Formverhältnisse bedingen, die vielgebrauchte Wendung der "Absicht," des "Zwecks," welchen die "schöpferische" Natur durch diese oder jene "Einrichtung" erreichen will, endlich die neuerdings vielfach be- liebte Phrase von dem "Gedanken", welchen der "Schöpfer" in diesem oder jenem Organismus "verkörpert" hat, bezeugen hinlänglich, wie tief hier die alte Irrlehre Wurzel geschlagen hat, und zwingen uns zu einer kurzen Widerlegung derselben.
Zunächst ist hier hervorzuheben, dass man die "vitalistische" und "teleologische" Beurtheilungsweise der Organismen, wie wir bereits gethan haben, als identisch annehmen, und der "mechanischen" Me- thode, welche ihrerseits mit der "causalistischen" zusammenfällt, ge- genübersetzen kann. Denn es ist in der That vollkommen für die Sache gleichgültig, unter welchem Namen sich die erstere verbirgt, und ob sich das von der Materie verschiedene organisirende Princip, welches das "Leben" und den "Organismus" erzeugt und erhält, "Lebenskraft" nennt, oder "Vitalprincip", "organische Kraft" oder "Schöpferkraft", "systematischer Grundcharakter" (Reichert) "zweck- mässiger Bauplan des Organismus", "Schöpfungsgedanke" (Agassiz), oder "ideale Ursache", "Endzweck" oder "zweckthätige Ursache (End- ursache, Causa finalis)". Alle diese scheinbar so verschiedenen Aus- drücke sind im Grunde doch nur äusserlich verschiedene Bezeich- nungen für eine und dieselbe irrige Vorstellung. Das Wesentliche in dieser Vorstellung bleibt immer, dass diese "Kraft" eine ganz be- sondere, von den chemischen und physikalischen Kräften verschiedene und nicht an die Materie gebunden ist, welche sie organisirt. Da- durch steht dieses Dogma von der Lebenskraft oder den Endursachen in einem scharfen und unversöhnlichen Gegensatze zu der "mechani- schen" oder "causalen" Auffassung, nach welcher das Leben eine Be- wegungserscheinung ist, die sich nur durch ihre complicirtere Zusam- mensetzung von den einfacheren physikalisch-chemischen "Kräften" der Anorgane (Mineralien, Wasser, Atmosphäre) unterscheidet, und welche ebenso unzertrennlich mit den zusammengesetzteren Materien des Or- ganismus verbunden ist, wie die physikalischen und chemischen Eigen- schaften der Anorgane mit ihrem materiellen Substrate. Diese Ver- bindung ist eine absolut nothwendige. Die gesammten complicirten "Lebenserscheinungen der Organismen" sind ebenso durch eine abso- lute Nothwendigkeit bedingt, wie die einfacheren "Functionen" oder "Kräfte" der anorganischen Naturkörper. Hier wie dort sind es allein mechanische Ursachen (Causae efficientes), welche der Materie inhäriren, und welche unter gleichen Bedingungen stets mit Nothwen- digkeit die gleiche Wirkung äussern.
Hier tritt uns nun das einfache Causal-Gesetz, das Gesetz des nothwendigen Zusammenhanges von Ursache und Wirkung, als
Haeckel, Generelle Morphologie. 7
V. Teleologie und Causalität.
Formverhältnisse bedingen, die vielgebrauchte Wendung der „Absicht,“ des „Zwecks,“ welchen die „schöpferische“ Natur durch diese oder jene „Einrichtung“ erreichen will, endlich die neuerdings vielfach be- liebte Phrase von dem „Gedanken“, welchen der „Schöpfer“ in diesem oder jenem Organismus „verkörpert“ hat, bezeugen hinlänglich, wie tief hier die alte Irrlehre Wurzel geschlagen hat, und zwingen uns zu einer kurzen Widerlegung derselben.
