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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

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Sarg und den nachstürzenden Kopf greift un¬
ser Arzt auf. Oben muß das Schaffot sein. Der
Mann drückt das blutige Haupt stürmisch auf
den rauchenden Körper, paßt Fuge auf Fuge,
Ader auf Ader, und legt einen Silberreifen
um die gierig zusammenklaffenden Fleischrän¬
der beider Theile. Er dreht sich um, und
Leben, galvanisches Leben regt sich in dem
Körper und der Leichnam erhebt sich, ein
blasser, schöner Jüngling und schleicht zur
Pforte hinaus. Dort, dort -- eine grüne
Flur -- ein Mädchen, das Rosen bricht und
im Schatten der Allee ausruht. Ein bleiches,
gespenstisches Bild schleicht zu ihr heran, spricht
nicht, sondern lächelt. Sie umarmt ihn, sie
scherzt, sie lacht; er hat auf sich warten las¬
sen, er sei untreu, er gehe zu Doris, er gehe
zu Galathee, du Lieber! Und sie küßt sei¬
nen blassen Mund -- O, röchelt er, drücke

Sarg und den nachſtürzenden Kopf greift un¬
ſer Arzt auf. Oben muß das Schaffot ſein. Der
Mann drückt das blutige Haupt ſtürmiſch auf
den rauchenden Körper, paßt Fuge auf Fuge,
Ader auf Ader, und legt einen Silberreifen
um die gierig zuſammenklaffenden Fleiſchrän¬
der beider Theile. Er dreht ſich um, und
Leben, galvaniſches Leben regt ſich in dem
Körper und der Leichnam erhebt ſich, ein
blaſſer, ſchöner Jüngling und ſchleicht zur
Pforte hinaus. Dort, dort — eine grüne
Flur — ein Mädchen, das Roſen bricht und
im Schatten der Allee ausruht. Ein bleiches,
geſpenſtiſches Bild ſchleicht zu ihr heran, ſpricht
nicht, ſondern lächelt. Sie umarmt ihn, ſie
ſcherzt, ſie lacht; er hat auf ſich warten laſ¬
ſen, er ſei untreu, er gehe zu Doris, er gehe
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[258/0267] Sarg und den nachſtürzenden Kopf greift un¬ ſer Arzt auf. Oben muß das Schaffot ſein. Der Mann drückt das blutige Haupt ſtürmiſch auf den rauchenden Körper, paßt Fuge auf Fuge, Ader auf Ader, und legt einen Silberreifen um die gierig zuſammenklaffenden Fleiſchrän¬ der beider Theile. Er dreht ſich um, und Leben, galvaniſches Leben regt ſich in dem Körper und der Leichnam erhebt ſich, ein blaſſer, ſchöner Jüngling und ſchleicht zur Pforte hinaus. Dort, dort — eine grüne Flur — ein Mädchen, das Roſen bricht und im Schatten der Allee ausruht. Ein bleiches, geſpenſtiſches Bild ſchleicht zu ihr heran, ſpricht nicht, ſondern lächelt. Sie umarmt ihn, ſie ſcherzt, ſie lacht; er hat auf ſich warten laſ¬ ſen, er ſei untreu, er gehe zu Doris, er gehe zu Galathee, du Lieber! Und ſie küßt ſei¬ nen blaſſen Mund — O, röchelt er, drücke

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/267>, abgerufen am 22.11.2024.