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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Methodik der Morphologie der Organismen.
mit Müller's allgemeinen biologischen Bemerkungen verwebt sind,
und welche bei schärferer Betrachtung zu unlösbaren Widersprüchen
führen, nicht irre machen lassen. Wie du Bois-Reymond treffend
bemerkt, "tritt bei Johannes Müller dieser Irrthum aus dem Nebel
vitalistischer Träumereien klar und scharf hervor, mit Hand und Fuss,
Fleisch und Bein zum Angriff bietend. Muss, wie aus Müllers Be-
trachtungen folgt, die Lebenskraft gedacht werden als ohne bestimm-
ten Sitz, als theilbar in unendlich viele dem Ganzen gleichwerthige
Bruchtheile, als im Tode oder Scheintode ohne Wirkung verschwin-
dend, als mit Bewusstsein und im Besitze physikalischer und chemi-
scher Kenntnisse nach einem Plane handelnd, so ist es so gut als ob
man sagte: es giebt keine Lebenskraft; der apogogische Beweis
für die andere Behauptung ist geführt." 1)

Es könnte wohl Manchem überflüssig erscheinen, hier die absolute
Verwerflichkeit der vitalistisch-teleologischen Naturbetrachtung, und die
alleinige Anwendbarkeit der mechanisch-causalistischen überhaupt noch
hervorzuheben. Denn in den allermeisten naturwissenschaftlichen Dis-
ciplinen, vor Allem in der gesammten Physik und Chemie, ferner auch
in der Morphologie der Anorgane (Krystallographie etc.), wie über-
haupt in der gesammten Abiologie ist in Folge der enormen Erkennt-
niss-Fortschritte unseres Jahrhunderts jede teleologische und vitalistische
Betrachtungsweise so vollständig verdrängt worden, dass sie sich mit
Ehren nicht mehr sehen lassen kann. Dasselbe gilt von der Physio-
logie, in welcher jetzt die mechanisch-causale Methode die Alleinherr-
schaft gewonnen hat; nur derjenige, gänzlich uncultivirte Theil der
Physiologie des Centralnervensystems, welcher das Seelenleben behan-
delt, und künftig einmal als empirische Psychologie die Grundlage der
gesammten "reinen Philosophie" werden wird, liegt noch gänzlich aus-
serhalb dieses Fortschrittes und ist noch gegenwärtig ein Tummelplatz
der willkührlichsten vitalistischen und teleologischen Träumereien.
Leider müssen wir nun dasselbe, was von der Physiologie der Psyche
gilt, auch von der gesammten Morphologie der Organismen und vor
Allen der Thiere sagen. Immer spukt hier noch am hellen Tage das
Gespenst der "Lebenskraft" oder der "zweckmässig wirkenden Idee im
Organismus", und wenn auch die wenigsten Morphologen mit klarem
Bewusstsein demselben folgen und daran glauben, so beherrscht das-
selbe desto mehr unbewusst die meisten Versuche, welche zu einer
Erklärung der organischen Gestaltungsprocesse gemacht werden. Die
noch allgemein in der vergleichenden Anatomie üblichen Ausdrücke
des "Plans, Bauplans, der allgemeinen Idee", welche diese oder jene

1) Emil du Bois-Reymond, Gedächtnissrede auf Johannes Müller.
Berlin 1860, p. 89.

Methodik der Morphologie der Organismen.
mit Müller’s allgemeinen biologischen Bemerkungen verwebt sind,
und welche bei schärferer Betrachtung zu unlösbaren Widersprüchen
führen, nicht irre machen lassen. Wie du Bois-Reymond treffend
bemerkt, „tritt bei Johannes Müller dieser Irrthum aus dem Nebel
vitalistischer Träumereien klar und scharf hervor, mit Hand und Fuss,
Fleisch und Bein zum Angriff bietend. Muss, wie aus Müllers Be-
trachtungen folgt, die Lebenskraft gedacht werden als ohne bestimm-
ten Sitz, als theilbar in unendlich viele dem Ganzen gleichwerthige
Bruchtheile, als im Tode oder Scheintode ohne Wirkung verschwin-
dend, als mit Bewusstsein und im Besitze physikalischer und chemi-
scher Kenntnisse nach einem Plane handelnd, so ist es so gut als ob
man sagte: es giebt keine Lebenskraft; der apogogische Beweis
für die andere Behauptung ist geführt.“ 1)

