Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.um so dringender, als die erwachte Humanität in diesem Bürgerrecht auch das allgemeine Menschenrecht erkennt. Wir erleben das in alten Zeiten unerhörte Beispiel, daß die Juden ihre Nationalität, ihre Absonderung, ihren Stolz, ja den größten Theil ihrer Religion preisgeben, um sich den öffentlichen Thatsachen ohne Unterschied als Gleichberechtigte anzuschließen. Hätte man im fünfzehnten Jahrhundert die Juden emanzipiren wollen, sie würden es nicht angenommen haben; die Unterdrückung war alltägliche Gewöhnung, sie würzte den Glauben, der seine größte Stärke in unbegründeten, aber doch schmeichelhaften Hoffnungen fand. Die Juden würden um den Preis ihrer Religion und Nationalität die Erlösung aus ihrem Joche nicht angenommen haben. Jezt aber, wo an die Stelle der Aristokratie der Geburt die Aristokratie des Geldes getreten ist, wo Jndustrie und Handel die Gegenstände der feinsten politischen Sorgfalt sind, wo die dogmatischen Traditionen des Glaubens gelüftet wurden, hat sich auch bei den Juden längst der Ehrgeiz und die Scheu verloren, mit dem Christen eine und dieselbe geistige und leibliche Speise zu essen. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ringen die Juden nach einer sogenannten Emanzipation und werden darin von aufgeklärten und gefühlvollen Christen unterstüzt. Sie wollen nicht mehr auf Pfänder leihen, mit alten Büchern handeln, mit dem Quersack durch die Straßen ziehen und für alte Kleider neues Geld geben; sie um so dringender, als die erwachte Humanität in diesem Bürgerrecht auch das allgemeine Menschenrecht erkennt. Wir erleben das in alten Zeiten unerhörte Beispiel, daß die Juden ihre Nationalität, ihre Absonderung, ihren Stolz, ja den größten Theil ihrer Religion preisgeben, um sich den öffentlichen Thatsachen ohne Unterschied als Gleichberechtigte anzuschließen. Hätte man im fünfzehnten Jahrhundert die Juden emanzipiren wollen, sie würden es nicht angenommen haben; die Unterdrückung war alltägliche Gewöhnung, sie würzte den Glauben, der seine größte Stärke in unbegründeten, aber doch schmeichelhaften Hoffnungen fand. Die Juden würden um den Preis ihrer Religion und Nationalität die Erlösung aus ihrem Joche nicht angenommen haben. Jezt aber, wo an die Stelle der Aristokratie der Geburt die Aristokratie des Geldes getreten ist, wo Jndustrie und Handel die Gegenstände der feinsten politischen Sorgfalt sind, wo die dogmatischen Traditionen des Glaubens gelüftet wurden, hat sich auch bei den Juden längst der Ehrgeiz und die Scheu verloren, mit dem Christen eine und dieselbe geistige und leibliche Speise zu essen. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ringen die Juden nach einer sogenannten Emanzipation und werden darin von aufgeklärten und gefühlvollen Christen unterstüzt. Sie wollen nicht mehr auf Pfänder leihen, mit alten Büchern handeln, mit dem Quersack durch die Straßen ziehen und für alte Kleider neues Geld geben; sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0212" n="210"/> um so dringender, als die erwachte Humanität in diesem Bürgerrecht auch das allgemeine Menschenrecht erkennt. Wir erleben das in alten Zeiten unerhörte Beispiel, daß die Juden ihre Nationalität, ihre Absonderung, ihren Stolz, ja den größten Theil ihrer Religion preisgeben, um sich den öffentlichen Thatsachen ohne Unterschied als Gleichberechtigte anzuschließen. Hätte man im fünfzehnten Jahrhundert die Juden emanzipiren wollen, sie würden es nicht angenommen haben; die Unterdrückung war alltägliche Gewöhnung, sie würzte den Glauben, der seine größte Stärke in unbegründeten, aber doch schmeichelhaften Hoffnungen fand. Die Juden würden um den Preis ihrer Religion und Nationalität die Erlösung aus ihrem Joche nicht angenommen haben. Jezt aber, wo an die Stelle der Aristokratie der Geburt die Aristokratie des Geldes getreten ist, wo Jndustrie und Handel die Gegenstände der feinsten politischen Sorgfalt sind, wo die dogmatischen Traditionen des Glaubens gelüftet wurden, hat sich auch bei den Juden längst der Ehrgeiz und die Scheu verloren, mit dem Christen eine und dieselbe geistige und leibliche Speise zu essen. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ringen die Juden nach einer sogenannten Emanzipation und werden darin von aufgeklärten und gefühlvollen Christen unterstüzt. Sie wollen nicht mehr auf Pfänder leihen, mit alten Büchern handeln, mit dem Quersack durch die Straßen ziehen und für alte Kleider neues Geld geben; sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [210/0212]
um so dringender, als die erwachte Humanität in diesem Bürgerrecht auch das allgemeine Menschenrecht erkennt. Wir erleben das in alten Zeiten unerhörte Beispiel, daß die Juden ihre Nationalität, ihre Absonderung, ihren Stolz, ja den größten Theil ihrer Religion preisgeben, um sich den öffentlichen Thatsachen ohne Unterschied als Gleichberechtigte anzuschließen. Hätte man im fünfzehnten Jahrhundert die Juden emanzipiren wollen, sie würden es nicht angenommen haben; die Unterdrückung war alltägliche Gewöhnung, sie würzte den Glauben, der seine größte Stärke in unbegründeten, aber doch schmeichelhaften Hoffnungen fand. Die Juden würden um den Preis ihrer Religion und Nationalität die Erlösung aus ihrem Joche nicht angenommen haben. Jezt aber, wo an die Stelle der Aristokratie der Geburt die Aristokratie des Geldes getreten ist, wo Jndustrie und Handel die Gegenstände der feinsten politischen Sorgfalt sind, wo die dogmatischen Traditionen des Glaubens gelüftet wurden, hat sich auch bei den Juden längst der Ehrgeiz und die Scheu verloren, mit dem Christen eine und dieselbe geistige und leibliche Speise zu essen. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ringen die Juden nach einer sogenannten Emanzipation und werden darin von aufgeklärten und gefühlvollen Christen unterstüzt. Sie wollen nicht mehr auf Pfänder leihen, mit alten Büchern handeln, mit dem Quersack durch die Straßen ziehen und für alte Kleider neues Geld geben; sie
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/212>, abgerufen am 16.02.2025. |