Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Eigenthumsfrage durch billige Abfindung zu lösen sucht. Wenn wir uns auszudrücken pflegen, daß der Bürgergeist in unserer Zeit alle übrigen Jnteressen überwiegt, so ist dies allerdings nur eine einseitige Bezeichnung. Das Richtige ist: Jahrhunderte hat der dritte Stand gebraucht, um sich eine Geltung zu geben. Er ist ein glücklicherer Vermittler der Staatsinteressen geworden, als der Adel. Wenn er den leztern an Macht überragt, ihn an Reichthum weit hinter sich läßt und selbst an Bildung übertrifft, so muß er auch gegen jenen immerdar einen Vorsprung gewonnen haben, in welchem ihn der Adel nicht wieder einholen kann. Ueberdies ist dieser dem dritten Stand gewordene Vorrang keine Usurpation, sondern die natürliche Folge einer Menge von Umständen, die alle zusammenkommen mußten, um den Adel in seiner früheren Geltung zu untergraben. Deßhalb sollen auch die Verfassungen nicht dazu dienen, feudalistische Ansprüche auch für die Gegenwart noch zu befestigen und etwa ein Gleichgewicht zwischen dem Adel und dem Bürger in den modernen Staaten herzustellen; sondern es soll im Staat der Ueberhang mit einer entschieden abschüssigen Tendenz dem dritten Stande gebühren und die übrige Standschaft nur dazu dienen, den Staat in seiner Neigung von dem völligen Sturz zur Demokratie zurückzuhalten und der bürgerlichen Tendenz einigermaßen auch einen Zügel anzulegen. Eigenthumsfrage durch billige Abfindung zu lösen sucht. Wenn wir uns auszudrücken pflegen, daß der Bürgergeist in unserer Zeit alle übrigen Jnteressen überwiegt, so ist dies allerdings nur eine einseitige Bezeichnung. Das Richtige ist: Jahrhunderte hat der dritte Stand gebraucht, um sich eine Geltung zu geben. Er ist ein glücklicherer Vermittler der Staatsinteressen geworden, als der Adel. Wenn er den leztern an Macht überragt, ihn an Reichthum weit hinter sich läßt und selbst an Bildung übertrifft, so muß er auch gegen jenen immerdar einen Vorsprung gewonnen haben, in welchem ihn der Adel nicht wieder einholen kann. Ueberdies ist dieser dem dritten Stand gewordene Vorrang keine Usurpation, sondern die natürliche Folge einer Menge von Umständen, die alle zusammenkommen mußten, um den Adel in seiner früheren Geltung zu untergraben. Deßhalb sollen auch die Verfassungen nicht dazu dienen, feudalistische Ansprüche auch für die Gegenwart noch zu befestigen und etwa ein Gleichgewicht zwischen dem Adel und dem Bürger in den modernen Staaten herzustellen; sondern es soll im Staat der Ueberhang mit einer entschieden abschüssigen Tendenz dem dritten Stande gebühren und die übrige Standschaft nur dazu dienen, den Staat in seiner Neigung von dem völligen Sturz zur Demokratie zurückzuhalten und der bürgerlichen Tendenz einigermaßen auch einen Zügel anzulegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0378" n="376"/> Eigenthumsfrage durch billige Abfindung zu lösen sucht. Wenn wir uns auszudrücken pflegen, daß der Bürgergeist in unserer Zeit alle übrigen Jnteressen überwiegt, so ist dies allerdings nur eine einseitige Bezeichnung. Das Richtige ist: Jahrhunderte hat der dritte Stand gebraucht, um sich eine Geltung zu geben. Er ist ein glücklicherer Vermittler der Staatsinteressen geworden, als der Adel. Wenn er den leztern an Macht überragt, ihn an Reichthum weit hinter sich läßt und selbst an Bildung übertrifft, so muß er auch gegen jenen immerdar einen Vorsprung gewonnen haben, in welchem ihn der Adel nicht wieder einholen kann. Ueberdies ist dieser dem dritten Stand gewordene Vorrang keine Usurpation, sondern die natürliche Folge einer Menge von Umständen, die alle zusammenkommen mußten, um den Adel in seiner früheren Geltung zu untergraben. Deßhalb sollen auch die Verfassungen nicht dazu dienen, feudalistische Ansprüche auch für die Gegenwart noch zu befestigen und etwa ein Gleichgewicht zwischen dem Adel und dem Bürger in den modernen Staaten herzustellen; sondern es soll im Staat der Ueberhang mit einer entschieden abschüssigen Tendenz dem dritten Stande gebühren und die übrige Standschaft nur dazu dienen, den Staat in seiner Neigung von dem völligen Sturz zur Demokratie zurückzuhalten und der bürgerlichen Tendenz einigermaßen auch einen Zügel anzulegen. </p> </div> </body> </text> </TEI> [376/0378]
Eigenthumsfrage durch billige Abfindung zu lösen sucht. Wenn wir uns auszudrücken pflegen, daß der Bürgergeist in unserer Zeit alle übrigen Jnteressen überwiegt, so ist dies allerdings nur eine einseitige Bezeichnung. Das Richtige ist: Jahrhunderte hat der dritte Stand gebraucht, um sich eine Geltung zu geben. Er ist ein glücklicherer Vermittler der Staatsinteressen geworden, als der Adel. Wenn er den leztern an Macht überragt, ihn an Reichthum weit hinter sich läßt und selbst an Bildung übertrifft, so muß er auch gegen jenen immerdar einen Vorsprung gewonnen haben, in welchem ihn der Adel nicht wieder einholen kann. Ueberdies ist dieser dem dritten Stand gewordene Vorrang keine Usurpation, sondern die natürliche Folge einer Menge von Umständen, die alle zusammenkommen mußten, um den Adel in seiner früheren Geltung zu untergraben. Deßhalb sollen auch die Verfassungen nicht dazu dienen, feudalistische Ansprüche auch für die Gegenwart noch zu befestigen und etwa ein Gleichgewicht zwischen dem Adel und dem Bürger in den modernen Staaten herzustellen; sondern es soll im Staat der Ueberhang mit einer entschieden abschüssigen Tendenz dem dritten Stande gebühren und die übrige Standschaft nur dazu dienen, den Staat in seiner Neigung von dem völligen Sturz zur Demokratie zurückzuhalten und der bürgerlichen Tendenz einigermaßen auch einen Zügel anzulegen.
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/378>, abgerufen am 16.07.2024. |