Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Moment, wo dies geschrieben wird, schafft sich die Königin Viktoria ihr erstes Parlament, die konservative Aristokratie hat ihre äußersten Kräfte aufgeboten, um der liberalen das Gegengewicht zu halten, das Uebermaß der Anstrengung verräth die Nähe der Entscheidung. Man braucht wenig politischen Takt zu haben, um an dem Aeußersten, was die beiden Parteien leisten, sich zu überzeugen, daß diese Art des Gegensatzes bald sich überlebt haben wird. Dem Radikalismus eines O'Connel verdankt die Whigpartei ihre augenblickliche Erhaltung, die in England und Schottland durchgefallnen Kandidaten des Ministeriums wurden durch seinen Einfluß in den ihm sklavisch anhängenden Flecken Jrlands gewählt, der Atlas der Demagogie trägt das ganze Firmament der gegenwärtigen englischen Politik; wie soll dies enden? Whigs und Tories reiben sich aneinander auf, der Radikalismus benuzt den Streit und erhebt sein Haupt. Kömmt er zum Siege auf friedlichem Wege, so geschähe es gewiß nur dadurch, daß die mürben Reste der zweigespaltenen Aristokratie seinen Boden düngten und ihm jene politische Haltung, jene gemäßigte Begrenzung gäben, ohne welche die Radikalpartei in England nie zu einem Siege kommen könnte. Das Ziel, worauf England lossteuert, ist dies: Wir haben Freiheit, aber nur persönliche, historische, bedingt durch hundert veraltete Anomalien. Wir wollen die Freiheit nicht mehr als ein Werk früherer, tumultuarischer Moment, wo dies geschrieben wird, schafft sich die Königin Viktoria ihr erstes Parlament, die konservative Aristokratie hat ihre äußersten Kräfte aufgeboten, um der liberalen das Gegengewicht zu halten, das Uebermaß der Anstrengung verräth die Nähe der Entscheidung. Man braucht wenig politischen Takt zu haben, um an dem Aeußersten, was die beiden Parteien leisten, sich zu überzeugen, daß diese Art des Gegensatzes bald sich überlebt haben wird. Dem Radikalismus eines O’Connel verdankt die Whigpartei ihre augenblickliche Erhaltung, die in England und Schottland durchgefallnen Kandidaten des Ministeriums wurden durch seinen Einfluß in den ihm sklavisch anhängenden Flecken Jrlands gewählt, der Atlas der Demagogie trägt das ganze Firmament der gegenwärtigen englischen Politik; wie soll dies enden? Whigs und Tories reiben sich aneinander auf, der Radikalismus benuzt den Streit und erhebt sein Haupt. Kömmt er zum Siege auf friedlichem Wege, so geschähe es gewiß nur dadurch, daß die mürben Reste der zweigespaltenen Aristokratie seinen Boden düngten und ihm jene politische Haltung, jene gemäßigte Begrenzung gäben, ohne welche die Radikalpartei in England nie zu einem Siege kommen könnte. Das Ziel, worauf England lossteuert, ist dies: Wir haben Freiheit, aber nur persönliche, historische, bedingt durch hundert veraltete Anomalien. Wir wollen die Freiheit nicht mehr als ein Werk früherer, tumultuarischer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0372" n="370"/> Moment, wo dies geschrieben wird, schafft sich die Königin <hi rendition="#g">Viktoria</hi> ihr erstes Parlament, die konservative Aristokratie hat ihre äußersten Kräfte aufgeboten, um der liberalen das Gegengewicht zu halten, das Uebermaß der Anstrengung verräth die Nähe der Entscheidung. Man braucht wenig politischen Takt zu haben, um an dem Aeußersten, was die beiden Parteien leisten, sich zu überzeugen, daß diese Art des Gegensatzes bald sich überlebt haben wird. Dem Radikalismus eines <hi rendition="#g">O’Connel</hi> verdankt die Whigpartei ihre augenblickliche Erhaltung, die in England und Schottland durchgefallnen Kandidaten des Ministeriums wurden durch seinen Einfluß in den ihm sklavisch anhängenden Flecken Jrlands gewählt, der Atlas der Demagogie trägt das ganze Firmament der gegenwärtigen englischen Politik; wie soll dies enden? Whigs und Tories reiben sich aneinander auf, der Radikalismus benuzt den Streit und erhebt sein Haupt. Kömmt er zum Siege auf friedlichem Wege, so geschähe es gewiß nur dadurch, daß die mürben Reste der zweigespaltenen Aristokratie seinen Boden düngten und ihm jene politische Haltung, jene gemäßigte Begrenzung gäben, ohne welche die Radikalpartei in England nie zu einem Siege kommen könnte. Das Ziel, worauf England lossteuert, ist dies: Wir haben Freiheit, aber nur persönliche, historische, bedingt durch hundert veraltete Anomalien. Wir wollen die Freiheit nicht mehr als ein Werk früherer, tumultuarischer </p> </div> </body> </text> </TEI> [370/0372]
Moment, wo dies geschrieben wird, schafft sich die Königin Viktoria ihr erstes Parlament, die konservative Aristokratie hat ihre äußersten Kräfte aufgeboten, um der liberalen das Gegengewicht zu halten, das Uebermaß der Anstrengung verräth die Nähe der Entscheidung. Man braucht wenig politischen Takt zu haben, um an dem Aeußersten, was die beiden Parteien leisten, sich zu überzeugen, daß diese Art des Gegensatzes bald sich überlebt haben wird. Dem Radikalismus eines O’Connel verdankt die Whigpartei ihre augenblickliche Erhaltung, die in England und Schottland durchgefallnen Kandidaten des Ministeriums wurden durch seinen Einfluß in den ihm sklavisch anhängenden Flecken Jrlands gewählt, der Atlas der Demagogie trägt das ganze Firmament der gegenwärtigen englischen Politik; wie soll dies enden? Whigs und Tories reiben sich aneinander auf, der Radikalismus benuzt den Streit und erhebt sein Haupt. Kömmt er zum Siege auf friedlichem Wege, so geschähe es gewiß nur dadurch, daß die mürben Reste der zweigespaltenen Aristokratie seinen Boden düngten und ihm jene politische Haltung, jene gemäßigte Begrenzung gäben, ohne welche die Radikalpartei in England nie zu einem Siege kommen könnte. Das Ziel, worauf England lossteuert, ist dies: Wir haben Freiheit, aber nur persönliche, historische, bedingt durch hundert veraltete Anomalien. Wir wollen die Freiheit nicht mehr als ein Werk früherer, tumultuarischer
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