[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.würde, wenn sie tiefer eindränge, als in die Durchschnittsintelligenz des Volkes, so sind ihre Begriffe und Terminologien einfach. Es gibt in Preußen Leute, die sich schämen, das Wort Constitution in den Mund zu nehmen, und es sind sonst die schlechtesten noch nicht! In Frankreich hält die Politik und der Kampf der Parteien alle Richtungen des dichtenden und denkenden Geistes zusammen. Dort sind die Helden des Tages auch Helden des Jahrhunderts. Wir Deutsche, bisher allem öffentlichen Leben entfremdet, haben von den Goldminen der Wissenschaft nie geahnt, daß sie unter dem Boden des Staatslebens sich fortziehen. Unser politisches Streiten ist demokratisch, wir sind aber gewohnt, nie die Feder zu greifen, als im Geiste unserer literarischen Aristokratie. All diese kleinen Momente unseres früheren Lebens, auf die uns eignes und fremdes Urtheil stolz gemacht hat, sollten von großartigeren Triebfedern nun ersetzt werden müssen? Die Nothwendigkeit der Politisirung unserer Literatur ist unläugbar. Man gehorcht ihr zwar, aber mit welcher Zögerung! mit welchen fremdartigen Erscheinungen! Sie wird noch die häßlichsten Leidenschaften aufrufen. Die Eitelkeit der Originalität, die schmutzige Begeiferung, die fast anerkannter Ton unserer Kritik ist, Neid auf literarische Berühmt- würde, wenn sie tiefer eindränge, als in die Durchschnittsintelligenz des Volkes, so sind ihre Begriffe und Terminologien einfach. Es gibt in Preußen Leute, die sich schämen, das Wort Constitution in den Mund zu nehmen, und es sind sonst die schlechtesten noch nicht! In Frankreich hält die Politik und der Kampf der Parteien alle Richtungen des dichtenden und denkenden Geistes zusammen. Dort sind die Helden des Tages auch Helden des Jahrhunderts. Wir Deutsche, bisher allem öffentlichen Leben entfremdet, haben von den Goldminen der Wissenschaft nie geahnt, daß sie unter dem Boden des Staatslebens sich fortziehen. Unser politisches Streiten ist demokratisch, wir sind aber gewohnt, nie die Feder zu greifen, als im Geiste unserer literarischen Aristokratie. All diese kleinen Momente unseres früheren Lebens, auf die uns eignes und fremdes Urtheil stolz gemacht hat, sollten von großartigeren Triebfedern nun ersetzt werden müssen? Die Nothwendigkeit der Politisirung unserer Literatur ist unläugbar. Man gehorcht ihr zwar, aber mit welcher Zögerung! mit welchen fremdartigen Erscheinungen! Sie wird noch die häßlichsten Leidenschaften aufrufen. Die Eitelkeit der Originalität, die schmutzige Begeiferung, die fast anerkannter Ton unserer Kritik ist, Neid auf literarische Berühmt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="215"/> würde, wenn sie tiefer eindränge, als in die Durchschnittsintelligenz des Volkes, so sind ihre Begriffe und Terminologien einfach.</p> <p>Es gibt in Preußen Leute, die sich schämen, das Wort Constitution in den Mund zu nehmen, und es sind sonst die schlechtesten noch nicht! In Frankreich hält die Politik und der Kampf der Parteien alle Richtungen des dichtenden und denkenden Geistes zusammen. Dort sind die Helden des Tages auch Helden des Jahrhunderts. Wir Deutsche, bisher allem öffentlichen Leben entfremdet, haben von den Goldminen der Wissenschaft nie geahnt, daß sie unter dem Boden des Staatslebens sich fortziehen. Unser politisches Streiten ist demokratisch, wir sind aber gewohnt, nie die Feder zu greifen, als im Geiste unserer literarischen Aristokratie. All diese kleinen Momente unseres früheren Lebens, auf die uns eignes und fremdes Urtheil stolz gemacht hat, sollten von großartigeren Triebfedern nun ersetzt werden müssen? Die Nothwendigkeit der Politisirung unserer Literatur ist unläugbar. Man gehorcht ihr zwar, aber mit welcher Zögerung! mit welchen fremdartigen Erscheinungen! Sie wird noch die häßlichsten Leidenschaften aufrufen. Die Eitelkeit der Originalität, die schmutzige Begeiferung, die fast anerkannter Ton unserer Kritik ist, Neid auf literarische Berühmt- </p> </div> </body> </text> </TEI> [215/0228]
würde, wenn sie tiefer eindränge, als in die Durchschnittsintelligenz des Volkes, so sind ihre Begriffe und Terminologien einfach.
Es gibt in Preußen Leute, die sich schämen, das Wort Constitution in den Mund zu nehmen, und es sind sonst die schlechtesten noch nicht! In Frankreich hält die Politik und der Kampf der Parteien alle Richtungen des dichtenden und denkenden Geistes zusammen. Dort sind die Helden des Tages auch Helden des Jahrhunderts. Wir Deutsche, bisher allem öffentlichen Leben entfremdet, haben von den Goldminen der Wissenschaft nie geahnt, daß sie unter dem Boden des Staatslebens sich fortziehen. Unser politisches Streiten ist demokratisch, wir sind aber gewohnt, nie die Feder zu greifen, als im Geiste unserer literarischen Aristokratie. All diese kleinen Momente unseres früheren Lebens, auf die uns eignes und fremdes Urtheil stolz gemacht hat, sollten von großartigeren Triebfedern nun ersetzt werden müssen? Die Nothwendigkeit der Politisirung unserer Literatur ist unläugbar. Man gehorcht ihr zwar, aber mit welcher Zögerung! mit welchen fremdartigen Erscheinungen! Sie wird noch die häßlichsten Leidenschaften aufrufen. Die Eitelkeit der Originalität, die schmutzige Begeiferung, die fast anerkannter Ton unserer Kritik ist, Neid auf literarische Berühmt-
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