Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Reaktion gegen den Jdealismus durch das plötzliche Erscheinen der Cholera ausgedrückt scheint. Jch weiß zwar, daß Doktor Heftpflaster das einzige spezifische Mittel gegen sie besitzt: ich will es dem gelehrten Herrn nicht streitig machen, daß er Tag und Nacht seinen Gott bittet, nämlich die Zirbeldrüse der Welt, wie er seinen Gott nennt, er möchte England die Cholera und seinem Specificum, das er nicht bekannt macht, den Triumph bringen. Aber England bleibt von dieser Seuche so ziemlich verschont. Warum? Aus demselben Grunde, weßhalb nur der Continent von ihr heimgesucht wurde.

Um mich deutlicher zu erklären, die jetzige Richtung des Continents geht auf ein Ziel hin, das in England allgemein genug verbreitet ist. Wir stecken zu tief in dem Mechanismus der modernen Jndustrieinteressen inne, als daß wir durch die Cholera erst aus der Träumerei an die Wirklichkeit, die längst unser Bauch und unser Gott ist, brauchten erinnert zu werden. Die Jdeenanarchie bedurfte eines Reagens. Der große asiatische Uterus der Geschichte, der Europa schon so viel Anstöße gegeben hat, that sich auf und spie die Pest über uns aus. Jm Mittelalter sandte uns Asien den schwarzen Tod. Der schwarze Tod schuf den religiösen Pietismus. Der Pietismus schuf die Reformation. Die Cholera hat eine ähnliche Bestimmung. Die Cholera schuf eine überwiegende Tendenz zum Materialismus; denn er purgirte den Jdealismus, der sich übergessen und übertrunken hatte, und aus dessen verdorbenem

Reaktion gegen den Jdealismus durch das plötzliche Erscheinen der Cholera ausgedrückt scheint. Jch weiß zwar, daß Doktor Heftpflaster das einzige spezifische Mittel gegen sie besitzt: ich will es dem gelehrten Herrn nicht streitig machen, daß er Tag und Nacht seinen Gott bittet, nämlich die Zirbeldrüse der Welt, wie er seinen Gott nennt, er möchte England die Cholera und seinem Specificum, das er nicht bekannt macht, den Triumph bringen. Aber England bleibt von dieser Seuche so ziemlich verschont. Warum? Aus demselben Grunde, weßhalb nur der Continent von ihr heimgesucht wurde.

Um mich deutlicher zu erklären, die jetzige Richtung des Continents geht auf ein Ziel hin, das in England allgemein genug verbreitet ist. Wir stecken zu tief in dem Mechanismus der modernen Jndustrieinteressen inne, als daß wir durch die Cholera erst aus der Träumerei an die Wirklichkeit, die längst unser Bauch und unser Gott ist, brauchten erinnert zu werden. Die Jdeenanarchie bedurfte eines Reagens. Der große asiatische Uterus der Geschichte, der Europa schon so viel Anstöße gegeben hat, that sich auf und spie die Pest über uns aus. Jm Mittelalter sandte uns Asien den schwarzen Tod. Der schwarze Tod schuf den religiösen Pietismus. Der Pietismus schuf die Reformation. Die Cholera hat eine ähnliche Bestimmung. Die Cholera schuf eine überwiegende Tendenz zum Materialismus; denn er purgirte den Jdealismus, der sich übergessen und übertrunken hatte, und aus dessen verdorbenem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="102"/>
Reaktion gegen den Jdealismus durch das plötzliche Erscheinen der Cholera ausgedrückt scheint. Jch weiß zwar, daß Doktor Heftpflaster das einzige spezifische Mittel gegen sie besitzt: ich will es dem gelehrten Herrn nicht streitig machen, daß er Tag und Nacht seinen Gott bittet, nämlich die Zirbeldrüse der Welt, wie er seinen Gott nennt, er möchte England die Cholera und seinem Specificum, das er nicht bekannt macht, den Triumph bringen. Aber England bleibt von dieser Seuche so ziemlich verschont. Warum? Aus demselben Grunde, weßhalb nur der Continent von ihr heimgesucht wurde.</p>
        <p>Um mich deutlicher zu erklären, die jetzige Richtung des Continents geht auf ein Ziel hin, das in England allgemein genug verbreitet ist. Wir stecken zu tief in dem Mechanismus der modernen Jndustrieinteressen inne, als daß wir durch die Cholera erst aus der Träumerei an die Wirklichkeit, die längst unser Bauch und unser Gott ist, brauchten erinnert zu werden. Die Jdeenanarchie bedurfte eines Reagens. Der große asiatische Uterus der Geschichte, der Europa schon so viel Anstöße gegeben hat, that sich auf und spie die Pest über uns aus. Jm Mittelalter sandte uns Asien den schwarzen Tod. Der schwarze Tod schuf den religiösen Pietismus. Der Pietismus schuf die Reformation. Die Cholera hat eine ähnliche Bestimmung. Die Cholera schuf eine überwiegende Tendenz zum Materialismus; denn er purgirte den Jdealismus, der sich übergessen und übertrunken hatte, und aus dessen verdorbenem
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0130] Reaktion gegen den Jdealismus durch das plötzliche Erscheinen der Cholera ausgedrückt scheint. Jch weiß zwar, daß Doktor Heftpflaster das einzige spezifische Mittel gegen sie besitzt: ich will es dem gelehrten Herrn nicht streitig machen, daß er Tag und Nacht seinen Gott bittet, nämlich die Zirbeldrüse der Welt, wie er seinen Gott nennt, er möchte England die Cholera und seinem Specificum, das er nicht bekannt macht, den Triumph bringen. Aber England bleibt von dieser Seuche so ziemlich verschont. Warum? Aus demselben Grunde, weßhalb nur der Continent von ihr heimgesucht wurde. Um mich deutlicher zu erklären, die jetzige Richtung des Continents geht auf ein Ziel hin, das in England allgemein genug verbreitet ist. Wir stecken zu tief in dem Mechanismus der modernen Jndustrieinteressen inne, als daß wir durch die Cholera erst aus der Träumerei an die Wirklichkeit, die längst unser Bauch und unser Gott ist, brauchten erinnert zu werden. Die Jdeenanarchie bedurfte eines Reagens. Der große asiatische Uterus der Geschichte, der Europa schon so viel Anstöße gegeben hat, that sich auf und spie die Pest über uns aus. Jm Mittelalter sandte uns Asien den schwarzen Tod. Der schwarze Tod schuf den religiösen Pietismus. Der Pietismus schuf die Reformation. Die Cholera hat eine ähnliche Bestimmung. Die Cholera schuf eine überwiegende Tendenz zum Materialismus; denn er purgirte den Jdealismus, der sich übergessen und übertrunken hatte, und aus dessen verdorbenem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/130
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/130>, abgerufen am 21.11.2024.