dem sie wieder zur Besinnung gekommen war, denn noch war sie nicht närrisch; aber sie wurde es; schon durch die Ungewißheit, das Herumlaufen, Fragen, Erkundigen, Abgewiesen¬ werden, durch impertinente Bedienten, durch die Schaam, den Mann am Brunnen und auf der Promenade zu sehen, und ihm nicht zu Füßen fallen zu dürfen. Sie war den Winter über ganz still. Mit dem Frühjahr wurde sie unruhig, holte immer tiefere Seufzer, schüttelte viel den Kopf, und nun steht sie seit dem ersten Mai zu jeder Stunde des Tages hinter den beiden Indien und muß immer mehr erkranken, schon am Son¬ nenstich. Sie sieht in jede Kutsche und schämt sich, wenn man ihr Geld zuwirft. Sie ist für alle Schwalbacher Bettler der Lockvogel, oder der mit Honig ausgefüllte Stock, um die wilden Almosen-Bienen zu fangen. Sie ist die unschul¬ dige Heilige, die stumm für sie Alle bittet, und nichts davon hat, als immer tiefern Wahnsinn."
dem ſie wieder zur Beſinnung gekommen war, denn noch war ſie nicht närriſch; aber ſie wurde es; ſchon durch die Ungewißheit, das Herumlaufen, Fragen, Erkundigen, Abgewieſen¬ werden, durch impertinente Bedienten, durch die Schaam, den Mann am Brunnen und auf der Promenade zu ſehen, und ihm nicht zu Füßen fallen zu dürfen. Sie war den Winter über ganz ſtill. Mit dem Frühjahr wurde ſie unruhig, holte immer tiefere Seufzer, ſchüttelte viel den Kopf, und nun ſteht ſie ſeit dem erſten Mai zu jeder Stunde des Tages hinter den beiden Indien und muß immer mehr erkranken, ſchon am Son¬ nenſtich. Sie ſieht in jede Kutſche und ſchämt ſich, wenn man ihr Geld zuwirft. Sie iſt für alle Schwalbacher Bettler der Lockvogel, oder der mit Honig ausgefüllte Stock, um die wilden Almoſen-Bienen zu fangen. Sie iſt die unſchul¬ dige Heilige, die ſtumm für ſie Alle bittet, und nichts davon hat, als immer tiefern Wahnſinn.“
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dem ſie wieder zur Beſinnung gekommen war,
denn noch war ſie nicht närriſch; aber ſie
wurde es; ſchon durch die Ungewißheit, das
Herumlaufen, Fragen, Erkundigen, Abgewieſen¬
werden, durch impertinente Bedienten, durch die
Schaam, den Mann am Brunnen und auf der
Promenade zu ſehen, und ihm nicht zu Füßen
fallen zu dürfen. Sie war den Winter über
ganz ſtill. Mit dem Frühjahr wurde ſie unruhig,
holte immer tiefere Seufzer, ſchüttelte viel den
Kopf, und nun ſteht ſie ſeit dem erſten Mai zu
jeder Stunde des Tages hinter den beiden Indien
und muß immer mehr erkranken, ſchon am Son¬
nenſtich. Sie ſieht in jede Kutſche und ſchämt
ſich, wenn man ihr Geld zuwirft. Sie iſt für
alle Schwalbacher Bettler der Lockvogel, oder
der mit Honig ausgefüllte Stock, um die wilden
Almoſen-Bienen zu fangen. Sie iſt die unſchul¬
dige Heilige, die ſtumm für ſie Alle bittet, und
nichts davon hat, als immer tiefern Wahnſinn.“
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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/66>, abgerufen am 21.11.2024.
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