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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Dichter, die der neuern Zeit angehören, können es bestätigen, wenn wir Folgendes als die allgemeinen Charakterzüge der neuern europäischen Dichtkunst bezeichnen:

Die Dichtkunst ist Opposition geworden, bei sanfteren Naturen gegen gewisse hergebrachte poetische Theorien, bei stärkern sogar gegen die Verfassung der Gesellschaft. Darin vereinigen sich alle Dichtertalente der neuern Zeit, daß sie sich an die Geschmacksregeln des vorigen Jahrhunderts nicht mehr binden und in Frage nach der Schönheit namentlich versuchen, sie aus dem Jndividuum selbst herauszubilden und in der Leidenschaft eine Begränzung zu finden, wo es möglich ist, sich an ihrem Farbenspiel ästhetisch zu weiden. Die neuere Poesie ist, der Gegenwart gegenüber, rasch, ungestüm, mißtrauisch und wo nicht mit der Welt, doch gewiß mit sich selber unzufrieden. Schon im vorigen Jahrhundert stiegen die Poeten gern in entfernte Zeiten und Völkerzustände zurück, allein es war Neugier und ein falscher Begriff von der Erhabenheit, der sie dort hintrieb. Jezt sehen wir auch wohl Dichter sich in die Vergangenheit versenken, aber jeder will doch etwas suchen, wo er gleich vornherein eingesteht, daß die Gegenwart es ihm nicht bieten könne und sey es auch nur, wie die breiten historischen Romandichter sagen, ihnen die Gegenwart nicht so viel Staffage für die Erfindung darböte und ihre Kombinationen nicht so wahrscheinlich mache, wie die

Dichter, die der neuern Zeit angehören, können es bestätigen, wenn wir Folgendes als die allgemeinen Charakterzüge der neuern europäischen Dichtkunst bezeichnen:

Die Dichtkunst ist Opposition geworden, bei sanfteren Naturen gegen gewisse hergebrachte poetische Theorien, bei stärkern sogar gegen die Verfassung der Gesellschaft. Darin vereinigen sich alle Dichtertalente der neuern Zeit, daß sie sich an die Geschmacksregeln des vorigen Jahrhunderts nicht mehr binden und in Frage nach der Schönheit namentlich versuchen, sie aus dem Jndividuum selbst herauszubilden und in der Leidenschaft eine Begränzung zu finden, wo es möglich ist, sich an ihrem Farbenspiel ästhetisch zu weiden. Die neuere Poesie ist, der Gegenwart gegenüber, rasch, ungestüm, mißtrauisch und wo nicht mit der Welt, doch gewiß mit sich selber unzufrieden. Schon im vorigen Jahrhundert stiegen die Poeten gern in entfernte Zeiten und Völkerzustände zurück, allein es war Neugier und ein falscher Begriff von der Erhabenheit, der sie dort hintrieb. Jezt sehen wir auch wohl Dichter sich in die Vergangenheit versenken, aber jeder will doch etwas suchen, wo er gleich vornherein eingesteht, daß die Gegenwart es ihm nicht bieten könne und sey es auch nur, wie die breiten historischen Romandichter sagen, ihnen die Gegenwart nicht so viel Staffage für die Erfindung darböte und ihre Kombinationen nicht so wahrscheinlich mache, wie die

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[279/0281] Dichter, die der neuern Zeit angehören, können es bestätigen, wenn wir Folgendes als die allgemeinen Charakterzüge der neuern europäischen Dichtkunst bezeichnen: Die Dichtkunst ist Opposition geworden, bei sanfteren Naturen gegen gewisse hergebrachte poetische Theorien, bei stärkern sogar gegen die Verfassung der Gesellschaft. Darin vereinigen sich alle Dichtertalente der neuern Zeit, daß sie sich an die Geschmacksregeln des vorigen Jahrhunderts nicht mehr binden und in Frage nach der Schönheit namentlich versuchen, sie aus dem Jndividuum selbst herauszubilden und in der Leidenschaft eine Begränzung zu finden, wo es möglich ist, sich an ihrem Farbenspiel ästhetisch zu weiden. Die neuere Poesie ist, der Gegenwart gegenüber, rasch, ungestüm, mißtrauisch und wo nicht mit der Welt, doch gewiß mit sich selber unzufrieden. Schon im vorigen Jahrhundert stiegen die Poeten gern in entfernte Zeiten und Völkerzustände zurück, allein es war Neugier und ein falscher Begriff von der Erhabenheit, der sie dort hintrieb. Jezt sehen wir auch wohl Dichter sich in die Vergangenheit versenken, aber jeder will doch etwas suchen, wo er gleich vornherein eingesteht, daß die Gegenwart es ihm nicht bieten könne und sey es auch nur, wie die breiten historischen Romandichter sagen, ihnen die Gegenwart nicht so viel Staffage für die Erfindung darböte und ihre Kombinationen nicht so wahrscheinlich mache, wie die

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/281>, abgerufen am 22.11.2024.