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Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.

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Schreibbureaus. Zugleich wußte man, daß die unbescholten Dastehende in den Verdacht gebracht werden sollte, daß sie es, wie in solchen Fällen die Leute sich ausdrücken, "mit dem Herrn hielte."

Auf einige Stunden trat Ruhe ein. Die Wiederherstellung der alten Ordnung im Hause mußte so geräuschlos wie möglich von Statten gehen. Die Commerzienräthin hatte sich wieder vor Fieber auf's Bett gelegt. Die Prüfung der Briefkapsel überließ sie ihrer Schwester, die ihr, während sie sich selbst in körperlichen Schmerzen wand und wehklagte, jeweilig mit zur Heiterkeit verzogener Miene etwas zu erzählen wußte. Sie war an ihrer Schwester die kalte Haltung zu ihren Leiden gewohnt, ja sie hatte ihr diese befohlen! Nicht, daß Dora nicht zu helfen bereit gewesen wäre, soweit sie konnte, im Gegentheil, sie hatte wirkliches Mitgefühl; aber die Leidende wollte von ihrem Zustande kein Aufhebens gemacht wissen. Dem jungen Hauslehrer, den sie geheirathet hatte, wollte sie das Opfer seiner Jugend nicht zu schwer gemacht haben. Mitten in dem Ausbrechen ihrer Eifersucht, die jedoch bei dieser Prüfung alter Briefschaften von Dora niedergehalten wurde, konnte sie ihrer fast athemlosen Brust die Gewalt anthun, auszurufen: Auf meinem Grabe wird man lesen, das ist die Frau, die Wittwe, die sich vor einem bösen, verwilderten

Schreibbureaus. Zugleich wußte man, daß die unbescholten Dastehende in den Verdacht gebracht werden sollte, daß sie es, wie in solchen Fällen die Leute sich ausdrücken, „mit dem Herrn hielte.“

Auf einige Stunden trat Ruhe ein. Die Wiederherstellung der alten Ordnung im Hause mußte so geräuschlos wie möglich von Statten gehen. Die Commerzienräthin hatte sich wieder vor Fieber auf’s Bett gelegt. Die Prüfung der Briefkapsel überließ sie ihrer Schwester, die ihr, während sie sich selbst in körperlichen Schmerzen wand und wehklagte, jeweilig mit zur Heiterkeit verzogener Miene etwas zu erzählen wußte. Sie war an ihrer Schwester die kalte Haltung zu ihren Leiden gewohnt, ja sie hatte ihr diese befohlen! Nicht, daß Dora nicht zu helfen bereit gewesen wäre, soweit sie konnte, im Gegentheil, sie hatte wirkliches Mitgefühl; aber die Leidende wollte von ihrem Zustande kein Aufhebens gemacht wissen. Dem jungen Hauslehrer, den sie geheirathet hatte, wollte sie das Opfer seiner Jugend nicht zu schwer gemacht haben. Mitten in dem Ausbrechen ihrer Eifersucht, die jedoch bei dieser Prüfung alter Briefschaften von Dora niedergehalten wurde, konnte sie ihrer fast athemlosen Brust die Gewalt anthun, auszurufen: Auf meinem Grabe wird man lesen, das ist die Frau, die Wittwe, die sich vor einem bösen, verwilderten

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[29/0035] Schreibbureaus. Zugleich wußte man, daß die unbescholten Dastehende in den Verdacht gebracht werden sollte, daß sie es, wie in solchen Fällen die Leute sich ausdrücken, „mit dem Herrn hielte.“ Auf einige Stunden trat Ruhe ein. Die Wiederherstellung der alten Ordnung im Hause mußte so geräuschlos wie möglich von Statten gehen. Die Commerzienräthin hatte sich wieder vor Fieber auf’s Bett gelegt. Die Prüfung der Briefkapsel überließ sie ihrer Schwester, die ihr, während sie sich selbst in körperlichen Schmerzen wand und wehklagte, jeweilig mit zur Heiterkeit verzogener Miene etwas zu erzählen wußte. Sie war an ihrer Schwester die kalte Haltung zu ihren Leiden gewohnt, ja sie hatte ihr diese befohlen! Nicht, daß Dora nicht zu helfen bereit gewesen wäre, soweit sie konnte, im Gegentheil, sie hatte wirkliches Mitgefühl; aber die Leidende wollte von ihrem Zustande kein Aufhebens gemacht wissen. Dem jungen Hauslehrer, den sie geheirathet hatte, wollte sie das Opfer seiner Jugend nicht zu schwer gemacht haben. Mitten in dem Ausbrechen ihrer Eifersucht, die jedoch bei dieser Prüfung alter Briefschaften von Dora niedergehalten wurde, konnte sie ihrer fast athemlosen Brust die Gewalt anthun, auszurufen: Auf meinem Grabe wird man lesen, das ist die Frau, die Wittwe, die sich vor einem bösen, verwilderten

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/35>, abgerufen am 24.11.2024.