Es könnte wohl Manchem überflüssig erscheinen, hier die absolute
Verwerflichkeit der vitalistisch-teleologischen Naturbetrachtung, und die
alleinige Anwendbarkeit der mechanisch-causalistischen überhaupt noch
hervorzuheben. Denn in den allermeisten naturwissenschaftlichen Dis-
ciplinen, vor Allem in der gesammten Physik und Chemie, ferner auch
in der Morphologie der Anorgane (Krystallographie etc.), wie über-
haupt in der gesammten Abiologie ist in Folge der enormen Erkennt-
niss-Fortschritte unseres Jahrhunderts jede teleologische und vitalistische
Betrachtungsweise so vollständig verdrängt worden, dass sie sich mit
Ehren nicht mehr sehen lassen kann. Dasselbe gilt von der Physio-
logie, in welcher jetzt die mechanisch-causale Methode die Alleinherr-
schaft gewonnen hat; nur derjenige, gänzlich uncultivirte Theil der
Physiologie des Centralnervensystems, welcher das Seelenleben behan-
delt, und künftig einmal als empirische Psychologie die Grundlage der
gesammten „reinen Philosophie“ werden wird, liegt noch gänzlich aus-
serhalb dieses Fortschrittes und ist noch gegenwärtig ein Tummelplatz
der willkührlichsten vitalistischen und teleologischen Träumereien.
Leider müssen wir nun dasselbe, was von der Physiologie der Psyche
gilt, auch von der gesammten Morphologie der Organismen und vor
Allen der Thiere sagen. Immer spukt hier noch am hellen Tage das
Gespenst der „Lebenskraft“ oder der „zweckmässig wirkenden Idee im
Organismus“, und wenn auch die wenigsten Morphologen mit klarem
Bewusstsein demselben folgen und daran glauben, so beherrscht das-
selbe desto mehr unbewusst die meisten Versuche, welche zu einer
Erklärung der organischen Gestaltungsprocesse gemacht werden. Die
noch allgemein in der vergleichenden Anatomie üblichen Ausdrücke
des „Plans, Bauplans, der allgemeinen Idee“, welche diese oder jene

1) Emil du Bois-Reymond, Gedächtnissrede auf Johannes Müller.
Berlin 1860, p. 89.
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[96/0135] Methodik der Morphologie der Organismen. mit Müller’s allgemeinen biologischen Bemerkungen verwebt sind, und welche bei schärferer Betrachtung zu unlösbaren Widersprüchen führen, nicht irre machen lassen. Wie du Bois-Reymond treffend bemerkt, „tritt bei Johannes Müller dieser Irrthum aus dem Nebel vitalistischer Träumereien klar und scharf hervor, mit Hand und Fuss, Fleisch und Bein zum Angriff bietend. Muss, wie aus Müllers Be- trachtungen folgt, die Lebenskraft gedacht werden als ohne bestimm- ten Sitz, als theilbar in unendlich viele dem Ganzen gleichwerthige Bruchtheile, als im Tode oder Scheintode ohne Wirkung verschwin- dend, als mit Bewusstsein und im Besitze physikalischer und chemi- scher Kenntnisse nach einem Plane handelnd, so ist es so gut als ob man sagte: es giebt keine Lebenskraft; der apogogische Beweis für die andere Behauptung ist geführt.“ 1) Es könnte wohl Manchem überflüssig erscheinen, hier die absolute Verwerflichkeit der vitalistisch-teleologischen Naturbetrachtung, und die alleinige Anwendbarkeit der mechanisch-causalistischen überhaupt noch hervorzuheben. Denn in den allermeisten naturwissenschaftlichen Dis- ciplinen, vor Allem in der gesammten Physik und Chemie, ferner auch in der Morphologie der Anorgane (Krystallographie etc.), wie über- haupt in der gesammten Abiologie ist in Folge der enormen Erkennt- niss-Fortschritte unseres Jahrhunderts jede teleologische und vitalistische Betrachtungsweise so vollständig verdrängt worden, dass sie sich mit Ehren nicht mehr sehen lassen kann. Dasselbe gilt von der Physio- logie, in welcher jetzt die mechanisch-causale Methode die Alleinherr- schaft gewonnen hat; nur derjenige, gänzlich uncultivirte Theil der Physiologie des Centralnervensystems, welcher das Seelenleben behan- delt, und künftig einmal als empirische Psychologie die Grundlage der gesammten „reinen Philosophie“ werden wird, liegt noch gänzlich aus- serhalb dieses Fortschrittes und ist noch gegenwärtig ein Tummelplatz der willkührlichsten vitalistischen und teleologischen Träumereien. Leider müssen wir nun dasselbe, was von der Physiologie der Psyche gilt, auch von der gesammten Morphologie der Organismen und vor Allen der Thiere sagen. Immer spukt hier noch am hellen Tage das Gespenst der „Lebenskraft“ oder der „zweckmässig wirkenden Idee im Organismus“, und wenn auch die wenigsten Morphologen mit klarem Bewusstsein demselben folgen und daran glauben, so beherrscht das- selbe desto mehr unbewusst die meisten Versuche, welche zu einer Erklärung der organischen Gestaltungsprocesse gemacht werden. Die noch allgemein in der vergleichenden Anatomie üblichen Ausdrücke des „Plans, Bauplans, der allgemeinen Idee“, welche diese oder jene 1) Emil du Bois-Reymond, Gedächtnissrede auf Johannes Müller. Berlin 1860, p. 89.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/135>, abgerufen am 21.11.2024.