Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Gefühlszustande entsprechen, und außer dem historischen Ursprunge in der Vergangenheit auch einen moralischen in der Gegenwart haben könnten, dies das Kennzeichen von Begriffen wäre, welche die Kirche und die Gemeinde als ihre Lehre und ihren Glauben jezt noch festsezt. Dies ist dasselbe System, von welchem oben erwähnt wurde, daß es Jeden schon zu seinem eigenen Heiland macht, womit denn freilich auch gesagt seyn muß, daß Jeder fromm genug sey, sich selbst an das Kreuz der Resignation zu schlagen.

Diese beiden Darstellungen des Christenthums sollten besonders deßhalb hier erwähnt werden, weil sie die Tiefe des Christenthums zwar anerkennen, aber dabei auch eine Bedingung machen, welche wir nicht mehr umgehen können. Die Bedingung ist die: alles Das, was am Christenthum historisch ist, den Kanon und die symbolischen Bücher, preiszugeben, überhaupt den Buchstaben, an welchen wir den Glauben unsrer Zeitgenossen immer weniger und weniger werden fesseln können. Stellt man nun diese Bedingung mit dem andern Zugeständniß zusammen, daß das Christenthum einen reichen Schatz von nicht nur moralischen, sondern selbst metaphysischen Wahrheiten enthält, so ergibt sich daraus für unser Jahrhundert ein Resultat, welches so verschieden von dem des achtzehnten Jahrhunderts ist und unsern Zeitgenossen Ehre macht: Ernst in göttlichen Dingen und Freiheit in menschlichen! Da habt ihr das Edelste, was die Zeit euch

einem Gefühlszustande entsprechen, und außer dem historischen Ursprunge in der Vergangenheit auch einen moralischen in der Gegenwart haben könnten, dies das Kennzeichen von Begriffen wäre, welche die Kirche und die Gemeinde als ihre Lehre und ihren Glauben jezt noch festsezt. Dies ist dasselbe System, von welchem oben erwähnt wurde, daß es Jeden schon zu seinem eigenen Heiland macht, womit denn freilich auch gesagt seyn muß, daß Jeder fromm genug sey, sich selbst an das Kreuz der Resignation zu schlagen.

Diese beiden Darstellungen des Christenthums sollten besonders deßhalb hier erwähnt werden, weil sie die Tiefe des Christenthums zwar anerkennen, aber dabei auch eine Bedingung machen, welche wir nicht mehr umgehen können. Die Bedingung ist die: alles Das, was am Christenthum historisch ist, den Kanon und die symbolischen Bücher, preiszugeben, überhaupt den Buchstaben, an welchen wir den Glauben unsrer Zeitgenossen immer weniger und weniger werden fesseln können. Stellt man nun diese Bedingung mit dem andern Zugeständniß zusammen, daß das Christenthum einen reichen Schatz von nicht nur moralischen, sondern selbst metaphysischen Wahrheiten enthält, so ergibt sich daraus für unser Jahrhundert ein Resultat, welches so verschieden von dem des achtzehnten Jahrhunderts ist und unsern Zeitgenossen Ehre macht: Ernst in göttlichen Dingen und Freiheit in menschlichen! Da habt ihr das Edelste, was die Zeit euch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="179"/>
einem Gefühlszustande entsprechen, und außer dem historischen Ursprunge in der Vergangenheit auch einen moralischen in der Gegenwart haben könnten, dies das Kennzeichen von Begriffen wäre, welche die Kirche und die Gemeinde als ihre Lehre und ihren Glauben jezt noch festsezt. Dies ist dasselbe System, von welchem oben erwähnt wurde, daß es Jeden schon zu seinem eigenen Heiland macht, womit denn freilich auch gesagt seyn muß, daß Jeder fromm genug sey, sich selbst an das Kreuz der Resignation zu schlagen.</p>
        <p>Diese beiden Darstellungen des Christenthums sollten besonders deßhalb hier erwähnt werden, weil sie die Tiefe des Christenthums zwar anerkennen, aber dabei auch eine Bedingung machen, welche wir nicht mehr umgehen können. Die Bedingung ist die: alles Das, was am Christenthum historisch ist, den Kanon und die symbolischen Bücher, preiszugeben, überhaupt den Buchstaben, an welchen wir den Glauben unsrer Zeitgenossen immer weniger und weniger werden fesseln können. Stellt man nun diese Bedingung mit dem andern Zugeständniß zusammen, daß das Christenthum einen reichen Schatz von nicht nur moralischen, sondern selbst metaphysischen Wahrheiten enthält, so ergibt sich daraus für unser Jahrhundert ein Resultat, welches so verschieden von dem des achtzehnten Jahrhunderts ist und unsern Zeitgenossen Ehre macht: Ernst in göttlichen Dingen und Freiheit in menschlichen! Da habt ihr das Edelste, was die Zeit euch
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0181] einem Gefühlszustande entsprechen, und außer dem historischen Ursprunge in der Vergangenheit auch einen moralischen in der Gegenwart haben könnten, dies das Kennzeichen von Begriffen wäre, welche die Kirche und die Gemeinde als ihre Lehre und ihren Glauben jezt noch festsezt. Dies ist dasselbe System, von welchem oben erwähnt wurde, daß es Jeden schon zu seinem eigenen Heiland macht, womit denn freilich auch gesagt seyn muß, daß Jeder fromm genug sey, sich selbst an das Kreuz der Resignation zu schlagen. Diese beiden Darstellungen des Christenthums sollten besonders deßhalb hier erwähnt werden, weil sie die Tiefe des Christenthums zwar anerkennen, aber dabei auch eine Bedingung machen, welche wir nicht mehr umgehen können. Die Bedingung ist die: alles Das, was am Christenthum historisch ist, den Kanon und die symbolischen Bücher, preiszugeben, überhaupt den Buchstaben, an welchen wir den Glauben unsrer Zeitgenossen immer weniger und weniger werden fesseln können. Stellt man nun diese Bedingung mit dem andern Zugeständniß zusammen, daß das Christenthum einen reichen Schatz von nicht nur moralischen, sondern selbst metaphysischen Wahrheiten enthält, so ergibt sich daraus für unser Jahrhundert ein Resultat, welches so verschieden von dem des achtzehnten Jahrhunderts ist und unsern Zeitgenossen Ehre macht: Ernst in göttlichen Dingen und Freiheit in menschlichen! Da habt ihr das Edelste, was die Zeit euch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/181
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/181>, abgerufen am 21.11.2024.