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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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der sechs lezten Jahre darbietet, den Verlauf der Natürlichkeit nachzuweisen, das menschliche Gemüth gegen die exaltirte Schroffheit zur That auffordernder Umstände geltend zu machen, die Halbheit der in den Begebenheiten liegenden Keime nachzuweisen, und überhaupt, obschon ein Mann der politischen Debatte, doch die Debatte als das zu zeichnen, was sie ist, als einen oft nur trüglichen Thermometer der Hitze und der Kälte, welche sich in den Empfindungen der Zeitgenossen findet. Für diese ruhige Betrachtung dessen, was wir seit sechs Jahren mit einander verlebt haben, wird jezt der Augenblick erst günstig, jezt, wo man sich allmälig daran gewöhnt, die Mäßigung der Unparteilichkeit nicht mit dem Jndifferentismus der Parteilosigkeit zu verwechseln. Jezt, wo zum Beispiel ein so entschiedenes Nivellement der politischen Urtheilskraft eingetreten ist, daß man jedem Worte Dank sagen muß, welches noch mit Milde, Klugheit und feiner Berechnung zwischen das tritt, was wir rings um uns sehen, Triumph, Besorgniß, Apathie, Mißlaune, Stillschweigen. Man lasse doch den Geist des Mechanismus auch in diesem Bereiche nicht über sich kommen, daß man immer nur glauben wolle an rück- und vorwärtswirkende Kräfte, an Maulkörbe, Bajonette; man gewöhne sich daran, daß das, was geschieht, wenn auch nicht immer, doch selten anders geschehen konnte, und daß wenigstens im Urtheil eines freimüthigen Publicisten nicht das

der sechs lezten Jahre darbietet, den Verlauf der Natürlichkeit nachzuweisen, das menschliche Gemüth gegen die exaltirte Schroffheit zur That auffordernder Umstände geltend zu machen, die Halbheit der in den Begebenheiten liegenden Keime nachzuweisen, und überhaupt, obschon ein Mann der politischen Debatte, doch die Debatte als das zu zeichnen, was sie ist, als einen oft nur trüglichen Thermometer der Hitze und der Kälte, welche sich in den Empfindungen der Zeitgenossen findet. Für diese ruhige Betrachtung dessen, was wir seit sechs Jahren mit einander verlebt haben, wird jezt der Augenblick erst günstig, jezt, wo man sich allmälig daran gewöhnt, die Mäßigung der Unparteilichkeit nicht mit dem Jndifferentismus der Parteilosigkeit zu verwechseln. Jezt, wo zum Beispiel ein so entschiedenes Nivellement der politischen Urtheilskraft eingetreten ist, daß man jedem Worte Dank sagen muß, welches noch mit Milde, Klugheit und feiner Berechnung zwischen das tritt, was wir rings um uns sehen, Triumph, Besorgniß, Apathie, Mißlaune, Stillschweigen. Man lasse doch den Geist des Mechanismus auch in diesem Bereiche nicht über sich kommen, daß man immer nur glauben wolle an rück- und vorwärtswirkende Kräfte, an Maulkörbe, Bajonette; man gewöhne sich daran, daß das, was geschieht, wenn auch nicht immer, doch selten anders geschehen konnte, und daß wenigstens im Urtheil eines freimüthigen Publicisten nicht das

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der sechs lezten Jahre darbietet, den Verlauf der Natürlichkeit nachzuweisen, das menschliche Gemüth gegen die exaltirte Schroffheit zur That auffordernder Umstände geltend zu machen, die Halbheit der in den Begebenheiten liegenden Keime nachzuweisen, und überhaupt, obschon ein Mann der politischen Debatte, doch die Debatte als das zu zeichnen, was sie ist, als einen oft nur trüglichen Thermometer der Hitze und der Kälte, welche sich in den Empfindungen der Zeitgenossen findet. Für diese ruhige Betrachtung dessen, was wir seit sechs Jahren mit einander verlebt haben, wird jezt der Augenblick erst günstig, jezt, wo man sich allmälig daran gewöhnt, die Mäßigung der Unparteilichkeit nicht mit dem Jndifferentismus der Parteilosigkeit zu verwechseln. Jezt, wo zum Beispiel ein so entschiedenes Nivellement der politischen Urtheilskraft eingetreten ist, daß man jedem Worte Dank sagen muß, welches noch mit Milde, Klugheit und feiner Berechnung zwischen das tritt, was wir rings um uns sehen, Triumph, Besorgniß, Apathie, Mißlaune, Stillschweigen. Man lasse doch den Geist des Mechanismus auch in diesem Bereiche nicht über sich kommen, daß man immer nur glauben wolle an rück- und vorwärtswirkende Kräfte, an Maulkörbe, Bajonette; man gewöhne sich daran, daß das, was geschieht, wenn auch nicht immer, doch selten anders geschehen konnte, und daß wenigstens im Urtheil eines freimüthigen Publicisten nicht das
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[387/0389] der sechs lezten Jahre darbietet, den Verlauf der Natürlichkeit nachzuweisen, das menschliche Gemüth gegen die exaltirte Schroffheit zur That auffordernder Umstände geltend zu machen, die Halbheit der in den Begebenheiten liegenden Keime nachzuweisen, und überhaupt, obschon ein Mann der politischen Debatte, doch die Debatte als das zu zeichnen, was sie ist, als einen oft nur trüglichen Thermometer der Hitze und der Kälte, welche sich in den Empfindungen der Zeitgenossen findet. Für diese ruhige Betrachtung dessen, was wir seit sechs Jahren mit einander verlebt haben, wird jezt der Augenblick erst günstig, jezt, wo man sich allmälig daran gewöhnt, die Mäßigung der Unparteilichkeit nicht mit dem Jndifferentismus der Parteilosigkeit zu verwechseln. Jezt, wo zum Beispiel ein so entschiedenes Nivellement der politischen Urtheilskraft eingetreten ist, daß man jedem Worte Dank sagen muß, welches noch mit Milde, Klugheit und feiner Berechnung zwischen das tritt, was wir rings um uns sehen, Triumph, Besorgniß, Apathie, Mißlaune, Stillschweigen. Man lasse doch den Geist des Mechanismus auch in diesem Bereiche nicht über sich kommen, daß man immer nur glauben wolle an rück- und vorwärtswirkende Kräfte, an Maulkörbe, Bajonette; man gewöhne sich daran, daß das, was geschieht, wenn auch nicht immer, doch selten anders geschehen konnte, und daß wenigstens im Urtheil eines freimüthigen Publicisten nicht das

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/389>, abgerufen am 22.11.2024.