thums. Das Christenthum selbst liegt darüber hinaus: das heißt, vage Begriffe über ein ge¬ scheitertes historisches Ereigniß wurden von Män¬ nern herumgetragen, die dabei betheiligt gewe¬ sen waren. Die Apostel hatten die Fähigkeit nicht gehabt, eine Begebenheit zu verstehen, welche mit sich selbst in Widersprüchen lag; sie konnten sich nur der Wirksamkeit nicht ent¬ schlagen, welche eine so bedeutende Persönlich¬ keit, wie die ihres Lehrers, auf sie ausübte: sie glaubten seinen dreisten Behauptungen, daß er der Messias wäre und fanden bei der Ver¬ breitung dieser Ansicht darin eine Unterstützung, daß Jesus seine baldige Wiederkunft verspro¬ chen hatte. So entspann sich ein romantisches Truggewebe von Wundern, subjektiven, die Jesus verrichtet habe, objektiven, die an ihm selbst geschehen wären. Die Apostel übersahen, wie sehr die Mehrzahl dieser Wunder, welche eher auf einen Eskamoteur, als auf einen Pro¬
thums. Das Chriſtenthum ſelbſt liegt darüber hinaus: das heißt, vage Begriffe über ein ge¬ ſcheitertes hiſtoriſches Ereigniß wurden von Män¬ nern herumgetragen, die dabei betheiligt gewe¬ ſen waren. Die Apoſtel hatten die Fähigkeit nicht gehabt, eine Begebenheit zu verſtehen, welche mit ſich ſelbſt in Widerſprüchen lag; ſie konnten ſich nur der Wirkſamkeit nicht ent¬ ſchlagen, welche eine ſo bedeutende Perſönlich¬ keit, wie die ihres Lehrers, auf ſie ausübte: ſie glaubten ſeinen dreiſten Behauptungen, daß er der Meſſias wäre und fanden bei der Ver¬ breitung dieſer Anſicht darin eine Unterſtützung, daß Jeſus ſeine baldige Wiederkunft verſpro¬ chen hatte. So entſpann ſich ein romantiſches Truggewebe von Wundern, ſubjektiven, die Jeſus verrichtet habe, objektiven, die an ihm ſelbſt geſchehen wären. Die Apoſtel überſahen, wie ſehr die Mehrzahl dieſer Wunder, welche eher auf einen Eskamoteur, als auf einen Pro¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0285"n="278[276]"/>
thums. Das Chriſtenthum ſelbſt liegt darüber<lb/>
hinaus: das heißt, vage Begriffe über ein ge¬<lb/>ſcheitertes hiſtoriſches Ereigniß wurden von Män¬<lb/>
nern herumgetragen, die dabei betheiligt gewe¬<lb/>ſen waren. Die Apoſtel hatten die Fähigkeit<lb/>
nicht gehabt, eine Begebenheit zu verſtehen,<lb/>
welche mit ſich ſelbſt in Widerſprüchen lag;<lb/>ſie konnten ſich nur der Wirkſamkeit nicht ent¬<lb/>ſchlagen, welche eine ſo bedeutende Perſönlich¬<lb/>
keit, wie die ihres Lehrers, auf ſie ausübte:<lb/>ſie glaubten ſeinen dreiſten Behauptungen, daß<lb/>
er der Meſſias wäre und fanden bei der Ver¬<lb/>
breitung dieſer Anſicht darin eine Unterſtützung,<lb/>
daß Jeſus ſeine baldige Wiederkunft verſpro¬<lb/>
chen hatte. So entſpann ſich ein romantiſches<lb/>
Truggewebe von Wundern, ſubjektiven, die<lb/>
Jeſus verrichtet habe, objektiven, die an ihm<lb/>ſelbſt geſchehen wären. Die Apoſtel überſahen,<lb/>
wie ſehr die Mehrzahl dieſer Wunder, welche<lb/>
eher auf einen Eskamoteur, als auf einen Pro¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[278[276]/0285]
thums. Das Chriſtenthum ſelbſt liegt darüber
hinaus: das heißt, vage Begriffe über ein ge¬
ſcheitertes hiſtoriſches Ereigniß wurden von Män¬
nern herumgetragen, die dabei betheiligt gewe¬
ſen waren. Die Apoſtel hatten die Fähigkeit
nicht gehabt, eine Begebenheit zu verſtehen,
welche mit ſich ſelbſt in Widerſprüchen lag;
ſie konnten ſich nur der Wirkſamkeit nicht ent¬
ſchlagen, welche eine ſo bedeutende Perſönlich¬
keit, wie die ihres Lehrers, auf ſie ausübte:
ſie glaubten ſeinen dreiſten Behauptungen, daß
er der Meſſias wäre und fanden bei der Ver¬
breitung dieſer Anſicht darin eine Unterſtützung,
daß Jeſus ſeine baldige Wiederkunft verſpro¬
chen hatte. So entſpann ſich ein romantiſches
Truggewebe von Wundern, ſubjektiven, die
Jeſus verrichtet habe, objektiven, die an ihm
ſelbſt geſchehen wären. Die Apoſtel überſahen,
wie ſehr die Mehrzahl dieſer Wunder, welche
eher auf einen Eskamoteur, als auf einen Pro¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 278[276]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/285>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.