Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.der Secretair ist auf einen Posten in der Provinz befördert worden, ich, ich wollte erst Protokoll führen - aber ich gestehe, ich gönne einem Andern dies ohnehin bezahlte Amt. Es bringt ihm die interessantesten weiblichen Beziehungen, eine jährliche Pension von dreihundert Thalern und jeden Falls zu jeder Weihnacht einen Pelz oder dergleichen. Lieber Althing, nimm Du die Stelle! Von jeder Dame bekommst Du vor Entzücken einen Kuß! Die Jüngste ist, glaube ich, fünf und fünfzig Jahre alt. Ottomar schwieg. Das ganze Atelier war stumm. Der Vater war an sich vollkommen befriedigt. Und daß das hier so laut herauskam, störte ihn ebenfalls nicht. Der Sohn schien ja damit förmlich zu wachsen. Ottomar sagte entschlossen: Das kann man ja überlegen! Und Helenens kluge Art beugte jeder Mißstimmung durch die Bemerkung vor: Ach, darum war die arme Martha herumkutschirt! Diese Sitzungen haben also lange nicht stattgefunden! Nun kann ich mir denken, die vielleicht vor sechs Monaten der Commerzienräthin empfohlenen Unglücklichen wurden erst jetzt, rasch vor der Sitzung, besucht! Inzwischen sind die Armen verdorben und gestorben! Ottomar begriff diese Bemerkung schnell, auch die anwesende Socialdemokratie und der Vater. Dunkler blieb sie dem Grafen. der Secretair ist auf einen Posten in der Provinz befördert worden, ich, ich wollte erst Protokoll führen – aber ich gestehe, ich gönne einem Andern dies ohnehin bezahlte Amt. Es bringt ihm die interessantesten weiblichen Beziehungen, eine jährliche Pension von dreihundert Thalern und jeden Falls zu jeder Weihnacht einen Pelz oder dergleichen. Lieber Althing, nimm Du die Stelle! Von jeder Dame bekommst Du vor Entzücken einen Kuß! Die Jüngste ist, glaube ich, fünf und fünfzig Jahre alt. Ottomar schwieg. Das ganze Atelier war stumm. Der Vater war an sich vollkommen befriedigt. Und daß das hier so laut herauskam, störte ihn ebenfalls nicht. Der Sohn schien ja damit förmlich zu wachsen. Ottomar sagte entschlossen: Das kann man ja überlegen! Und Helenens kluge Art beugte jeder Mißstimmung durch die Bemerkung vor: Ach, darum war die arme Martha herumkutschirt! Diese Sitzungen haben also lange nicht stattgefunden! Nun kann ich mir denken, die vielleicht vor sechs Monaten der Commerzienräthin empfohlenen Unglücklichen wurden erst jetzt, rasch vor der Sitzung, besucht! Inzwischen sind die Armen verdorben und gestorben! Ottomar begriff diese Bemerkung schnell, auch die anwesende Socialdemokratie und der Vater. Dunkler blieb sie dem Grafen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0100" n="94"/> der Secretair ist auf einen Posten in der Provinz befördert worden, ich, ich wollte erst Protokoll führen – aber ich gestehe, ich gönne einem Andern dies ohnehin bezahlte Amt. Es bringt ihm die interessantesten weiblichen Beziehungen, eine jährliche Pension von dreihundert Thalern und jeden Falls zu jeder Weihnacht einen Pelz oder dergleichen. Lieber Althing, nimm Du die Stelle! Von jeder Dame bekommst Du vor Entzücken einen Kuß! Die Jüngste ist, glaube ich, fünf und fünfzig Jahre alt. </p> <p>Ottomar schwieg. Das ganze Atelier war stumm. Der Vater war an sich vollkommen befriedigt. Und daß das hier so laut herauskam, störte ihn ebenfalls nicht. Der Sohn schien ja damit förmlich zu wachsen. Ottomar sagte entschlossen: Das kann man ja überlegen! Und Helenens kluge Art beugte jeder Mißstimmung durch die Bemerkung vor: Ach, darum war die arme Martha herumkutschirt! Diese Sitzungen haben also lange nicht stattgefunden! Nun kann ich mir denken, die vielleicht vor sechs Monaten der Commerzienräthin empfohlenen Unglücklichen wurden erst jetzt, rasch vor der Sitzung, besucht! Inzwischen sind die Armen verdorben und gestorben! </p> <p>Ottomar begriff diese Bemerkung schnell, auch die anwesende Socialdemokratie und der Vater. Dunkler blieb sie dem Grafen. </p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0100]
der Secretair ist auf einen Posten in der Provinz befördert worden, ich, ich wollte erst Protokoll führen – aber ich gestehe, ich gönne einem Andern dies ohnehin bezahlte Amt. Es bringt ihm die interessantesten weiblichen Beziehungen, eine jährliche Pension von dreihundert Thalern und jeden Falls zu jeder Weihnacht einen Pelz oder dergleichen. Lieber Althing, nimm Du die Stelle! Von jeder Dame bekommst Du vor Entzücken einen Kuß! Die Jüngste ist, glaube ich, fünf und fünfzig Jahre alt.
Ottomar schwieg. Das ganze Atelier war stumm. Der Vater war an sich vollkommen befriedigt. Und daß das hier so laut herauskam, störte ihn ebenfalls nicht. Der Sohn schien ja damit förmlich zu wachsen. Ottomar sagte entschlossen: Das kann man ja überlegen! Und Helenens kluge Art beugte jeder Mißstimmung durch die Bemerkung vor: Ach, darum war die arme Martha herumkutschirt! Diese Sitzungen haben also lange nicht stattgefunden! Nun kann ich mir denken, die vielleicht vor sechs Monaten der Commerzienräthin empfohlenen Unglücklichen wurden erst jetzt, rasch vor der Sitzung, besucht! Inzwischen sind die Armen verdorben und gestorben!
Ottomar begriff diese Bemerkung schnell, auch die anwesende Socialdemokratie und der Vater. Dunkler blieb sie dem Grafen.
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/100>, abgerufen am 16.02.2025. |