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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Organismen und Anorgane.
der leblosen und belebten Naturkörper sind durch keine absolut unausfüll-
bare Kluft von einander getrennt, und gehören nicht zwei verschiedenen
Welten an; die ersten Organismen sind unmittelbar aus Anorganen entstan-
den. Diese Behauptung lässt sich schon als eine absolut nothwendige
Folgerung aus der allgemein angenommenen Kant-Laplace'schen Theorie
über die Entstehung der Himmelskörper und der Erde insbesondere ablei-
ten. Denn was sagt diese Theorie Anderes, als dass das Leben auf unserer
Erde zu einer bestimmten Zeit zum ersten Male auftrat? Und wenn wir
diese erste Entstehung des Lebens auf der Erde nicht der herrschen-
den Vorstellung gemäss als einen "Schöpfungsakt" ansehen wollen, d. h.
als ein "Wunder", welches sich als solches jeder naturwissenschaftlichen
Betrachtung entzieht, so müssen wir nothwendig annehmen, dass in jenem
Zeitpunkte anorganische Naturkörper zu organischen Verbindungen zusam-
mentraten, dass die "leblose Materie" sich belebte, dass Organismen aus
Anorganen sich hervorbildeten. Ein Drittes giebt es nicht.

Wenn nun schon lediglich diese Erwägung uns zu der Behauptung be-
rechtigt, dass der Uebergang aus anorganischen in organische und in wirk-
lich "lebende" Körper thatsächlich zu irgend einer Zeit erfolgt sein muss,
so knüpft sich daran weiter die Frage, wie derselbe zu Stande kam, und
zugleich die Aufgabe, die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen
von Naturkörpern scharf zu untersuchen. Diese Forderung erscheint um so
mehr berechtigt, als offenbar jene trennenden Unterschiede bisher meist all-
zusehr betont, und dagegen die verknüpfenden gleichen Grundeigenschaften,
welche Organismen und Anorgane innig verbinden, gewöhnlich nicht be-
rücksichtigt wurden. Indem wir nun hier nicht bloss analytisch das Unter-
scheidende, sondern auch synthetisch das Gemeinsame der lebenden und der
leblosen Naturkörper hervorheben, so werden wir dadurch alsbald nicht
allein den Vortheil haben, den jede allseitige Vergleichung zweier Objecte
bietet, dass wir nämlich den Character jedes einzelnen richtiger und voll-
ständiger beurtheilen; sondern wir werden auch zu der äusserst wichtigen
Anschauung gelangen, dass lebendige und leblose Natur in ebenso innigem
und nothwendigem Zusammenhange stehen, als alle Theile der Natur über-
haupt, und dass die gesammte Natur, organische und anorganische, zu-
sammen ein einziges grosses zusammenhängendes Ganzes bildet, welches
allenthalben und zu jeder Zeit von denselben einfachen, grossen und ewigen
Gesetzen regiert wird.

Da diese nothwendige Vergleichung der Organismen und der Anorgane
nur dann von Nutzen sein kann, wenn wir sämmtliche Seiten ihrer körper-
lichen Erscheinung vergleichend ins Auge fassen, so werden wir uns hier
nicht bloss auf die Betrachtung der Form beschränken können, welche
schon oben (p. 24) mit Vortheil verglichen wurde, sondern wir werden eben
so auch den Stoff, welcher der Form zu Grunde liegt, und die Function,
welche derselbe leistet, mit in Betracht ziehen müssen; wir werden uns
also aus dem engeren Gebiete der Morphologie einen Ausflug auf das wei-
tere Feld der allgemeinen Biologie und Abiologie (Chemie und Physik mit
eingeschlossen), erlauben müssen (vergl. oben p. 21). In erster Linie wer-
den wir dabei die organische und anorganische Materie zu vergleichen

Organismen und Anorgane.
der leblosen und belebten Naturkörper sind durch keine absolut unausfüll-
bare Kluft von einander getrennt, und gehören nicht zwei verschiedenen
Welten an; die ersten Organismen sind unmittelbar aus Anorganen entstan-
den. Diese Behauptung lässt sich schon als eine absolut nothwendige
Folgerung aus der allgemein angenommenen Kant-Laplace’schen Theorie
über die Entstehung der Himmelskörper und der Erde insbesondere ablei-
ten. