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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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nur eroberte und meist mit wenig Glück behauptete Stellung besizt, so kam ein unruhiges gährendes Element in sie, das nach Beifall strebend nicht wußte, womit es diesen erobern sollte. Die Einzelheiten in der Poesie wurden übertrieben, die Poesie selbst grübelte, statt daß sie frei und harmlos sich erging. Diese Neigung zum Tiefsinn und Widerspruch hat der Stellung der Poesie und Kunst überhaupt in unserer Zeit viel geschadet, hat die Fürsten ihr abwendig gemacht und im Bereiche der ästhetischen Gesetze selbst eine noch nicht gelöste Prinzipienverwirrung hervorgerufen.

Zu allen Zeiten hat es für eine Gattung der Poesie mehr Gunst der Umstände gegeben, als für die andern. Das Epos, das Drama, jedes wechselt in der Literaturgeschichte darin ab, daß bald das eine, bald das andere mehr im Vorgrunde stand. Jezt bestätigt sich diese Erfahrung wieder so lebhaft, daß es einige Gattungen in der Poesie gibt, welche durch die Verwickelung der Umstände ganz brach liegen und erst durch Ereignisse und Umwälzungen der gegenwärtigen Bildungs- und Gefühlsstufe wieder neu belebt werden können. Vom Drama möchte man wohl weniger allgemein zustimmen, daß es sich vergeblich nach einer rechten Anknüpfung umsieht, allein vom Epos ist es entschieden, daß seine Anbauung unter dem Himmelsstrich unsrer gegenwärtigen Epoche nicht gedeihen will. So viel durch diese Abneigung der Umstände und der Gemüthsstimmungen der Dichter an Terrain verliert,

nur eroberte und meist mit wenig Glück behauptete Stellung besizt, so kam ein unruhiges gährendes Element in sie, das nach Beifall strebend nicht wußte, womit es diesen erobern sollte. Die Einzelheiten in der Poesie wurden übertrieben, die Poesie selbst grübelte, statt daß sie frei und harmlos sich erging. Diese Neigung zum Tiefsinn und Widerspruch hat der Stellung der Poesie und Kunst überhaupt in unserer Zeit viel geschadet, hat die Fürsten ihr abwendig gemacht und im Bereiche der ästhetischen Gesetze selbst eine noch nicht gelöste Prinzipienverwirrung hervorgerufen.

Zu allen Zeiten hat es für eine Gattung der Poesie mehr Gunst der Umstände gegeben, als für die andern. Das Epos, das Drama, jedes wechselt in der Literaturgeschichte darin ab, daß bald das eine, bald das andere mehr im Vorgrunde stand. Jezt bestätigt sich diese Erfahrung wieder so lebhaft, daß es einige Gattungen in der Poesie gibt, welche durch die Verwickelung der Umstände ganz brach liegen und erst durch Ereignisse und Umwälzungen der gegenwärtigen Bildungs- und Gefühlsstufe wieder neu belebt werden können. Vom Drama möchte man wohl weniger allgemein zustimmen, daß es sich vergeblich nach einer rechten Anknüpfung umsieht, allein vom Epos ist es entschieden, daß seine Anbauung unter dem Himmelsstrich unsrer gegenwärtigen Epoche nicht gedeihen will. So viel durch diese Abneigung der Umstände und der Gemüthsstimmungen der Dichter an Terrain verliert,

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[283/0285] nur eroberte und meist mit wenig Glück behauptete Stellung besizt, so kam ein unruhiges gährendes Element in sie, das nach Beifall strebend nicht wußte, womit es diesen erobern sollte. Die Einzelheiten in der Poesie wurden übertrieben, die Poesie selbst grübelte, statt daß sie frei und harmlos sich erging. Diese Neigung zum Tiefsinn und Widerspruch hat der Stellung der Poesie und Kunst überhaupt in unserer Zeit viel geschadet, hat die Fürsten ihr abwendig gemacht und im Bereiche der ästhetischen Gesetze selbst eine noch nicht gelöste Prinzipienverwirrung hervorgerufen. Zu allen Zeiten hat es für eine Gattung der Poesie mehr Gunst der Umstände gegeben, als für die andern. Das Epos, das Drama, jedes wechselt in der Literaturgeschichte darin ab, daß bald das eine, bald das andere mehr im Vorgrunde stand. Jezt bestätigt sich diese Erfahrung wieder so lebhaft, daß es einige Gattungen in der Poesie gibt, welche durch die Verwickelung der Umstände ganz brach liegen und erst durch Ereignisse und Umwälzungen der gegenwärtigen Bildungs- und Gefühlsstufe wieder neu belebt werden können. Vom Drama möchte man wohl weniger allgemein zustimmen, daß es sich vergeblich nach einer rechten Anknüpfung umsieht, allein vom Epos ist es entschieden, daß seine Anbauung unter dem Himmelsstrich unsrer gegenwärtigen Epoche nicht gedeihen will. So viel durch diese Abneigung der Umstände und der Gemüthsstimmungen der Dichter an Terrain verliert,

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/285>, abgerufen am 22.11.2024.