Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Miß Sylvia! Sie erziehen nur Frauen, Sie geben nur Unterricht in der Naturgeschichte bis zu einem gewissen Grade, Sie kämpfen für die Emancipation des Weibes auf die edelste Art; denn was emancipirt das schöne Geschlecht besser und schneller, als die Kenntniß der Wissenschaften! Miß Sylvia hat mit vielen ihres Amtes gemein, daß sie durch körperliches Unbehagen frühzeitig daran gemahnt wurde, die große Welt, ja vielleicht ein männliches Herz werde sich ihnen nie erschließen. Miß Sylvia litt an vielen Uebeln. Jch kenne sie nicht. Jch werde auch nicht darnach fragen. Es genügt mir, daß sie meist sehr blaß aussah in ihrer Jugend, und daß sie niemals hoffen konnte, die Erbin eines reichen Vaters oder Oheims zu werden. Es ging ihr fast wie einem meiner Bekannten, der mir neulich unter heftigen Schmerzen klagte, er hätte von seinem Vater nichts als die Hämorrhoiden geerbt. Verzeihung, Miß, wenn ich den Anstand verletze! Die Dame, von der ich spreche, zeigte früh einen großen Wissenstrieb; sie wuchs weniger nach außen, als nach Jnnen. Sie hatte sogar das Unglück, daß bei dem rückschlagenden Wachsthum ihre Glieder das harmonische Gleichgewicht verloren und sie einer bis zum Höcker steigenden Verschiebung der Schulter wegen viele Jahre im Streckbett liegen mußte. Großer Gott! von sechzig Jahren, die man lebt, von fünfundvierzig, wo man das Bewußtseyn seines moralischen Daseyns hat, fünf Jahre in einer eisernen Maschine liegen, unbeweglich, Miß Sylvia! Sie erziehen nur Frauen, Sie geben nur Unterricht in der Naturgeschichte bis zu einem gewissen Grade, Sie kämpfen für die Emancipation des Weibes auf die edelste Art; denn was emancipirt das schöne Geschlecht besser und schneller, als die Kenntniß der Wissenschaften! Miß Sylvia hat mit vielen ihres Amtes gemein, daß sie durch körperliches Unbehagen frühzeitig daran gemahnt wurde, die große Welt, ja vielleicht ein männliches Herz werde sich ihnen nie erschließen. Miß Sylvia litt an vielen Uebeln. Jch kenne sie nicht. Jch werde auch nicht darnach fragen. Es genügt mir, daß sie meist sehr blaß aussah in ihrer Jugend, und daß sie niemals hoffen konnte, die Erbin eines reichen Vaters oder Oheims zu werden. Es ging ihr fast wie einem meiner Bekannten, der mir neulich unter heftigen Schmerzen klagte, er hätte von seinem Vater nichts als die Hämorrhoiden geerbt. Verzeihung, Miß, wenn ich den Anstand verletze! Die Dame, von der ich spreche, zeigte früh einen großen Wissenstrieb; sie wuchs weniger nach außen, als nach Jnnen. Sie hatte sogar das Unglück, daß bei dem rückschlagenden Wachsthum ihre Glieder das harmonische Gleichgewicht verloren und sie einer bis zum Höcker steigenden Verschiebung der Schulter wegen viele Jahre im Streckbett liegen mußte. Großer Gott! von sechzig Jahren, die man lebt, von fünfundvierzig, wo man das Bewußtseyn seines moralischen Daseyns hat, fünf Jahre in einer eisernen Maschine liegen, unbeweglich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0395" n="367"/> Miß Sylvia! Sie erziehen nur Frauen, Sie geben nur Unterricht in der Naturgeschichte bis zu einem gewissen Grade, Sie kämpfen für die Emancipation des Weibes auf die edelste Art; denn was emancipirt das schöne Geschlecht besser und schneller, als die Kenntniß der Wissenschaften!</p> <p>Miß Sylvia hat mit vielen ihres Amtes gemein, daß sie durch körperliches Unbehagen frühzeitig daran gemahnt wurde, die große Welt, ja vielleicht ein männliches Herz werde sich ihnen nie erschließen. Miß Sylvia litt an vielen Uebeln. Jch kenne sie nicht. Jch werde auch nicht darnach fragen. Es genügt mir, daß sie meist sehr blaß aussah in ihrer Jugend, und daß sie niemals hoffen konnte, die Erbin eines reichen Vaters oder Oheims zu werden. Es ging ihr fast wie einem meiner Bekannten, der mir neulich unter heftigen Schmerzen klagte, er hätte von seinem Vater nichts als die Hämorrhoiden geerbt. Verzeihung, Miß, wenn ich den Anstand verletze! Die Dame, von der ich spreche, zeigte früh einen großen Wissenstrieb; sie wuchs weniger nach außen, als nach Jnnen. Sie hatte sogar das Unglück, daß bei dem rückschlagenden Wachsthum ihre Glieder das harmonische Gleichgewicht verloren und sie einer bis zum Höcker steigenden Verschiebung der Schulter wegen viele Jahre im Streckbett liegen mußte. Großer Gott! von sechzig Jahren, die man lebt, von fünfundvierzig, wo man das Bewußtseyn seines moralischen Daseyns hat, fünf Jahre in einer eisernen Maschine liegen, unbeweglich, </p> </div> </body> </text> </TEI> [367/0395]
Miß Sylvia! Sie erziehen nur Frauen, Sie geben nur Unterricht in der Naturgeschichte bis zu einem gewissen Grade, Sie kämpfen für die Emancipation des Weibes auf die edelste Art; denn was emancipirt das schöne Geschlecht besser und schneller, als die Kenntniß der Wissenschaften!
Miß Sylvia hat mit vielen ihres Amtes gemein, daß sie durch körperliches Unbehagen frühzeitig daran gemahnt wurde, die große Welt, ja vielleicht ein männliches Herz werde sich ihnen nie erschließen. Miß Sylvia litt an vielen Uebeln. Jch kenne sie nicht. Jch werde auch nicht darnach fragen. Es genügt mir, daß sie meist sehr blaß aussah in ihrer Jugend, und daß sie niemals hoffen konnte, die Erbin eines reichen Vaters oder Oheims zu werden. Es ging ihr fast wie einem meiner Bekannten, der mir neulich unter heftigen Schmerzen klagte, er hätte von seinem Vater nichts als die Hämorrhoiden geerbt. Verzeihung, Miß, wenn ich den Anstand verletze! Die Dame, von der ich spreche, zeigte früh einen großen Wissenstrieb; sie wuchs weniger nach außen, als nach Jnnen. Sie hatte sogar das Unglück, daß bei dem rückschlagenden Wachsthum ihre Glieder das harmonische Gleichgewicht verloren und sie einer bis zum Höcker steigenden Verschiebung der Schulter wegen viele Jahre im Streckbett liegen mußte. Großer Gott! von sechzig Jahren, die man lebt, von fünfundvierzig, wo man das Bewußtseyn seines moralischen Daseyns hat, fünf Jahre in einer eisernen Maschine liegen, unbeweglich,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-09-13T12:39:16Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-09-13T12:39:16Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |