Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.mit Mühe unterdrücken. Der unglückliche Mann war ganz still und schien Noth genug zu haben, die ihm sonst so glücklich angeschlagene Kur zu überstehen und sein ehemals krankhaftes Auswendige nun inwendig zu verdauen. Jch aber mußte im Stillen recht herzlich weinen über alles, was Menschen doch Unglückliches widerfahren kann. Die Wehmuth, ehrwürdiger Freund und Vetter, unsre Verwandten wiederzusehen, überschlich mich, je näher wir London kamen; ich schluchzte heimlich immer fort, statt daß ich mich über das Wiedersehen doch hätte freuen sollen, ja ich hatte schon die Ahnung, daß ich die große Welt und die kleinen Menschen darin nicht so wiederfinden würde, wie ich sie vor dreißig Jahren verlassen hatte. Nachdem ich mich von der herzlosen, mechanischen Schriftstellerin und dem andern unglücklichen orthopädisirten Reisegefährten getrennt hatte und in der Herberge der Landkutsche ausgestiegen war, auch meine Schachteln und Koffer all gehörig verglichen und mich überhaupt auf's Pünktlichste mit Jedermann abgefunden hatte, um ja hinterher in keine Weitläufigkeiten zu kommen oder wohl gar für etwas, was ich zu bezahlen vergessen, in Anspruch genommen zu werden, machte ich mich denn mit einem unverschämten Markthelfer auf den Weg, der sich mit so viel geistigen Getränken überladen zu haben schien, als zu meiner Zeit einer ganzen Dorfschaft für die Woche genügt hätte. Denken Sie sich, ehrwürdiger Freund und Vetter, hier kommen mit Mühe unterdrücken. Der unglückliche Mann war ganz still und schien Noth genug zu haben, die ihm sonst so glücklich angeschlagene Kur zu überstehen und sein ehemals krankhaftes Auswendige nun inwendig zu verdauen. Jch aber mußte im Stillen recht herzlich weinen über alles, was Menschen doch Unglückliches widerfahren kann. Die Wehmuth, ehrwürdiger Freund und Vetter, unsre Verwandten wiederzusehen, überschlich mich, je näher wir London kamen; ich schluchzte heimlich immer fort, statt daß ich mich über das Wiedersehen doch hätte freuen sollen, ja ich hatte schon die Ahnung, daß ich die große Welt und die kleinen Menschen darin nicht so wiederfinden würde, wie ich sie vor dreißig Jahren verlassen hatte. Nachdem ich mich von der herzlosen, mechanischen Schriftstellerin und dem andern unglücklichen orthopädisirten Reisegefährten getrennt hatte und in der Herberge der Landkutsche ausgestiegen war, auch meine Schachteln und Koffer all gehörig verglichen und mich überhaupt auf’s Pünktlichste mit Jedermann abgefunden hatte, um ja hinterher in keine Weitläufigkeiten zu kommen oder wohl gar für etwas, was ich zu bezahlen vergessen, in Anspruch genommen zu werden, machte ich mich denn mit einem unverschämten Markthelfer auf den Weg, der sich mit so viel geistigen Getränken überladen zu haben schien, als zu meiner Zeit einer ganzen Dorfschaft für die Woche genügt hätte. Denken Sie sich, ehrwürdiger Freund und Vetter, hier kommen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0458" n="430"/> mit Mühe unterdrücken. Der unglückliche Mann war ganz still und schien Noth genug zu haben, die ihm sonst so glücklich angeschlagene Kur zu überstehen und sein ehemals krankhaftes Auswendige nun inwendig zu verdauen. Jch aber mußte im Stillen recht herzlich weinen über alles, was Menschen doch Unglückliches widerfahren kann. Die Wehmuth, ehrwürdiger Freund und Vetter, unsre Verwandten wiederzusehen, überschlich mich, je näher wir London kamen; ich schluchzte heimlich immer fort, statt daß ich mich über das Wiedersehen doch hätte freuen sollen, ja ich hatte schon die Ahnung, daß ich die große Welt und die kleinen Menschen darin nicht so wiederfinden würde, wie ich sie vor dreißig Jahren verlassen hatte.</p> <p>Nachdem ich mich von der herzlosen, mechanischen Schriftstellerin und dem andern unglücklichen orthopädisirten Reisegefährten getrennt hatte und in der Herberge der Landkutsche ausgestiegen war, auch meine Schachteln und Koffer all gehörig verglichen und mich überhaupt auf’s Pünktlichste mit Jedermann abgefunden hatte, um ja hinterher in keine Weitläufigkeiten zu kommen oder wohl gar für etwas, was ich zu bezahlen vergessen, in Anspruch genommen zu werden, machte ich mich denn mit einem unverschämten Markthelfer auf den Weg, der sich mit so viel geistigen Getränken überladen zu haben schien, als zu meiner Zeit einer ganzen Dorfschaft für die Woche genügt hätte. Denken Sie sich, ehrwürdiger Freund und Vetter, hier kommen </p> </div> </body> </text> </TEI> [430/0458]
mit Mühe unterdrücken. Der unglückliche Mann war ganz still und schien Noth genug zu haben, die ihm sonst so glücklich angeschlagene Kur zu überstehen und sein ehemals krankhaftes Auswendige nun inwendig zu verdauen. Jch aber mußte im Stillen recht herzlich weinen über alles, was Menschen doch Unglückliches widerfahren kann. Die Wehmuth, ehrwürdiger Freund und Vetter, unsre Verwandten wiederzusehen, überschlich mich, je näher wir London kamen; ich schluchzte heimlich immer fort, statt daß ich mich über das Wiedersehen doch hätte freuen sollen, ja ich hatte schon die Ahnung, daß ich die große Welt und die kleinen Menschen darin nicht so wiederfinden würde, wie ich sie vor dreißig Jahren verlassen hatte.
Nachdem ich mich von der herzlosen, mechanischen Schriftstellerin und dem andern unglücklichen orthopädisirten Reisegefährten getrennt hatte und in der Herberge der Landkutsche ausgestiegen war, auch meine Schachteln und Koffer all gehörig verglichen und mich überhaupt auf’s Pünktlichste mit Jedermann abgefunden hatte, um ja hinterher in keine Weitläufigkeiten zu kommen oder wohl gar für etwas, was ich zu bezahlen vergessen, in Anspruch genommen zu werden, machte ich mich denn mit einem unverschämten Markthelfer auf den Weg, der sich mit so viel geistigen Getränken überladen zu haben schien, als zu meiner Zeit einer ganzen Dorfschaft für die Woche genügt hätte. Denken Sie sich, ehrwürdiger Freund und Vetter, hier kommen
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