Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesellschaft weder mit Stillschweigen umgangen, noch mit Lächeln widerlegt werden konnte; sondern der Krankheit mußte man Gesundheit gegenüberstellen; man mußte sich selbst auf einem ernsten Streben nach Aufklärung in göttlichen Dingen ertappen lassen. So baute sich eine Stimmung auf die andere. Und dadurch, daß man mit einander stritt, eine Jdee so oder so zu bestimmen, konnte denn wohl die Jdee selbst nur gewinnen.

Selbst die ausschließlich politischen und sozialen Tendenzen der Zeit konnten der sich einmischenden Religion nicht entrathen. Alles, was die Humanität erstrebte, konnte durch fromme und edle Motive nur gerechtfertigt werden. Wodurch ließ sich die Abschaffung der Sklaverei eindringlicher empfehlen, als durch die Lehre von einer durch das Christenthum veredelten Menschenwürde! Und wenn man sich streitet, ob die Juden ein Recht haben sollen, an unsern gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten Theil zu nehmen, so konnte sich an dieser Frage das Schwert des Glaubens vorn und hinten, beim Für und Wider schärfen. Die Gegner der Frage drangen auf das Christenthum als ein heiliges Fluidum, das durch die Adern unsers politischen Lebens rinnen solle; die Vertheidiger riefen den Geist der Milde und Versöhnung an, indem sie ohnedies das Heil der Religion nur in ihrer Trennung vom Staat erblicken. Wir wollen später erst die Frage entscheiden und sagen, wessen Berufung

Gesellschaft weder mit Stillschweigen umgangen, noch mit Lächeln widerlegt werden konnte; sondern der Krankheit mußte man Gesundheit gegenüberstellen; man mußte sich selbst auf einem ernsten Streben nach Aufklärung in göttlichen Dingen ertappen lassen. So baute sich eine Stimmung auf die andere. Und dadurch, daß man mit einander stritt, eine Jdee so oder so zu bestimmen, konnte denn wohl die Jdee selbst nur gewinnen.

Selbst die ausschließlich politischen und sozialen Tendenzen der Zeit konnten der sich einmischenden Religion nicht entrathen. Alles, was die Humanität erstrebte, konnte durch fromme und edle Motive nur gerechtfertigt werden. Wodurch ließ sich die Abschaffung der Sklaverei eindringlicher empfehlen, als durch die Lehre von einer durch das Christenthum veredelten Menschenwürde! Und wenn man sich streitet, ob die Juden ein Recht haben sollen, an unsern gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten Theil zu nehmen, so konnte sich an dieser Frage das Schwert des Glaubens vorn und hinten, beim Für und Wider schärfen. Die Gegner der Frage drangen auf das Christenthum als ein heiliges Fluidum, das durch die Adern unsers politischen Lebens rinnen solle; die Vertheidiger riefen den Geist der Milde und Versöhnung an, indem sie ohnedies das Heil der Religion nur in ihrer Trennung vom Staat erblicken. Wir wollen später erst die Frage entscheiden und sagen, wessen Berufung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0158" n="156"/>
Gesellschaft weder mit Stillschweigen umgangen, noch mit Lächeln widerlegt werden konnte; sondern der Krankheit mußte man Gesundheit gegenüberstellen; man mußte sich selbst auf einem ernsten Streben nach Aufklärung in göttlichen Dingen ertappen lassen. So baute sich <hi rendition="#g">eine</hi> Stimmung auf die andere. Und dadurch, daß man mit einander stritt, eine Jdee so oder so zu bestimmen, konnte denn wohl die Jdee selbst nur gewinnen.</p>
        <p>Selbst die ausschließlich politischen und sozialen Tendenzen der Zeit konnten der sich einmischenden Religion nicht entrathen. Alles, was die Humanität erstrebte, konnte durch fromme und edle Motive nur gerechtfertigt werden. Wodurch ließ sich die Abschaffung der Sklaverei eindringlicher empfehlen, als durch die Lehre von einer durch das Christenthum veredelten Menschenwürde! Und wenn man sich streitet, ob die Juden ein Recht haben sollen, an unsern gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten Theil zu nehmen, so konnte sich an dieser Frage das Schwert des Glaubens vorn und hinten, beim <hi rendition="#g">Für</hi> und <hi rendition="#g">Wider</hi> schärfen. Die Gegner der Frage drangen auf das Christenthum als ein heiliges Fluidum, das durch die Adern unsers politischen Lebens rinnen solle; die Vertheidiger riefen den Geist der Milde und Versöhnung an, indem sie ohnedies das Heil der Religion nur in ihrer Trennung vom Staat erblicken. Wir wollen später erst die Frage entscheiden und sagen, wessen Berufung
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0158] Gesellschaft weder mit Stillschweigen umgangen, noch mit Lächeln widerlegt werden konnte; sondern der Krankheit mußte man Gesundheit gegenüberstellen; man mußte sich selbst auf einem ernsten Streben nach Aufklärung in göttlichen Dingen ertappen lassen. So baute sich eine Stimmung auf die andere. Und dadurch, daß man mit einander stritt, eine Jdee so oder so zu bestimmen, konnte denn wohl die Jdee selbst nur gewinnen. Selbst die ausschließlich politischen und sozialen Tendenzen der Zeit konnten der sich einmischenden Religion nicht entrathen. Alles, was die Humanität erstrebte, konnte durch fromme und edle Motive nur gerechtfertigt werden. Wodurch ließ sich die Abschaffung der Sklaverei eindringlicher empfehlen, als durch die Lehre von einer durch das Christenthum veredelten Menschenwürde! Und wenn man sich streitet, ob die Juden ein Recht haben sollen, an unsern gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten Theil zu nehmen, so konnte sich an dieser Frage das Schwert des Glaubens vorn und hinten, beim Für und Wider schärfen. Die Gegner der Frage drangen auf das Christenthum als ein heiliges Fluidum, das durch die Adern unsers politischen Lebens rinnen solle; die Vertheidiger riefen den Geist der Milde und Versöhnung an, indem sie ohnedies das Heil der Religion nur in ihrer Trennung vom Staat erblicken. Wir wollen später erst die Frage entscheiden und sagen, wessen Berufung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/158
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/158>, abgerufen am 24.11.2024.