Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, aus jeder Bewegung der Hand die Absicht dessen, der sie macht, zu erfahren; wir können untrüglichst von einer unbewachten Haltung des Kopfes oder der leisesten Krümmung der Nase auf die geheimsten Absichten des Herzens schließen; ein absichtlicher Betrug wird bald nicht mehr möglich sein. Wir haben uns zu viel gerührt, sind zu mannigfach thätig gewesen, als daß wir uns in unserm Thun nicht sogleich errathen sollten. Alle Anstöße kommen von Außen; es wird Zeit sein, die Menschen an eine höhere Lenkung der Ereignisse zu erinnern.

Es ist eine thörichte Verblendung der Fürsten, wenn sie durch Couriere, versiegelte Depeschen, Privataudienzen und Gesandtschaften die Wünsche der Nationen zu befriedigen denken. Man braucht Herrn Martens Guide diplomatique nicht zu studiren, und wird doch finden, daß die Diplomatie kein Geheimniß mehr ist. Ich habe einen Vetter in London, Gesandtschaftssecretär im Auswärtigen Amte, der mir die Entwürfe der Protokolle schon mittheilt, die in einem Jahre erst sollen publicirt werden. Aber auch ohne ihn wüßt' ich den Inhalt der officiellen Noten, die gegeben würden, wenn sich Irland von England, Italien von Oesterreich, Polen von den drei Mächten und Deutschland von sich selbst, vom Bundestage losgerissen hätten.

Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, aus jeder Bewegung der Hand die Absicht dessen, der sie macht, zu erfahren; wir können untrüglichst von einer unbewachten Haltung des Kopfes oder der leisesten Krümmung der Nase auf die geheimsten Absichten des Herzens schließen; ein absichtlicher Betrug wird bald nicht mehr möglich sein. Wir haben uns zu viel gerührt, sind zu mannigfach thätig gewesen, als daß wir uns in unserm Thun nicht sogleich errathen sollten. Alle Anstöße kommen von Außen; es wird Zeit sein, die Menschen an eine höhere Lenkung der Ereignisse zu erinnern.

Es ist eine thörichte Verblendung der Fürsten, wenn sie durch Couriere, versiegelte Depeschen, Privataudienzen und Gesandtschaften die Wünsche der Nationen zu befriedigen denken. Man braucht Herrn Martens Guide diplomatique nicht zu studiren, und wird doch finden, daß die Diplomatie kein Geheimniß mehr ist. Ich habe einen Vetter in London, Gesandtschaftssecretär im Auswärtigen Amte, der mir die Entwürfe der Protokolle schon mittheilt, die in einem Jahre erst sollen publicirt werden. Aber auch ohne ihn wüßt’ ich den Inhalt der officiellen Noten, die gegeben würden, wenn sich Irland von England, Italien von Oesterreich, Polen von den drei Mächten und Deutschland von sich selbst, vom Bundestage losgerissen hätten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0300" n="287"/>
Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, aus jeder Bewegung der Hand die Absicht dessen, der sie macht, zu erfahren; wir können untrüglichst von einer unbewachten Haltung des Kopfes oder der leisesten Krümmung der Nase auf die geheimsten Absichten des Herzens schließen; ein absichtlicher Betrug wird bald nicht mehr möglich sein. Wir haben uns zu viel gerührt, sind zu mannigfach thätig gewesen, als daß wir uns in unserm Thun nicht sogleich errathen sollten. Alle Anstöße kommen von Außen; es wird Zeit sein, die Menschen an eine höhere Lenkung der Ereignisse zu erinnern.</p>
        <p>Es ist eine thörichte Verblendung der Fürsten, wenn sie durch Couriere, versiegelte Depeschen, Privataudienzen und Gesandtschaften die Wünsche der Nationen zu befriedigen denken. Man braucht Herrn Martens <hi rendition="#aq">Guide diplomatique</hi> nicht zu studiren, und wird doch finden, daß die Diplomatie kein Geheimniß mehr ist. Ich habe einen Vetter in London, Gesandtschaftssecretär im Auswärtigen Amte, der mir die Entwürfe der Protokolle schon mittheilt, die in einem Jahre erst sollen publicirt werden. Aber auch ohne ihn wüßt&#x2019; ich den Inhalt der officiellen Noten, die gegeben würden, wenn sich Irland von England, Italien von Oesterreich, Polen von den drei Mächten und Deutschland von sich selbst, vom Bundestage losgerissen hätten.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0300] Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, aus jeder Bewegung der Hand die Absicht dessen, der sie macht, zu erfahren; wir können untrüglichst von einer unbewachten Haltung des Kopfes oder der leisesten Krümmung der Nase auf die geheimsten Absichten des Herzens schließen; ein absichtlicher Betrug wird bald nicht mehr möglich sein. Wir haben uns zu viel gerührt, sind zu mannigfach thätig gewesen, als daß wir uns in unserm Thun nicht sogleich errathen sollten. Alle Anstöße kommen von Außen; es wird Zeit sein, die Menschen an eine höhere Lenkung der Ereignisse zu erinnern. Es ist eine thörichte Verblendung der Fürsten, wenn sie durch Couriere, versiegelte Depeschen, Privataudienzen und Gesandtschaften die Wünsche der Nationen zu befriedigen denken. Man braucht Herrn Martens Guide diplomatique nicht zu studiren, und wird doch finden, daß die Diplomatie kein Geheimniß mehr ist. Ich habe einen Vetter in London, Gesandtschaftssecretär im Auswärtigen Amte, der mir die Entwürfe der Protokolle schon mittheilt, die in einem Jahre erst sollen publicirt werden. Aber auch ohne ihn wüßt’ ich den Inhalt der officiellen Noten, die gegeben würden, wenn sich Irland von England, Italien von Oesterreich, Polen von den drei Mächten und Deutschland von sich selbst, vom Bundestage losgerissen hätten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/300
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/300>, abgerufen am 22.11.2024.