Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Seelenfolter einer Vorbereitung darauf. Die um sich greifende Bildung schlafft unsere Herzen nicht aus; sie bringt es nicht mit sich, daß wir um ihretwillen gegen Tugend und Laster gleichgültig werden. Was Victor Hugo über die lezten Tage eines Verurtheilten und über die Grausamkeit der Todesstrafe gesprochen, das ist wahrlich aus keinem feigen und in ernsten Dingen matten Herzen entstanden, sondern der Fieberfrost des moralischen Entsetzens schüttelte ihn, als er seinen unsterblichen Aufruf an die Gesetzgeber schrieb; es ist die haarsträubende Wirkung einer Strafe, deren gräßliche Nebenumstände die Phantasie des Dichters nicht erfand, sondern vielleicht allein sie vollkommen zu begreifen fähig war. Wenn er uns das Beispiel jenes fürchterlich Verstümmelten anführt, bei dem zweimal selbst die Guillotine fehlte, der mit halb abgehacktem Kopfe aufsprang und vor dem versammelten Publikum, über und über von Blut triefend, Gnade flehend die Hände ausstreckte - gerechter Gott! was sind dagegen alle eure spitzfindigen Deduktionen und Abschreckungstheorien? Der Henker mußte sich auf den Unglücklichen werfen und ihm mit einem Messer den Kopf herunterschneiden. Jhr aber, die ihr dies angeordnet habt, ihr Richter und Polizeidiener, ihr steht blaß und zitternd umher und fühlt wohl innerlich, daß vor Gott, dem allein die Rache gebührt, ihr im Augenblick größere Verbrecher seyd, als der, den ihr eurer wahnsinnigen Gerechtigkeit zum Opfer schlachtet!

Seelenfolter einer Vorbereitung darauf. Die um sich greifende Bildung schlafft unsere Herzen nicht aus; sie bringt es nicht mit sich, daß wir um ihretwillen gegen Tugend und Laster gleichgültig werden. Was Victor Hugo über die lezten Tage eines Verurtheilten und über die Grausamkeit der Todesstrafe gesprochen, das ist wahrlich aus keinem feigen und in ernsten Dingen matten Herzen entstanden, sondern der Fieberfrost des moralischen Entsetzens schüttelte ihn, als er seinen unsterblichen Aufruf an die Gesetzgeber schrieb; es ist die haarsträubende Wirkung einer Strafe, deren gräßliche Nebenumstände die Phantasie des Dichters nicht erfand, sondern vielleicht allein sie vollkommen zu begreifen fähig war. Wenn er uns das Beispiel jenes fürchterlich Verstümmelten anführt, bei dem zweimal selbst die Guillotine fehlte, der mit halb abgehacktem Kopfe aufsprang und vor dem versammelten Publikum, über und über von Blut triefend, Gnade flehend die Hände ausstreckte – gerechter Gott! was sind dagegen alle eure spitzfindigen Deduktionen und Abschreckungstheorien? Der Henker mußte sich auf den Unglücklichen werfen und ihm mit einem Messer den Kopf herunterschneiden. Jhr aber, die ihr dies angeordnet habt, ihr Richter und Polizeidiener, ihr steht blaß und zitternd umher und fühlt wohl innerlich, daß vor Gott, dem allein die Rache gebührt, ihr im Augenblick größere Verbrecher seyd, als der, den ihr eurer wahnsinnigen Gerechtigkeit zum Opfer schlachtet!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0121" n="119"/>
Seelenfolter einer Vorbereitung darauf. Die um sich greifende Bildung schlafft unsere Herzen nicht aus; sie bringt es nicht mit sich, daß wir um ihretwillen gegen Tugend und Laster gleichgültig werden. Was <hi rendition="#g">Victor Hugo</hi> über die lezten Tage eines Verurtheilten und über die Grausamkeit der Todesstrafe gesprochen, das ist wahrlich aus keinem feigen und in ernsten Dingen matten Herzen entstanden, sondern der Fieberfrost des moralischen Entsetzens schüttelte ihn, als er seinen unsterblichen Aufruf an die Gesetzgeber schrieb; es ist die haarsträubende Wirkung einer Strafe, deren gräßliche Nebenumstände die Phantasie des Dichters nicht erfand, sondern vielleicht allein sie vollkommen zu begreifen fähig war. Wenn er uns das Beispiel jenes fürchterlich Verstümmelten anführt, bei dem zweimal selbst die Guillotine fehlte, der mit halb abgehacktem Kopfe aufsprang und vor dem versammelten Publikum, über und über von Blut triefend, Gnade flehend die Hände ausstreckte &#x2013; gerechter Gott! was sind dagegen alle eure spitzfindigen Deduktionen und Abschreckungstheorien? Der Henker mußte sich auf den Unglücklichen werfen und ihm mit einem Messer den Kopf herunterschneiden. Jhr aber, die ihr dies angeordnet habt, ihr Richter und Polizeidiener, ihr steht blaß und zitternd umher und fühlt wohl innerlich, daß vor Gott, dem allein die Rache gebührt, ihr im Augenblick größere Verbrecher seyd, als der, den ihr eurer wahnsinnigen Gerechtigkeit zum Opfer schlachtet!</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0121] Seelenfolter einer Vorbereitung darauf. Die um sich greifende Bildung schlafft unsere Herzen nicht aus; sie bringt es nicht mit sich, daß wir um ihretwillen gegen Tugend und Laster gleichgültig werden. Was Victor Hugo über die lezten Tage eines Verurtheilten und über die Grausamkeit der Todesstrafe gesprochen, das ist wahrlich aus keinem feigen und in ernsten Dingen matten Herzen entstanden, sondern der Fieberfrost des moralischen Entsetzens schüttelte ihn, als er seinen unsterblichen Aufruf an die Gesetzgeber schrieb; es ist die haarsträubende Wirkung einer Strafe, deren gräßliche Nebenumstände die Phantasie des Dichters nicht erfand, sondern vielleicht allein sie vollkommen zu begreifen fähig war. Wenn er uns das Beispiel jenes fürchterlich Verstümmelten anführt, bei dem zweimal selbst die Guillotine fehlte, der mit halb abgehacktem Kopfe aufsprang und vor dem versammelten Publikum, über und über von Blut triefend, Gnade flehend die Hände ausstreckte – gerechter Gott! was sind dagegen alle eure spitzfindigen Deduktionen und Abschreckungstheorien? Der Henker mußte sich auf den Unglücklichen werfen und ihm mit einem Messer den Kopf herunterschneiden. Jhr aber, die ihr dies angeordnet habt, ihr Richter und Polizeidiener, ihr steht blaß und zitternd umher und fühlt wohl innerlich, daß vor Gott, dem allein die Rache gebührt, ihr im Augenblick größere Verbrecher seyd, als der, den ihr eurer wahnsinnigen Gerechtigkeit zum Opfer schlachtet!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/121
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/121>, abgerufen am 21.11.2024.