Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Antlitz leuchtete, das nicht mehr da war. Aber
welch' ein tiefer Abgrund ist das weibliche Herz!
Wally tobte wie eine Bacchantin. Sie lief,
sie schrie, sie riß die Zimmer ihres Gatten auf,
der nirgends zu finden war. Sie verbot unter
jeder Bedingung, den entsetzlichen Leichnam in
das Haus zu tragen. Wäre Jeronimo nicht
todt gewesen, jetzt hätte sie ihn umbrin¬
gen können. Sie rief nach Cäsar. Bedienten
eilten fort; man traf ihn nicht. Sie schickte
zwei-, dreimal. Zuletzt ließ sie ihm sagen, daß
er am folgenden Morgen um sechs Uhr reise¬
fertig in ihrem Hotel eintreffen sollte.

Hier war kein Besinnen, kein Abrathen
mehr möglich. Alles mußte Hand anlegen, um
ihre Sachen zu ordnen und das Nöthigste auf
den Reisewagen zu packen, der unter den Thor¬
weg gezogen wurde. Die Post wurde zur Mi¬
nute bestellt. Wally war wie verzaubert. Sie

Antlitz leuchtete, das nicht mehr da war. Aber
welch' ein tiefer Abgrund iſt das weibliche Herz!
Wally tobte wie eine Bacchantin. Sie lief,
ſie ſchrie, ſie riß die Zimmer ihres Gatten auf,
der nirgends zu finden war. Sie verbot unter
jeder Bedingung, den entſetzlichen Leichnam in
das Haus zu tragen. Wäre Jeronimo nicht
todt geweſen, jetzt hätte ſie ihn umbrin¬
gen können. Sie rief nach Cäſar. Bedienten
eilten fort; man traf ihn nicht. Sie ſchickte
zwei-, dreimal. Zuletzt ließ ſie ihm ſagen, daß
er am folgenden Morgen um ſechs Uhr reiſe¬
fertig in ihrem Hotel eintreffen ſollte.

Hier war kein Beſinnen, kein Abrathen
mehr möglich. Alles mußte Hand anlegen, um
ihre Sachen zu ordnen und das Nöthigſte auf
den Reiſewagen zu packen, der unter den Thor¬
weg gezogen wurde. Die Poſt wurde zur Mi¬
nute beſtellt. Wally war wie verzaubert. Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0207" n="198"/>
Antlitz leuchtete, das nicht mehr da war. Aber<lb/>
welch' ein tiefer Abgrund i&#x017F;t das weibliche Herz!<lb/>
Wally tobte wie eine Bacchantin. Sie lief,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chrie, &#x017F;ie riß die Zimmer ihres Gatten auf,<lb/>
der nirgends zu finden war. Sie verbot unter<lb/>
jeder Bedingung, den ent&#x017F;etzlichen Leichnam in<lb/>
das Haus zu tragen. Wäre Jeronimo nicht<lb/>
todt gewe&#x017F;en, jetzt hätte &#x017F;ie ihn umbrin¬<lb/>
gen können. Sie rief nach Cä&#x017F;ar. Bedienten<lb/>
eilten fort; man traf ihn nicht. Sie &#x017F;chickte<lb/>
zwei-, dreimal. Zuletzt ließ &#x017F;ie ihm &#x017F;agen, daß<lb/>
er am folgenden Morgen um &#x017F;echs Uhr rei&#x017F;e¬<lb/>
fertig in ihrem Hotel eintreffen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Hier war kein Be&#x017F;innen, kein Abrathen<lb/>
mehr möglich. Alles mußte Hand anlegen, um<lb/>
ihre Sachen zu ordnen und das Nöthig&#x017F;te auf<lb/>
den Rei&#x017F;ewagen zu packen, der unter den Thor¬<lb/>
weg gezogen wurde. Die Po&#x017F;t wurde zur Mi¬<lb/>
nute be&#x017F;tellt. Wally war wie verzaubert. Sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0207] Antlitz leuchtete, das nicht mehr da war. Aber welch' ein tiefer Abgrund iſt das weibliche Herz! Wally tobte wie eine Bacchantin. Sie lief, ſie ſchrie, ſie riß die Zimmer ihres Gatten auf, der nirgends zu finden war. Sie verbot unter jeder Bedingung, den entſetzlichen Leichnam in das Haus zu tragen. Wäre Jeronimo nicht todt geweſen, jetzt hätte ſie ihn umbrin¬ gen können. Sie rief nach Cäſar. Bedienten eilten fort; man traf ihn nicht. Sie ſchickte zwei-, dreimal. Zuletzt ließ ſie ihm ſagen, daß er am folgenden Morgen um ſechs Uhr reiſe¬ fertig in ihrem Hotel eintreffen ſollte. Hier war kein Beſinnen, kein Abrathen mehr möglich. Alles mußte Hand anlegen, um ihre Sachen zu ordnen und das Nöthigſte auf den Reiſewagen zu packen, der unter den Thor¬ weg gezogen wurde. Die Poſt wurde zur Mi¬ nute beſtellt. Wally war wie verzaubert. Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/207
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/207>, abgerufen am 18.05.2024.