Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.in jeder Beziehung das Jahrhundert charakterisirt, entspringt keineswegs ausschließlich aus der Eifersucht auf politische Berechtigung, sondern noch mehr aus der Vorsicht, sich über die Allgemeinheiten unserer Existenz beruhigen zu wollen. Das Nivellement reißt gewaltsam und unwiderstehlich ein, das Jndividuum rafft so viel Kraft zusammen, als es braucht, um sich in dem Strome der Verallgemeinerung sein isolirtes Jnteresse zu erhalten und irgend einen Standpunkt, den es selbst gern einnehmen möchte, als dauernd zu fixiren. Die erste große Erscheinung unseres Jahrhunderts beweist die Richtigkeit dieser Ausführung. Die Revolution gebar aus ihrem Schooße einen Tyrannen, der sie bändigte. Napoleon planirte dieß zackige, hundertfach eingerissene Ufer der Revolution, wo eine freche und lüsterne Begier des Jndividuums, sich selbst an die Spitze der Ereignisse zu stellen, eine Reihenfolge der unglückseligsten Schiffbrüche hervorbrachte. Napoleon stieg aus den Alpenklüften über die Straße des Simplon hinunter in die breite italiänische Ebene, wo zum Erstenmale der Krieg der Massen begann, die Parteien zu Armeen, die Armeen zu Völkern wurden. Es ist nicht schwer, von dem Auf- und Niedergang dieses großen historischen Meteors bis auf den heutigen Moment die allmähliche Tendenz der Ereignisse zu verfolgen; wie sie alle darnach strebten, zuvörderst Klarheit und Rechtmäßigkeit in den Völkerexistenzen zu begründen, ihnen sodann constitutionelle Hebel und Beruhigungen zu geben und in jeder Beziehung das Jahrhundert charakterisirt, entspringt keineswegs ausschließlich aus der Eifersucht auf politische Berechtigung, sondern noch mehr aus der Vorsicht, sich über die Allgemeinheiten unserer Existenz beruhigen zu wollen. Das Nivellement reißt gewaltsam und unwiderstehlich ein, das Jndividuum rafft so viel Kraft zusammen, als es braucht, um sich in dem Strome der Verallgemeinerung sein isolirtes Jnteresse zu erhalten und irgend einen Standpunkt, den es selbst gern einnehmen möchte, als dauernd zu fixiren. Die erste große Erscheinung unseres Jahrhunderts beweist die Richtigkeit dieser Ausführung. Die Revolution gebar aus ihrem Schooße einen Tyrannen, der sie bändigte. Napoleon planirte dieß zackige, hundertfach eingerissene Ufer der Revolution, wo eine freche und lüsterne Begier des Jndividuums, sich selbst an die Spitze der Ereignisse zu stellen, eine Reihenfolge der unglückseligsten Schiffbrüche hervorbrachte. Napoleon stieg aus den Alpenklüften über die Straße des Simplon hinunter in die breite italiänische Ebene, wo zum Erstenmale der Krieg der Massen begann, die Parteien zu Armeen, die Armeen zu Völkern wurden. Es ist nicht schwer, von dem Auf- und Niedergang dieses großen historischen Meteors bis auf den heutigen Moment die allmähliche Tendenz der Ereignisse zu verfolgen; wie sie alle darnach strebten, zuvörderst Klarheit und Rechtmäßigkeit in den Völkerexistenzen zu begründen, ihnen sodann constitutionelle Hebel und Beruhigungen zu geben und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="76"/> in jeder Beziehung das Jahrhundert charakterisirt, entspringt keineswegs ausschließlich aus der Eifersucht auf politische Berechtigung, sondern noch mehr aus der Vorsicht, sich über die Allgemeinheiten unserer Existenz beruhigen zu wollen. Das Nivellement reißt gewaltsam und unwiderstehlich ein, das Jndividuum rafft so viel Kraft zusammen, als es braucht, um sich in dem Strome der Verallgemeinerung sein isolirtes Jnteresse zu erhalten und irgend einen Standpunkt, den es selbst gern einnehmen möchte, als dauernd zu fixiren.</p> <p>Die erste große Erscheinung unseres Jahrhunderts beweist die Richtigkeit dieser Ausführung. Die Revolution gebar aus ihrem Schooße einen Tyrannen, der sie bändigte. Napoleon planirte dieß zackige, hundertfach eingerissene Ufer der Revolution, wo eine freche und lüsterne Begier des Jndividuums, sich selbst an die Spitze der Ereignisse zu stellen, eine Reihenfolge der unglückseligsten Schiffbrüche hervorbrachte. Napoleon stieg aus den Alpenklüften über die Straße des Simplon hinunter in die breite italiänische Ebene, wo zum Erstenmale der Krieg der Massen begann, die Parteien zu Armeen, die Armeen zu Völkern wurden. Es ist nicht schwer, von dem Auf- und Niedergang dieses großen historischen Meteors bis auf den heutigen Moment die allmähliche Tendenz der Ereignisse zu verfolgen; wie sie alle darnach strebten, zuvörderst Klarheit und Rechtmäßigkeit in den Völkerexistenzen zu begründen, ihnen sodann constitutionelle Hebel und Beruhigungen zu geben und </p> </div> </body> </text> </TEI> [76/0104]
in jeder Beziehung das Jahrhundert charakterisirt, entspringt keineswegs ausschließlich aus der Eifersucht auf politische Berechtigung, sondern noch mehr aus der Vorsicht, sich über die Allgemeinheiten unserer Existenz beruhigen zu wollen. Das Nivellement reißt gewaltsam und unwiderstehlich ein, das Jndividuum rafft so viel Kraft zusammen, als es braucht, um sich in dem Strome der Verallgemeinerung sein isolirtes Jnteresse zu erhalten und irgend einen Standpunkt, den es selbst gern einnehmen möchte, als dauernd zu fixiren.
Die erste große Erscheinung unseres Jahrhunderts beweist die Richtigkeit dieser Ausführung. Die Revolution gebar aus ihrem Schooße einen Tyrannen, der sie bändigte. Napoleon planirte dieß zackige, hundertfach eingerissene Ufer der Revolution, wo eine freche und lüsterne Begier des Jndividuums, sich selbst an die Spitze der Ereignisse zu stellen, eine Reihenfolge der unglückseligsten Schiffbrüche hervorbrachte. Napoleon stieg aus den Alpenklüften über die Straße des Simplon hinunter in die breite italiänische Ebene, wo zum Erstenmale der Krieg der Massen begann, die Parteien zu Armeen, die Armeen zu Völkern wurden. Es ist nicht schwer, von dem Auf- und Niedergang dieses großen historischen Meteors bis auf den heutigen Moment die allmähliche Tendenz der Ereignisse zu verfolgen; wie sie alle darnach strebten, zuvörderst Klarheit und Rechtmäßigkeit in den Völkerexistenzen zu begründen, ihnen sodann constitutionelle Hebel und Beruhigungen zu geben und
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/104>, abgerufen am 16.02.2025. |