Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.von daher, wo man das Neue zu erwarten pflegt und ihm mit Kopf und Hand entgegenarbeitet, es niemals kommt. Man kann Theorien verfolgen, z. B. in der Wissenschaft; man kann sein Leben der Aufgabe widmen, irgend ein vorhandenes Material zu einem Systeme zusammenzusetzen, und plötzlich wird eine neue Schrift entdeckt, plötzlich bringt der Zufall von einer ganz andern Seite her eine neue naturwissenschaftliche Erfahrung, und die Wissenschaft nimmt eine Richtung, die sie nie geahnt. So wollen wir uns auch nicht darauf einlassen, Grillen nachzuhängen und etwa uns fragen: welches ist die Bestimmung unseres Welttheils, werden die andern eine Gewalt über ihn gewinnen, wird Amerika von Eroberungslust ergriffen, wird Asien durch den Hunger und die Menschenüberzahl getrieben werden, sich auf Europa zu werfen; wird das Christenthum ewig seyn - wird unser Erdball diese oder jene Bestimmung haben; werden die Menschen auf immer aussterben und einer neuen Schöpfung und höheren Wesen Platz machen? Dies Alles ist in Gottes Hand gegeben. Leichter ist es, die kleinen Verwickelungen des Momentes im Voraus zu lösen. Wer divinatorisches Talent besizt, die Geschichte studirt hat und in ihr selbst einen Platz, wenn nur der Ruf an ihn käme, auszufüllen vermöchte, der sagt uns wohl, wie aus den im Januar gegebenen Faktoren, sich im Dezember des Jahres ein Erfolg zusammenziehen muß. Jm von daher, wo man das Neue zu erwarten pflegt und ihm mit Kopf und Hand entgegenarbeitet, es niemals kommt. Man kann Theorien verfolgen, z. B. in der Wissenschaft; man kann sein Leben der Aufgabe widmen, irgend ein vorhandenes Material zu einem Systeme zusammenzusetzen, und plötzlich wird eine neue Schrift entdeckt, plötzlich bringt der Zufall von einer ganz andern Seite her eine neue naturwissenschaftliche Erfahrung, und die Wissenschaft nimmt eine Richtung, die sie nie geahnt. So wollen wir uns auch nicht darauf einlassen, Grillen nachzuhängen und etwa uns fragen: welches ist die Bestimmung unseres Welttheils, werden die andern eine Gewalt über ihn gewinnen, wird Amerika von Eroberungslust ergriffen, wird Asien durch den Hunger und die Menschenüberzahl getrieben werden, sich auf Europa zu werfen; wird das Christenthum ewig seyn – wird unser Erdball diese oder jene Bestimmung haben; werden die Menschen auf immer aussterben und einer neuen Schöpfung und höheren Wesen Platz machen? Dies Alles ist in Gottes Hand gegeben. Leichter ist es, die kleinen Verwickelungen des Momentes im Voraus zu lösen. Wer divinatorisches Talent besizt, die Geschichte studirt hat und in ihr selbst einen Platz, wenn nur der Ruf an ihn käme, auszufüllen vermöchte, der sagt uns wohl, wie aus den im Januar gegebenen Faktoren, sich im Dezember des Jahres ein Erfolg zusammenziehen muß. Jm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0371" n="369"/> von daher, wo man das Neue zu erwarten pflegt und ihm mit Kopf und Hand entgegenarbeitet, es niemals kommt. Man kann Theorien verfolgen, z. B. in der Wissenschaft; man kann sein Leben der Aufgabe widmen, irgend ein vorhandenes Material zu einem Systeme zusammenzusetzen, und plötzlich wird eine neue Schrift entdeckt, plötzlich bringt der Zufall von einer ganz andern Seite her eine neue naturwissenschaftliche Erfahrung, und die Wissenschaft nimmt eine Richtung, die sie nie geahnt. So wollen wir uns auch nicht darauf einlassen, Grillen nachzuhängen und etwa uns fragen: welches ist die Bestimmung unseres Welttheils, werden die andern eine Gewalt über ihn gewinnen, wird Amerika von Eroberungslust ergriffen, wird Asien durch den Hunger und die Menschenüberzahl getrieben werden, sich auf Europa zu werfen; wird das Christenthum ewig seyn – wird unser Erdball diese oder jene Bestimmung haben; werden die Menschen auf immer aussterben und einer neuen Schöpfung und höheren Wesen Platz machen? Dies Alles ist in Gottes Hand gegeben.</p> <p>Leichter ist es, die kleinen Verwickelungen des Momentes im Voraus zu lösen. Wer divinatorisches Talent besizt, die Geschichte studirt hat und in ihr selbst einen Platz, wenn nur der Ruf an ihn käme, auszufüllen vermöchte, der sagt uns wohl, wie aus den im Januar gegebenen Faktoren, sich im Dezember des Jahres ein Erfolg zusammenziehen muß. Jm </p> </div> </body> </text> </TEI> [369/0371]
von daher, wo man das Neue zu erwarten pflegt und ihm mit Kopf und Hand entgegenarbeitet, es niemals kommt. Man kann Theorien verfolgen, z. B. in der Wissenschaft; man kann sein Leben der Aufgabe widmen, irgend ein vorhandenes Material zu einem Systeme zusammenzusetzen, und plötzlich wird eine neue Schrift entdeckt, plötzlich bringt der Zufall von einer ganz andern Seite her eine neue naturwissenschaftliche Erfahrung, und die Wissenschaft nimmt eine Richtung, die sie nie geahnt. So wollen wir uns auch nicht darauf einlassen, Grillen nachzuhängen und etwa uns fragen: welches ist die Bestimmung unseres Welttheils, werden die andern eine Gewalt über ihn gewinnen, wird Amerika von Eroberungslust ergriffen, wird Asien durch den Hunger und die Menschenüberzahl getrieben werden, sich auf Europa zu werfen; wird das Christenthum ewig seyn – wird unser Erdball diese oder jene Bestimmung haben; werden die Menschen auf immer aussterben und einer neuen Schöpfung und höheren Wesen Platz machen? Dies Alles ist in Gottes Hand gegeben.
Leichter ist es, die kleinen Verwickelungen des Momentes im Voraus zu lösen. Wer divinatorisches Talent besizt, die Geschichte studirt hat und in ihr selbst einen Platz, wenn nur der Ruf an ihn käme, auszufüllen vermöchte, der sagt uns wohl, wie aus den im Januar gegebenen Faktoren, sich im Dezember des Jahres ein Erfolg zusammenziehen muß. Jm
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/371>, abgerufen am 16.07.2024. |