Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß - wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden einigen Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip.

Jch habe oft gedacht, ob es nicht eine weise Einrichtung jenes Geistes ist, der in unsern Schicksalen

und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß – wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden einigen Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip.

Jch habe oft gedacht, ob es nicht eine weise Einrichtung jenes Geistes ist, der in unsern Schicksalen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0088" n="86"/>
und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß &#x2013; wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden <hi rendition="#g">einigen</hi> Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip.</p>
        <p>Jch habe oft gedacht, ob es nicht eine weise Einrichtung jenes Geistes ist, der in unsern Schicksalen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0088] und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß – wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden einigen Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip. Jch habe oft gedacht, ob es nicht eine weise Einrichtung jenes Geistes ist, der in unsern Schicksalen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/88
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/88>, abgerufen am 21.11.2024.