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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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einen Gott, aber man kann sein Daseyn nicht beweisen."

Die stille, sanfte Wärme des Gemüthes ist unsrer Zeit fremd. Dichter, welche auf sie zu wirken suchen, werden einsam dastehen und verhungern. Aber wer die lodernde Flamme der Leidenschaft zu schüren weiß, wer sein Licht in jenen Zugwind stellt, wo man Fackeln haben muß, um sie nicht vom Winde auslöschen zu lassen, dem folgt die jubelnde und schnell erregte Menge. Denn man muß eingestehen, daß Alles, was von energischer und origineller Moral in unsrer Zeit vorhanden ist, von der Beziehung des Jndividuums zum Allgemeinen ausgeht. Haben wir Tugenden, so sind es politische, oder, was dasselbe sagen will, polemische. Weiche Charaktere wurden stark, wenn sie mit den Ereignissen in Berührung kamen. Pepin weinte, als er vor'm Pairhofe stand, und rauchte hinausfahrend auf's Schaffot gemüthlich seine Pfeife. Die Situationen sind schwieriger geworden in unsrer Zeit, und da Selbsterhaltung unser egoistisches Prinzip ist, so wachsen uns in schwierigen Momenten die Schwingen, so daß aus Hänflingen Geier werden. Es ist zuletzt der Enthusiasmus der Ueberzeugung eine Kraft geworden, die unsrer Zeit mit den Anfängen des Christenthums und der Reformation eine Aehnlichkeit gibt. Wäre der Glaube, der unsre Zeit bewegt, ein gen Himmel gerichteter, wir würden bei unsern Zeitgenossen ein noch weit größeres Entzücken, den Scheiterhaufen zu besteigen, wahrnehmen,

einen Gott, aber man kann sein Daseyn nicht beweisen.“

Die stille, sanfte Wärme des Gemüthes ist unsrer Zeit fremd. Dichter, welche auf sie zu wirken suchen, werden einsam dastehen und verhungern. Aber wer die lodernde Flamme der Leidenschaft zu schüren weiß, wer sein Licht in jenen Zugwind stellt, wo man Fackeln haben muß, um sie nicht vom Winde auslöschen zu lassen, dem folgt die jubelnde und schnell erregte Menge. Denn man muß eingestehen, daß Alles, was von energischer und origineller Moral in unsrer Zeit vorhanden ist, von der Beziehung des Jndividuums zum Allgemeinen ausgeht. Haben wir Tugenden, so sind es politische, oder, was dasselbe sagen will, polemische. Weiche Charaktere wurden stark, wenn sie mit den Ereignissen in Berührung kamen. Pépin weinte, als er vor’m Pairhofe stand, und rauchte hinausfahrend auf’s Schaffot gemüthlich seine Pfeife. Die Situationen sind schwieriger geworden in unsrer Zeit, und da Selbsterhaltung unser egoistisches Prinzip ist, so wachsen uns in schwierigen Momenten die Schwingen, so daß aus Hänflingen Geier werden. Es ist zuletzt der Enthusiasmus der Ueberzeugung eine Kraft geworden, die unsrer Zeit mit den Anfängen des Christenthums und der Reformation eine Aehnlichkeit gibt. Wäre der Glaube, der unsre Zeit bewegt, ein gen Himmel gerichteter, wir würden bei unsern Zeitgenossen ein noch weit größeres Entzücken, den Scheiterhaufen zu besteigen, wahrnehmen,

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[61/0089] einen Gott, aber man kann sein Daseyn nicht beweisen.“ Die stille, sanfte Wärme des Gemüthes ist unsrer Zeit fremd. Dichter, welche auf sie zu wirken suchen, werden einsam dastehen und verhungern. Aber wer die lodernde Flamme der Leidenschaft zu schüren weiß, wer sein Licht in jenen Zugwind stellt, wo man Fackeln haben muß, um sie nicht vom Winde auslöschen zu lassen, dem folgt die jubelnde und schnell erregte Menge. Denn man muß eingestehen, daß Alles, was von energischer und origineller Moral in unsrer Zeit vorhanden ist, von der Beziehung des Jndividuums zum Allgemeinen ausgeht. Haben wir Tugenden, so sind es politische, oder, was dasselbe sagen will, polemische. Weiche Charaktere wurden stark, wenn sie mit den Ereignissen in Berührung kamen. Pépin weinte, als er vor’m Pairhofe stand, und rauchte hinausfahrend auf’s Schaffot gemüthlich seine Pfeife. Die Situationen sind schwieriger geworden in unsrer Zeit, und da Selbsterhaltung unser egoistisches Prinzip ist, so wachsen uns in schwierigen Momenten die Schwingen, so daß aus Hänflingen Geier werden. Es ist zuletzt der Enthusiasmus der Ueberzeugung eine Kraft geworden, die unsrer Zeit mit den Anfängen des Christenthums und der Reformation eine Aehnlichkeit gibt. Wäre der Glaube, der unsre Zeit bewegt, ein gen Himmel gerichteter, wir würden bei unsern Zeitgenossen ein noch weit größeres Entzücken, den Scheiterhaufen zu besteigen, wahrnehmen,

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/89>, abgerufen am 13.05.2024.