Zunächst ist hier hervorzuheben, dass man die „vitalistische“ und „teleologische“ Beurtheilungsweise der Organismen, wie wir bereits gethan haben, als identisch annehmen, und der „mechanischen“ Me- thode, welche ihrerseits mit der „causalistischen“ zusammenfällt, ge- genübersetzen kann. Denn es ist in der That vollkommen für die Sache gleichgültig, unter welchem Namen sich die erstere verbirgt, und ob sich das von der Materie verschiedene organisirende Princip, welches das „Leben“ und den „Organismus“ erzeugt und erhält, „Lebenskraft“ nennt, oder „Vitalprincip“, „organische Kraft“ oder „Schöpferkraft“, „systematischer Grundcharakter“ (Reichert) „zweck- mässiger Bauplan des Organismus“, „Schöpfungsgedanke“ (Agassiz), oder „ideale Ursache“, „Endzweck“ oder „zweckthätige Ursache (End- ursache, Causa finalis)“. Alle diese scheinbar so verschiedenen Aus- drücke sind im Grunde doch nur äusserlich verschiedene Bezeich- nungen für eine und dieselbe irrige Vorstellung. Das Wesentliche in dieser Vorstellung bleibt immer, dass diese „Kraft“ eine ganz be- sondere, von den chemischen und physikalischen Kräften verschiedene und nicht an die Materie gebunden ist, welche sie organisirt. Da- durch steht dieses Dogma von der Lebenskraft oder den Endursachen in einem scharfen und unversöhnlichen Gegensatze zu der „mechani- schen“ oder „causalen“ Auffassung, nach welcher das Leben eine Be- wegungserscheinung ist, die sich nur durch ihre complicirtere Zusam- mensetzung von den einfacheren physikalisch-chemischen „Kräften“ der Anorgane (Mineralien, Wasser, Atmosphäre) unterscheidet, und welche ebenso unzertrennlich mit den zusammengesetzteren Materien des Or- ganismus verbunden ist, wie die physikalischen und chemischen Eigen- schaften der Anorgane mit ihrem materiellen Substrate. Diese Ver- bindung ist eine absolut nothwendige. Die gesammten complicirten „Lebenserscheinungen der Organismen“ sind ebenso durch eine abso- lute Nothwendigkeit bedingt, wie die einfacheren „Functionen“ oder „Kräfte“ der anorganischen Naturkörper. Hier wie dort sind es allein mechanische Ursachen (Causae efficientes), welche der Materie inhäriren, und welche unter gleichen Bedingungen stets mit Nothwen- digkeit die gleiche Wirkung äussern.
Hier tritt uns nun das einfache Causal-Gesetz, das Gesetz des nothwendigen Zusammenhanges von Ursache und Wirkung, als
Haeckel, Generelle Morphologie. 7
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V. Teleologie und Causalität.
Formverhältnisse bedingen, die vielgebrauchte Wendung der „Absicht,“
des „Zwecks,“ welchen die „schöpferische“ Natur durch diese oder
jene „Einrichtung“ erreichen will, endlich die neuerdings vielfach be-
liebte Phrase von dem „Gedanken“, welchen der „Schöpfer“ in diesem
oder jenem Organismus „verkörpert“ hat, bezeugen hinlänglich, wie
tief hier die alte Irrlehre Wurzel geschlagen hat, und zwingen uns zu
einer kurzen Widerlegung derselben.
Zunächst ist hier hervorzuheben, dass man die „vitalistische“ und
„teleologische“ Beurtheilungsweise der Organismen, wie wir bereits
gethan haben, als identisch annehmen, und der „mechanischen“ Me-
thode, welche ihrerseits mit der „causalistischen“ zusammenfällt, ge-
genübersetzen kann. Denn es ist in der That vollkommen für die
Sache gleichgültig, unter welchem Namen sich die erstere verbirgt,
und ob sich das von der Materie verschiedene organisirende Princip,
welches das „Leben“ und den „Organismus“ erzeugt und erhält,
„Lebenskraft“ nennt, oder „Vitalprincip“, „organische Kraft“ oder
„Schöpferkraft“, „systematischer Grundcharakter“ (Reichert) „zweck-
mässiger Bauplan des Organismus“, „Schöpfungsgedanke“ (Agassiz),
oder „ideale Ursache“, „Endzweck“ oder „zweckthätige Ursache (End-
ursache, Causa finalis)“. Alle diese scheinbar so verschiedenen Aus-
drücke sind im Grunde doch nur äusserlich verschiedene Bezeich-
nungen für eine und dieselbe irrige Vorstellung. Das Wesentliche in
dieser Vorstellung bleibt immer, dass diese „Kraft“ eine ganz be-
sondere, von den chemischen und physikalischen Kräften verschiedene
und nicht an die Materie gebunden ist, welche sie organisirt. Da-
durch steht dieses Dogma von der Lebenskraft oder den Endursachen
in einem scharfen und unversöhnlichen Gegensatze zu der „mechani-
schen“ oder „causalen“ Auffassung, nach welcher das Leben eine Be-
wegungserscheinung ist, die sich nur durch ihre complicirtere Zusam-
mensetzung von den einfacheren physikalisch-chemischen „Kräften“ der
Anorgane (Mineralien, Wasser, Atmosphäre) unterscheidet, und welche
ebenso unzertrennlich mit den zusammengesetzteren Materien des Or-
ganismus verbunden ist, wie die physikalischen und chemischen Eigen-
schaften der Anorgane mit ihrem materiellen Substrate. Diese Ver-
bindung ist eine absolut nothwendige. Die gesammten complicirten
„Lebenserscheinungen der Organismen“ sind ebenso durch eine abso-
lute Nothwendigkeit bedingt, wie die einfacheren „Functionen“ oder
„Kräfte“ der anorganischen Naturkörper. Hier wie dort sind es allein
mechanische Ursachen (Causae efficientes), welche der Materie
inhäriren, und welche unter gleichen Bedingungen stets mit Nothwen-
digkeit die gleiche Wirkung äussern.
Hier tritt uns nun das einfache Causal-Gesetz, das Gesetz
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/136>, abgerufen am 24.11.2024.
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