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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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ist, nimmt so sehr überhand, daß wir wohl gar die ganze Prosa des gegenwärtigen Daseyns ergreifen und sie mit jenen grellen Schlaglichtern wiedergeben, welche der Charakter der neuern französischen Romantik wurden. Ja, man kann als Künstler zu den Zeitgenossen wieder zurückkehren, man kann selbst in den gedrückten und beängsteten Zuständen, von welchen sie gefoltert werden, hier und da ein wenig Erde abschaufeln, um Poesie zu entdecken, aber ausgehen kann man von dieser Zeit nicht. Man muß in der Einsamkeit gelebt haben, man mußte seine Umgebung einmal wenigstens geflohen seyn. Wer den Wald, die Nacht nicht kennt, wird nie ein Dichter werden; wer sich in den Geist des medizeischen Zeitalters nicht vertiefte und sich mit den Blüthen der ehemaligen Malerklassizität einschloß, wer nicht einen alten, aus der Erde gegrabenen Rumpf studirte und sich einen Unteroffizier kommen läßt, um nicht seine Uniform, seine Exerzitien, sondern seinen kräftigen Muskelbau zu studiren, der wird kein Maler und Bildner werden. Und selbst jene ganz mittelpunktlos gewordne Kunst, die Architektur, längst bestimmt, nur noch Schornsteine und möglichst rauchlose Kamine zu bauen, wir werden hören, daß sie seufzt und griechische und gothische Tempel nur in Rissen auf dem Papiere zaubert.

Daß die Kunst etwas Vermitteltes ist, ergibt sich namentlich aus ihrem Verhältniß zu Jrrthum und Wahrheit; man kann wohl sagen, daß in unsrer Zeit

ist, nimmt so sehr überhand, daß wir wohl gar die ganze Prosa des gegenwärtigen Daseyns ergreifen und sie mit jenen grellen Schlaglichtern wiedergeben, welche der Charakter der neuern französischen Romantik wurden. Ja, man kann als Künstler zu den Zeitgenossen wieder zurückkehren, man kann selbst in den gedrückten und beängsteten Zuständen, von welchen sie gefoltert werden, hier und da ein wenig Erde abschaufeln, um Poesie zu entdecken, aber ausgehen kann man von dieser Zeit nicht. Man muß in der Einsamkeit gelebt haben, man mußte seine Umgebung einmal wenigstens geflohen seyn. Wer den Wald, die Nacht nicht kennt, wird nie ein Dichter werden; wer sich in den Geist des medizeischen Zeitalters nicht vertiefte und sich mit den Blüthen der ehemaligen Malerklassizität einschloß, wer nicht einen alten, aus der Erde gegrabenen Rumpf studirte und sich einen Unteroffizier kommen läßt, um nicht seine Uniform, seine Exerzitien, sondern seinen kräftigen Muskelbau zu studiren, der wird kein Maler und Bildner werden. Und selbst jene ganz mittelpunktlos gewordne Kunst, die Architektur, längst bestimmt, nur noch Schornsteine und möglichst rauchlose Kamine zu bauen, wir werden hören, daß sie seufzt und griechische und gothische Tempel nur in Rissen auf dem Papiere zaubert.

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[247/0249] ist, nimmt so sehr überhand, daß wir wohl gar die ganze Prosa des gegenwärtigen Daseyns ergreifen und sie mit jenen grellen Schlaglichtern wiedergeben, welche der Charakter der neuern französischen Romantik wurden. Ja, man kann als Künstler zu den Zeitgenossen wieder zurückkehren, man kann selbst in den gedrückten und beängsteten Zuständen, von welchen sie gefoltert werden, hier und da ein wenig Erde abschaufeln, um Poesie zu entdecken, aber ausgehen kann man von dieser Zeit nicht. Man muß in der Einsamkeit gelebt haben, man mußte seine Umgebung einmal wenigstens geflohen seyn. Wer den Wald, die Nacht nicht kennt, wird nie ein Dichter werden; wer sich in den Geist des medizeischen Zeitalters nicht vertiefte und sich mit den Blüthen der ehemaligen Malerklassizität einschloß, wer nicht einen alten, aus der Erde gegrabenen Rumpf studirte und sich einen Unteroffizier kommen läßt, um nicht seine Uniform, seine Exerzitien, sondern seinen kräftigen Muskelbau zu studiren, der wird kein Maler und Bildner werden. Und selbst jene ganz mittelpunktlos gewordne Kunst, die Architektur, längst bestimmt, nur noch Schornsteine und möglichst rauchlose Kamine zu bauen, wir werden hören, daß sie seufzt und griechische und gothische Tempel nur in Rissen auf dem Papiere zaubert. Daß die Kunst etwas Vermitteltes ist, ergibt sich namentlich aus ihrem Verhältniß zu Jrrthum und Wahrheit; man kann wohl sagen, daß in unsrer Zeit

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/249>, abgerufen am 24.11.2024.