Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

den Stärkern keine Garantie der Billigkeit gab, zu einer Zeit, als die Juden von den Römern wie alle Völker ohne Aussicht auf Rettung geknechtet wurden. Jetzt würde die Welt diese Lehre verlachen und ihre glänzenden Seiten, deren Ewigkeit ich nimmermehr bestreiten werde, in den Koth werfen. Mit dem Christenthum mehr ausrichten wollen, als in ihm liegt, das hat sich zu allen Zeiten an dieser Lehre gerächt. Je mehr sie sich in den Vorgrund stellte, weltliche Macht und irdischen Einfluß ansprach, desto mehr wurde sie gedemüthigt und in ihrem innersten Wesen verkannt, von der Frivolität eines ganzen Jahrhunderts sogar verhöhnt. Diese Lehre, daß man bei einer empfangenen Ohrfeige auch noch die andere Wange hinhalten solle, mag ich jetzt den Armen, die, daß man alle seine Habe verkaufen und nur Christo nachwandeln solle, vermag ich nicht einmal den Reichen unsrer Zeit zu predigen.

Die Frage der Armen und Reichen wird in der Art, wie sie von unserm Jahrhundert gestellt ist, vom Christenthum nicht gelöst werden. Wenn ich Jhnen also, ehrwürdiger Herr, die Armen nicht herausgebe, so will ich Jhnen die Kinder und die Greise gern lassen; ja Jhnen noch die Frauen geben, die Sie, worüber ich mich wundre, verschmäht haben. Kinder, Weiber und Greise saßen auf den Zinnen Trojas und sahen zu, wie Griechen und Trojaner unten ihre Streitkräfte musterten. Kinder, Weiber und Greise mögen daheim am Herde opfern und für die Väter, Gatten und Söhne bitten, die vor

den Stärkern keine Garantie der Billigkeit gab, zu einer Zeit, als die Juden von den Römern wie alle Völker ohne Aussicht auf Rettung geknechtet wurden. Jetzt würde die Welt diese Lehre verlachen und ihre glänzenden Seiten, deren Ewigkeit ich nimmermehr bestreiten werde, in den Koth werfen. Mit dem Christenthum mehr ausrichten wollen, als in ihm liegt, das hat sich zu allen Zeiten an dieser Lehre gerächt. Je mehr sie sich in den Vorgrund stellte, weltliche Macht und irdischen Einfluß ansprach, desto mehr wurde sie gedemüthigt und in ihrem innersten Wesen verkannt, von der Frivolität eines ganzen Jahrhunderts sogar verhöhnt. Diese Lehre, daß man bei einer empfangenen Ohrfeige auch noch die andere Wange hinhalten solle, mag ich jetzt den Armen, die, daß man alle seine Habe verkaufen und nur Christo nachwandeln solle, vermag ich nicht einmal den Reichen unsrer Zeit zu predigen.

Die Frage der Armen und Reichen wird in der Art, wie sie von unserm Jahrhundert gestellt ist, vom Christenthum nicht gelöst werden. Wenn ich Jhnen also, ehrwürdiger Herr, die Armen nicht herausgebe, so will ich Jhnen die Kinder und die Greise gern lassen; ja Jhnen noch die Frauen geben, die Sie, worüber ich mich wundre, verschmäht haben. Kinder, Weiber und Greise saßen auf den Zinnen Trojas und sahen zu, wie Griechen und Trojaner unten ihre Streitkräfte musterten. Kinder, Weiber und Greise mögen daheim am Herde opfern und für die Väter, Gatten und Söhne bitten, die vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0426" n="398"/>
den Stärkern keine Garantie der Billigkeit gab, zu einer Zeit, als die Juden von den Römern wie alle Völker ohne Aussicht auf Rettung geknechtet wurden. Jetzt würde die Welt diese Lehre verlachen und ihre glänzenden Seiten, deren Ewigkeit ich nimmermehr bestreiten werde, in den Koth werfen. Mit dem Christenthum mehr ausrichten wollen, als in ihm liegt, das hat sich zu allen Zeiten an dieser Lehre gerächt. Je mehr sie sich in den Vorgrund stellte, weltliche Macht und irdischen Einfluß ansprach, desto mehr wurde sie gedemüthigt und in ihrem innersten Wesen verkannt, von der Frivolität eines ganzen Jahrhunderts sogar verhöhnt. Diese Lehre, daß man bei einer empfangenen Ohrfeige auch noch die andere Wange hinhalten solle, mag ich jetzt den Armen, die, daß man alle seine Habe verkaufen und nur Christo nachwandeln solle, vermag ich nicht einmal den Reichen unsrer Zeit zu predigen.</p>
        <p>Die Frage der Armen und Reichen wird in der Art, wie sie von unserm Jahrhundert gestellt ist, vom Christenthum nicht gelöst werden. Wenn ich Jhnen also, ehrwürdiger Herr, die Armen nicht herausgebe, so will ich Jhnen die Kinder und die Greise gern lassen; ja Jhnen noch die Frauen geben, die Sie, worüber ich mich wundre, verschmäht haben. Kinder, Weiber und Greise saßen auf den Zinnen Trojas und sahen zu, wie Griechen und Trojaner unten ihre Streitkräfte musterten. Kinder, Weiber und Greise mögen daheim am Herde opfern und für die Väter, Gatten und Söhne bitten, die vor
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[398/0426] den Stärkern keine Garantie der Billigkeit gab, zu einer Zeit, als die Juden von den Römern wie alle Völker ohne Aussicht auf Rettung geknechtet wurden. Jetzt würde die Welt diese Lehre verlachen und ihre glänzenden Seiten, deren Ewigkeit ich nimmermehr bestreiten werde, in den Koth werfen. Mit dem Christenthum mehr ausrichten wollen, als in ihm liegt, das hat sich zu allen Zeiten an dieser Lehre gerächt. Je mehr sie sich in den Vorgrund stellte, weltliche Macht und irdischen Einfluß ansprach, desto mehr wurde sie gedemüthigt und in ihrem innersten Wesen verkannt, von der Frivolität eines ganzen Jahrhunderts sogar verhöhnt. Diese Lehre, daß man bei einer empfangenen Ohrfeige auch noch die andere Wange hinhalten solle, mag ich jetzt den Armen, die, daß man alle seine Habe verkaufen und nur Christo nachwandeln solle, vermag ich nicht einmal den Reichen unsrer Zeit zu predigen. Die Frage der Armen und Reichen wird in der Art, wie sie von unserm Jahrhundert gestellt ist, vom Christenthum nicht gelöst werden. Wenn ich Jhnen also, ehrwürdiger Herr, die Armen nicht herausgebe, so will ich Jhnen die Kinder und die Greise gern lassen; ja Jhnen noch die Frauen geben, die Sie, worüber ich mich wundre, verschmäht haben. Kinder, Weiber und Greise saßen auf den Zinnen Trojas und sahen zu, wie Griechen und Trojaner unten ihre Streitkräfte musterten. Kinder, Weiber und Greise mögen daheim am Herde opfern und für die Väter, Gatten und Söhne bitten, die vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/426
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/426>, abgerufen am 25.11.2024.