Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.Thaler hatte sie geschrieben: "Sie denken wohl gar, ich werde mich mit meiner Großmama und dem alten Bär, dem Marloff, in ein Hinterstübchen setzen und von den Zinsen dieses Capitals so bemessen leben, daß ich alle Jahre allenfalls eine kleine Badereise nach Kösen und Marienbad unternehmen kann? Fällt mir nicht ein! Ich bin Edwina Marloff, und ändre zuerst das Schild an meiner Thür! Die Wohnung überhaupt ist mir zu klein. Ich nehme eine größere. Für eine Duenna im Hause ist durch eine Anzeige gesorgt. Ich prüfe genau die Empfehlungen. Sie können sich denken, daß ich keine gewöhnliche alte Tante in's Haus nehme, sondern eine Dame von Welt. Im Wesentlichen mache ich, um mein Geheimniß zu verrathen, einen Luxus, als wenn ich das Zehnfache besäße. Dann wird zwar mein Vermögen in zwei Jahren verausgabt sein, ich habe aber einen Mann und habe ich keinen - dann apres moi le deluge." Das war nun zu Ottomars größtem Erstaunen die Frucht dieser sokratischen Erziehung! Dieser Weltphilosophie, oder, wie Graf Udo beim Scheiden und der Rückkehr nach Hochlinden zugestand, dieses vier Jahre lang durch den Nimbus eines gräflichen Vaters niedergehaltenen, von Kindheit an eingesogenen, unerzogenen Leichtsinns! Ob dies System wirklich zur Ausführung Thaler hatte sie geschrieben: „Sie denken wohl gar, ich werde mich mit meiner Großmama und dem alten Bär, dem Marloff, in ein Hinterstübchen setzen und von den Zinsen dieses Capitals so bemessen leben, daß ich alle Jahre allenfalls eine kleine Badereise nach Kösen und Marienbad unternehmen kann? Fällt mir nicht ein! Ich bin Edwina Marloff, und ändre zuerst das Schild an meiner Thür! Die Wohnung überhaupt ist mir zu klein. Ich nehme eine größere. Für eine Duenna im Hause ist durch eine Anzeige gesorgt. Ich prüfe genau die Empfehlungen. Sie können sich denken, daß ich keine gewöhnliche alte Tante in’s Haus nehme, sondern eine Dame von Welt. Im Wesentlichen mache ich, um mein Geheimniß zu verrathen, einen Luxus, als wenn ich das Zehnfache besäße. Dann wird zwar mein Vermögen in zwei Jahren verausgabt sein, ich habe aber einen Mann und habe ich keinen – dann après moi le déluge.“ Das war nun zu Ottomars größtem Erstaunen die Frucht dieser sokratischen Erziehung! Dieser Weltphilosophie, oder, wie Graf Udo beim Scheiden und der Rückkehr nach Hochlinden zugestand, dieses vier Jahre lang durch den Nimbus eines gräflichen Vaters niedergehaltenen, von Kindheit an eingesogenen, unerzogenen Leichtsinns! Ob dies System wirklich zur Ausführung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0071" n="65"/> Thaler hatte sie geschrieben: „Sie denken wohl gar, ich werde mich mit meiner Großmama und dem alten Bär, dem Marloff, in ein Hinterstübchen setzen und von den Zinsen dieses Capitals so bemessen leben, daß ich alle Jahre allenfalls eine kleine Badereise nach <ref xml:id="TEXTKoesen" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLKoesen">Kösen</ref> und Marienbad unternehmen kann? Fällt mir nicht ein! Ich bin Edwina Marloff, und ändre zuerst das Schild an meiner Thür! Die Wohnung überhaupt ist mir zu klein. Ich nehme eine größere. Für eine <ref xml:id="TEXTDuenna" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLDuenna">Duenna</ref> im Hause ist durch eine Anzeige gesorgt. Ich prüfe genau die Empfehlungen. Sie können sich denken, daß ich keine gewöhnliche alte Tante in’s Haus nehme, sondern eine Dame von Welt. Im Wesentlichen mache ich, um mein Geheimniß zu verrathen, einen Luxus, als wenn ich das Zehnfache besäße. Dann wird zwar mein Vermögen in zwei Jahren verausgabt sein, ich habe aber einen Mann und habe ich keinen – dann <ref xml:id="TEXTaprêsBISdéluge" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLaprêsBISdéluge"><hi rendition="#aq">après moi le déluge</hi></ref>.“ </p> <p>Das war nun zu Ottomars größtem Erstaunen die Frucht dieser sokratischen Erziehung! Dieser Weltphilosophie, oder, wie Graf Udo beim Scheiden und der Rückkehr nach Hochlinden zugestand, dieses vier Jahre lang durch den Nimbus eines gräflichen Vaters niedergehaltenen, von Kindheit an eingesogenen, unerzogenen Leichtsinns! Ob dies System wirklich zur Ausführung </p> </div> </body> </text> </TEI> [65/0071]
Thaler hatte sie geschrieben: „Sie denken wohl gar, ich werde mich mit meiner Großmama und dem alten Bär, dem Marloff, in ein Hinterstübchen setzen und von den Zinsen dieses Capitals so bemessen leben, daß ich alle Jahre allenfalls eine kleine Badereise nach Kösen und Marienbad unternehmen kann? Fällt mir nicht ein! Ich bin Edwina Marloff, und ändre zuerst das Schild an meiner Thür! Die Wohnung überhaupt ist mir zu klein. Ich nehme eine größere. Für eine Duenna im Hause ist durch eine Anzeige gesorgt. Ich prüfe genau die Empfehlungen. Sie können sich denken, daß ich keine gewöhnliche alte Tante in’s Haus nehme, sondern eine Dame von Welt. Im Wesentlichen mache ich, um mein Geheimniß zu verrathen, einen Luxus, als wenn ich das Zehnfache besäße. Dann wird zwar mein Vermögen in zwei Jahren verausgabt sein, ich habe aber einen Mann und habe ich keinen – dann après moi le déluge.“
Das war nun zu Ottomars größtem Erstaunen die Frucht dieser sokratischen Erziehung! Dieser Weltphilosophie, oder, wie Graf Udo beim Scheiden und der Rückkehr nach Hochlinden zugestand, dieses vier Jahre lang durch den Nimbus eines gräflichen Vaters niedergehaltenen, von Kindheit an eingesogenen, unerzogenen Leichtsinns! Ob dies System wirklich zur Ausführung
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