Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Wir würden uns höher erheben, wenn wir nicht von so tief unten her anfangen müßten. Jch vertheidige den Egoismus der Zeit nicht; ich such' ihm nur eine günstigere Beurtheilung zuzuwenden. Jn Epiktets Moral finden sich zwei Gedankenreihen, die zwar in dem Systeme der stoischen Schule nur eine seyn sollten. Die Ruhe des Weisen ist unleugbar eine Mischung aus Stolz und Gleichgültigkeit. Wir sind eben so unleugbar trotz aller philosophischer Moralsysteme, die in unsrer Zeit aufgestellt wurden, doch im Allgemeinen, in der großen Praxis der Masse und der vorzüglicheren Jndividuen, die sie bestimmen, weit mehr dem Stoicismus, als selbst dem Christenthume hingegeben. Das Christenthum erleidet keine schlagende Anwendung auf die Geschichte. Es belohnt den Menschen nicht für seine Resignation; denn ist Demuth, welche das Ende all unsres Strebens seyn soll, nicht eine neue Aufopferung? Der Stoicismus lohnt aber; denn der Stolz, auf welchen er hinstrebt, ist Ersatz genug für die Gleichgültigkeit gegen alle Dinge, deren der Weise sich auch nur mit Preisgebung angenehmer Eindrücke befleißigen kann. Jndividuen, welche sich selbst bilden, die sich isoliren und einen gesunden Körper haben, werden in ihren Gedanken immer auf den Stoicismus hinauskommen. Das achtzehnte Jahrhundert kannte diese Moral mit all dem Stolze, der ihre Seele ist. Wir sind ihr noch ergeben, wenn wir auch mehr ihr egoistisches Prinzip cultivirt haben und statt dem Stolze, der Gleichgültigkeit zueilen. Wir würden uns höher erheben, wenn wir nicht von so tief unten her anfangen müßten. Jch vertheidige den Egoismus der Zeit nicht; ich such’ ihm nur eine günstigere Beurtheilung zuzuwenden. Jn Epiktets Moral finden sich zwei Gedankenreihen, die zwar in dem Systeme der stoischen Schule nur eine seyn sollten. Die Ruhe des Weisen ist unleugbar eine Mischung aus Stolz und Gleichgültigkeit. Wir sind eben so unleugbar trotz aller philosophischer Moralsysteme, die in unsrer Zeit aufgestellt wurden, doch im Allgemeinen, in der großen Praxis der Masse und der vorzüglicheren Jndividuen, die sie bestimmen, weit mehr dem Stoicismus, als selbst dem Christenthume hingegeben. Das Christenthum erleidet keine schlagende Anwendung auf die Geschichte. Es belohnt den Menschen nicht für seine Resignation; denn ist Demuth, welche das Ende all unsres Strebens seyn soll, nicht eine neue Aufopferung? Der Stoicismus lohnt aber; denn der Stolz, auf welchen er hinstrebt, ist Ersatz genug für die Gleichgültigkeit gegen alle Dinge, deren der Weise sich auch nur mit Preisgebung angenehmer Eindrücke befleißigen kann. Jndividuen, welche sich selbst bilden, die sich isoliren und einen gesunden Körper haben, werden in ihren Gedanken immer auf den Stoicismus hinauskommen. Das achtzehnte Jahrhundert kannte diese Moral mit all dem Stolze, der ihre Seele ist. Wir sind ihr noch ergeben, wenn wir auch mehr ihr egoistisches Prinzip cultivirt haben und statt dem Stolze, der Gleichgültigkeit zueilen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="58"/> Wir würden uns höher erheben, wenn wir nicht von so tief unten her anfangen müßten. Jch vertheidige den Egoismus der Zeit nicht; ich such’ ihm nur eine günstigere Beurtheilung zuzuwenden.</p> <p>Jn Epiktets Moral finden sich zwei Gedankenreihen, die zwar in dem Systeme der stoischen Schule nur <hi rendition="#g">eine</hi> seyn sollten. Die <hi rendition="#g">Ruhe des Weisen</hi> ist unleugbar eine Mischung aus Stolz und Gleichgültigkeit. Wir sind eben so unleugbar trotz aller philosophischer Moralsysteme, die in unsrer Zeit aufgestellt wurden, doch im Allgemeinen, in der großen Praxis der Masse und der vorzüglicheren Jndividuen, die sie bestimmen, weit mehr dem Stoicismus, als selbst dem Christenthume hingegeben. Das Christenthum erleidet keine schlagende Anwendung auf die Geschichte. Es belohnt den Menschen nicht für seine Resignation; denn ist Demuth, welche das Ende all unsres Strebens seyn soll, nicht eine neue Aufopferung? Der Stoicismus lohnt aber; denn der Stolz, auf welchen er hinstrebt, ist Ersatz genug für die Gleichgültigkeit gegen alle Dinge, deren der Weise sich <hi rendition="#g">auch</hi> nur mit Preisgebung angenehmer Eindrücke befleißigen kann. Jndividuen, welche sich selbst bilden, die sich isoliren und einen gesunden Körper haben, werden in ihren Gedanken immer auf den Stoicismus hinauskommen. Das achtzehnte Jahrhundert kannte diese Moral mit all dem Stolze, der ihre Seele ist. Wir sind ihr noch ergeben, wenn wir auch mehr ihr egoistisches Prinzip cultivirt haben und statt dem Stolze, der Gleichgültigkeit zueilen. </p> </div> </body> </text> </TEI> [58/0086]
Wir würden uns höher erheben, wenn wir nicht von so tief unten her anfangen müßten. Jch vertheidige den Egoismus der Zeit nicht; ich such’ ihm nur eine günstigere Beurtheilung zuzuwenden.
Jn Epiktets Moral finden sich zwei Gedankenreihen, die zwar in dem Systeme der stoischen Schule nur eine seyn sollten. Die Ruhe des Weisen ist unleugbar eine Mischung aus Stolz und Gleichgültigkeit. Wir sind eben so unleugbar trotz aller philosophischer Moralsysteme, die in unsrer Zeit aufgestellt wurden, doch im Allgemeinen, in der großen Praxis der Masse und der vorzüglicheren Jndividuen, die sie bestimmen, weit mehr dem Stoicismus, als selbst dem Christenthume hingegeben. Das Christenthum erleidet keine schlagende Anwendung auf die Geschichte. Es belohnt den Menschen nicht für seine Resignation; denn ist Demuth, welche das Ende all unsres Strebens seyn soll, nicht eine neue Aufopferung? Der Stoicismus lohnt aber; denn der Stolz, auf welchen er hinstrebt, ist Ersatz genug für die Gleichgültigkeit gegen alle Dinge, deren der Weise sich auch nur mit Preisgebung angenehmer Eindrücke befleißigen kann. Jndividuen, welche sich selbst bilden, die sich isoliren und einen gesunden Körper haben, werden in ihren Gedanken immer auf den Stoicismus hinauskommen. Das achtzehnte Jahrhundert kannte diese Moral mit all dem Stolze, der ihre Seele ist. Wir sind ihr noch ergeben, wenn wir auch mehr ihr egoistisches Prinzip cultivirt haben und statt dem Stolze, der Gleichgültigkeit zueilen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/86 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/86>, abgerufen am 16.02.2025. |