Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Hand, was der Zögling an Fortschritten leistet. Kömmt hier noch die Ausbildung des Körpers hinzu, so braucht man niemals zu moralisiren und kann doch die Ueberzeugung haben, daß man Tüchtiges erzieht. Mit der Religion würde ich meinen Zögling erst spät in Berührung bringen, noch später mit dem Christenthum. Daß er vom Christenthum schon vieles weiß, hindre ich nicht. Er hat aus der Bibel lesen gelernt, aber ich reproducire noch lange nicht die Bibel mit ihm, ich trag' ihm keine Dogmen vor; ich mach' ihn erst für das Wesen der Religion empfänglich, eh' ich ihn selbst Religion lehre. Das Lehren von Religion wird dann überhaupt erst in einem Stadium beginnen, wo ich nicht mehr Sorge tragen muß, daß mein Zögling erst aus den Lehren der Religion Religion lerne. Diese muß er längst haben. Was ich ihm als Dogma gebe, darf nur entweder Geschichte oder Philosophie seyn. Jch werd' ihm das Christenthum erklären. Jch werd' ihn in einem Momente mit der Dreieinigkeit bekannt machen, wo er darin keine sinnliche Vorstellung mehr findet, sondern ein Philosophem. Jch werde ihm die Gottheit Christi nicht einprägen, sondern nur erklären. Jch werde nicht die Tollheit begehen und ihm dadurch Religion geben wollen, daß ich ihm die Dreieinigkeit und die Gottheit Christi zu moralischen Verpflichtungen mache. Er soll Ehrfurcht haben vor diesen Dogmen, aber von ihnen keine Wunder erwarten. Jch bin gewiß, daß ich unter diesen Umständen einen Christen erziehe; denn er wird Einsicht genug haben

Hand, was der Zögling an Fortschritten leistet. Kömmt hier noch die Ausbildung des Körpers hinzu, so braucht man niemals zu moralisiren und kann doch die Ueberzeugung haben, daß man Tüchtiges erzieht. Mit der Religion würde ich meinen Zögling erst spät in Berührung bringen, noch später mit dem Christenthum. Daß er vom Christenthum schon vieles weiß, hindre ich nicht. Er hat aus der Bibel lesen gelernt, aber ich reproducire noch lange nicht die Bibel mit ihm, ich trag’ ihm keine Dogmen vor; ich mach’ ihn erst für das Wesen der Religion empfänglich, eh’ ich ihn selbst Religion lehre. Das Lehren von Religion wird dann überhaupt erst in einem Stadium beginnen, wo ich nicht mehr Sorge tragen muß, daß mein Zögling erst aus den Lehren der Religion Religion lerne. Diese muß er längst haben. Was ich ihm als Dogma gebe, darf nur entweder Geschichte oder Philosophie seyn. Jch werd’ ihm das Christenthum erklären. Jch werd’ ihn in einem Momente mit der Dreieinigkeit bekannt machen, wo er darin keine sinnliche Vorstellung mehr findet, sondern ein Philosophem. Jch werde ihm die Gottheit Christi nicht einprägen, sondern nur erklären. Jch werde nicht die Tollheit begehen und ihm dadurch Religion geben wollen, daß ich ihm die Dreieinigkeit und die Gottheit Christi zu moralischen Verpflichtungen mache. Er soll Ehrfurcht haben vor diesen Dogmen, aber von ihnen keine Wunder erwarten. Jch bin gewiß, daß ich unter diesen Umständen einen Christen erziehe; denn er wird Einsicht genug haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0414" n="386"/>
Hand, was der Zögling an Fortschritten leistet. Kömmt hier noch die Ausbildung des Körpers hinzu, so braucht man niemals zu moralisiren und kann doch die Ueberzeugung haben, daß man Tüchtiges erzieht. Mit der Religion würde ich meinen Zögling erst spät in Berührung bringen, noch später mit dem Christenthum. Daß er vom Christenthum schon vieles weiß, hindre ich nicht. Er hat aus der Bibel lesen gelernt, aber ich reproducire noch lange nicht die Bibel mit ihm, ich trag&#x2019; ihm keine Dogmen vor; ich mach&#x2019; ihn erst für das Wesen der Religion empfänglich, eh&#x2019; ich ihn selbst Religion lehre. Das Lehren von Religion wird dann überhaupt erst in einem Stadium beginnen, wo ich nicht mehr Sorge tragen muß, daß mein Zögling erst aus den Lehren der Religion Religion <hi rendition="#g">lerne</hi>. Diese muß er längst haben. Was ich ihm als Dogma gebe, darf nur entweder Geschichte oder Philosophie seyn. Jch werd&#x2019; ihm das Christenthum erklären. Jch werd&#x2019; ihn in einem Momente mit der Dreieinigkeit bekannt machen, wo er darin keine sinnliche Vorstellung mehr findet, sondern ein Philosophem. Jch werde ihm die Gottheit Christi nicht einprägen, sondern nur erklären. Jch werde nicht die Tollheit begehen und ihm dadurch Religion geben wollen, daß ich ihm die Dreieinigkeit und die Gottheit Christi zu <hi rendition="#g">moralischen</hi> Verpflichtungen mache. Er soll Ehrfurcht haben vor diesen Dogmen, aber von ihnen keine Wunder erwarten. Jch bin gewiß, daß ich unter diesen Umständen einen Christen erziehe; denn er wird Einsicht genug haben
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0414] Hand, was der Zögling an Fortschritten leistet. Kömmt hier noch die Ausbildung des Körpers hinzu, so braucht man niemals zu moralisiren und kann doch die Ueberzeugung haben, daß man Tüchtiges erzieht. Mit der Religion würde ich meinen Zögling erst spät in Berührung bringen, noch später mit dem Christenthum. Daß er vom Christenthum schon vieles weiß, hindre ich nicht. Er hat aus der Bibel lesen gelernt, aber ich reproducire noch lange nicht die Bibel mit ihm, ich trag’ ihm keine Dogmen vor; ich mach’ ihn erst für das Wesen der Religion empfänglich, eh’ ich ihn selbst Religion lehre. Das Lehren von Religion wird dann überhaupt erst in einem Stadium beginnen, wo ich nicht mehr Sorge tragen muß, daß mein Zögling erst aus den Lehren der Religion Religion lerne. Diese muß er längst haben. Was ich ihm als Dogma gebe, darf nur entweder Geschichte oder Philosophie seyn. Jch werd’ ihm das Christenthum erklären. Jch werd’ ihn in einem Momente mit der Dreieinigkeit bekannt machen, wo er darin keine sinnliche Vorstellung mehr findet, sondern ein Philosophem. Jch werde ihm die Gottheit Christi nicht einprägen, sondern nur erklären. Jch werde nicht die Tollheit begehen und ihm dadurch Religion geben wollen, daß ich ihm die Dreieinigkeit und die Gottheit Christi zu moralischen Verpflichtungen mache. Er soll Ehrfurcht haben vor diesen Dogmen, aber von ihnen keine Wunder erwarten. Jch bin gewiß, daß ich unter diesen Umständen einen Christen erziehe; denn er wird Einsicht genug haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/414
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/414>, abgerufen am 11.06.2024.