Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

als wir jetzt schon knirschende Ergebung und stille Freudigkeit bei denen antreffen können, welche in den Gefängnissen zurückgehalten werden, ihrer Meinung wegen.

Die Tugenden unsrer Zeit fangen erst dann an, wenn sie gegen das Hergebrachte anstoßen und uns mit dem Schrecken erfüllen, es könne wirklich eine andre Moral geben, als die der Tradition. Da wird gelogen und betrogen; aber nach dem schönen Beispiel, wie Pylades log, als er sich für Orestes ausgab. Da wird gemordet; aber wie Timoleon mordete, der die Tyrannen vertrieb. Da werden Eide gebrochen; wie Epaminondas seinen Eid brach, als er wider Pflicht und Befehl den Sieg bei Leuktra gewann. Da werden Dolche in die Brust gesenkt, wie Cato that und Otho, von denen der eine nicht die Schmach der Republik, der andre seine eigne nicht überleben wollte. Bei solchen Gedankenverbindungen - da werden wir sie laufen und rennen sehen, geschäftig, thätig, glühenden Auges, unsre Väter, Brüder und Kinder; hier ist das Centralfeuer, von welchem aus unser Leben seine Wärme erhält. Hier hat das Jahrhundert keine Scropheln mehr, keine krummen Beine, ißt keine Kartoffeln, hungert nicht und siecht; sondern jetzt haben sie alle die Genüge und Fülle an himmlischer Kost und glänzen wie die Auserwählten des Herrn, die auf weißen Streitrossen in goldner Rüstung zum Kampfe mit den Mächten der Finsterniß ziehen!

Dieß sind die Menschen, wie wir sie brauchen

als wir jetzt schon knirschende Ergebung und stille Freudigkeit bei denen antreffen können, welche in den Gefängnissen zurückgehalten werden, ihrer Meinung wegen.

Die Tugenden unsrer Zeit fangen erst dann an, wenn sie gegen das Hergebrachte anstoßen und uns mit dem Schrecken erfüllen, es könne wirklich eine andre Moral geben, als die der Tradition. Da wird gelogen und betrogen; aber nach dem schönen Beispiel, wie Pylades log, als er sich für Orestes ausgab. Da wird gemordet; aber wie Timoleon mordete, der die Tyrannen vertrieb. Da werden Eide gebrochen; wie Epaminondas seinen Eid brach, als er wider Pflicht und Befehl den Sieg bei Leuktra gewann. Da werden Dolche in die Brust gesenkt, wie Cato that und Otho, von denen der eine nicht die Schmach der Republik, der andre seine eigne nicht überleben wollte. Bei solchen Gedankenverbindungen – da werden wir sie laufen und rennen sehen, geschäftig, thätig, glühenden Auges, unsre Väter, Brüder und Kinder; hier ist das Centralfeuer, von welchem aus unser Leben seine Wärme erhält. Hier hat das Jahrhundert keine Scropheln mehr, keine krummen Beine, ißt keine Kartoffeln, hungert nicht und siecht; sondern jetzt haben sie alle die Genüge und Fülle an himmlischer Kost und glänzen wie die Auserwählten des Herrn, die auf weißen Streitrossen in goldner Rüstung zum Kampfe mit den Mächten der Finsterniß ziehen!

Dieß sind die Menschen, wie wir sie brauchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="62"/>
als wir jetzt schon knirschende Ergebung und stille Freudigkeit bei denen antreffen können, welche in den Gefängnissen zurückgehalten werden, ihrer Meinung wegen.</p>
        <p>Die Tugenden unsrer Zeit fangen erst dann an, wenn sie gegen das Hergebrachte anstoßen und uns mit dem Schrecken erfüllen, es könne wirklich eine andre Moral geben, als die der Tradition. Da wird gelogen und betrogen; aber nach dem schönen Beispiel, wie Pylades log, als er sich für Orestes ausgab. Da wird gemordet; aber wie Timoleon mordete, der die Tyrannen vertrieb. Da werden Eide gebrochen; wie Epaminondas seinen Eid brach, als er wider Pflicht und Befehl den Sieg bei Leuktra gewann. Da werden Dolche in die Brust gesenkt, wie Cato that und Otho, von denen der eine nicht die Schmach der Republik, der andre seine eigne nicht überleben wollte. Bei solchen Gedankenverbindungen &#x2013; da werden wir sie laufen und rennen sehen, geschäftig, thätig, glühenden Auges, unsre Väter, Brüder und Kinder; hier ist das Centralfeuer, von welchem aus unser Leben seine Wärme erhält. Hier hat das Jahrhundert keine Scropheln mehr, keine krummen Beine, ißt keine Kartoffeln, hungert nicht und siecht; sondern jetzt haben sie alle die Genüge und Fülle an himmlischer Kost und glänzen wie die Auserwählten des Herrn, die auf weißen Streitrossen in goldner Rüstung zum Kampfe mit den Mächten der Finsterniß ziehen!</p>
        <p>Dieß sind die Menschen, wie wir sie brauchen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0090] als wir jetzt schon knirschende Ergebung und stille Freudigkeit bei denen antreffen können, welche in den Gefängnissen zurückgehalten werden, ihrer Meinung wegen. Die Tugenden unsrer Zeit fangen erst dann an, wenn sie gegen das Hergebrachte anstoßen und uns mit dem Schrecken erfüllen, es könne wirklich eine andre Moral geben, als die der Tradition. Da wird gelogen und betrogen; aber nach dem schönen Beispiel, wie Pylades log, als er sich für Orestes ausgab. Da wird gemordet; aber wie Timoleon mordete, der die Tyrannen vertrieb. Da werden Eide gebrochen; wie Epaminondas seinen Eid brach, als er wider Pflicht und Befehl den Sieg bei Leuktra gewann. Da werden Dolche in die Brust gesenkt, wie Cato that und Otho, von denen der eine nicht die Schmach der Republik, der andre seine eigne nicht überleben wollte. Bei solchen Gedankenverbindungen – da werden wir sie laufen und rennen sehen, geschäftig, thätig, glühenden Auges, unsre Väter, Brüder und Kinder; hier ist das Centralfeuer, von welchem aus unser Leben seine Wärme erhält. Hier hat das Jahrhundert keine Scropheln mehr, keine krummen Beine, ißt keine Kartoffeln, hungert nicht und siecht; sondern jetzt haben sie alle die Genüge und Fülle an himmlischer Kost und glänzen wie die Auserwählten des Herrn, die auf weißen Streitrossen in goldner Rüstung zum Kampfe mit den Mächten der Finsterniß ziehen! Dieß sind die Menschen, wie wir sie brauchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/90
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/90>, abgerufen am 21.11.2024.