gelüsten ihres Herzens folgen, und solche Wege gehen, wohin sie ihr Bedürfniß treibt. Ich verlange weder Tugenden von ihnen, noch gute Beispiele. Wenn solche nicht da sind, so hasse ich die falschen Vorspiegelungen derselben. Worauf ich aber hoffe, das ist die innere Macht der Sittlichkeit, die nie eines äußern, imponirenden Stachels bedarf; auf das stille Geheimniß des Herzens, das nur durch edle
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/120>, abgerufen am 16.02.2025. |