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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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unterstüzt sich mit Kanonenschlägen, mit Schwärmern, mit Posaunen, mit Glocken, ja sogar mit Orgelklängen. Die wollüstigen Scenen aus Robert dem Teufel liegen all diesen Arrangements zu Grunde. Man verbindet mit der Sinnlichkeit den Spiritualismus des Gefühls. Man drückt im Rausche des Tanzes jene verworrene Philosophie aus, welche in Paris die Königsmörder und die Kohlendampfs-Erstickungen erzeugt. Es ist fast wieder so weit gekommen, wie es bei den Alten war, daß nämlich der Tanz ein Symptom der Religion wird. Wenn die Religion den Schmerz tödtet, so macht ihn der Tanz, wie er jezt getrieben wird, wenigstens vergessen. Es harmonirt auffallend mit der gegenwärtigen Lage Europas, daß der Tanz neben der allgemeinen Bedächtigkeit, versteckten Leidenschaftlichkeit und dem Mißtrauen der Menschen seinerseits diesen wilden und bis zur Prostitution sich hingebenden Charakter angenommen hat.

Wir beobachteten bis jezt die Sitten der Zeitgenossen nur in ihren formellen Aeußerungen. Allein ihre Hände sind nicht blos da, um zu grüßen, ihre Füße um zu tanzen, sondern zwischen alle diese Formalismen zieht sich der Roman der Herzen und Gefühle hindurch. Die Sympathie der Liebe ist keine solche Zauberkraft oder verstärkt sich nicht mehr aus einer allgemeinen gefühlvollen Grundlage des Lebens, wie im vorigen Jahrhundert. Richardson

unterstüzt sich mit Kanonenschlägen, mit Schwärmern, mit Posaunen, mit Glocken, ja sogar mit Orgelklängen. Die wollüstigen Scenen aus Robert dem Teufel liegen all diesen Arrangements zu Grunde. Man verbindet mit der Sinnlichkeit den Spiritualismus des Gefühls. Man drückt im Rausche des Tanzes jene verworrene Philosophie aus, welche in Paris die Königsmörder und die Kohlendampfs-Erstickungen erzeugt. Es ist fast wieder so weit gekommen, wie es bei den Alten war, daß nämlich der Tanz ein Symptom der Religion wird. Wenn die Religion den Schmerz tödtet, so macht ihn der Tanz, wie er jezt getrieben wird, wenigstens vergessen. Es harmonirt auffallend mit der gegenwärtigen Lage Europas, daß der Tanz neben der allgemeinen Bedächtigkeit, versteckten Leidenschaftlichkeit und dem Mißtrauen der Menschen seinerseits diesen wilden und bis zur Prostitution sich hingebenden Charakter angenommen hat.

Wir beobachteten bis jezt die Sitten der Zeitgenossen nur in ihren formellen Aeußerungen. Allein ihre Hände sind nicht blos da, um zu grüßen, ihre Füße um zu tanzen, sondern zwischen alle diese Formalismen zieht sich der Roman der Herzen und Gefühle hindurch. Die Sympathie der Liebe ist keine solche Zauberkraft oder verstärkt sich nicht mehr aus einer allgemeinen gefühlvollen Grundlage des Lebens, wie im vorigen Jahrhundert. Richardson

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[41/0043] unterstüzt sich mit Kanonenschlägen, mit Schwärmern, mit Posaunen, mit Glocken, ja sogar mit Orgelklängen. Die wollüstigen Scenen aus Robert dem Teufel liegen all diesen Arrangements zu Grunde. Man verbindet mit der Sinnlichkeit den Spiritualismus des Gefühls. Man drückt im Rausche des Tanzes jene verworrene Philosophie aus, welche in Paris die Königsmörder und die Kohlendampfs-Erstickungen erzeugt. Es ist fast wieder so weit gekommen, wie es bei den Alten war, daß nämlich der Tanz ein Symptom der Religion wird. Wenn die Religion den Schmerz tödtet, so macht ihn der Tanz, wie er jezt getrieben wird, wenigstens vergessen. Es harmonirt auffallend mit der gegenwärtigen Lage Europas, daß der Tanz neben der allgemeinen Bedächtigkeit, versteckten Leidenschaftlichkeit und dem Mißtrauen der Menschen seinerseits diesen wilden und bis zur Prostitution sich hingebenden Charakter angenommen hat. Wir beobachteten bis jezt die Sitten der Zeitgenossen nur in ihren formellen Aeußerungen. Allein ihre Hände sind nicht blos da, um zu grüßen, ihre Füße um zu tanzen, sondern zwischen alle diese Formalismen zieht sich der Roman der Herzen und Gefühle hindurch. Die Sympathie der Liebe ist keine solche Zauberkraft oder verstärkt sich nicht mehr aus einer allgemeinen gefühlvollen Grundlage des Lebens, wie im vorigen Jahrhundert. Richardson

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/43>, abgerufen am 29.04.2024.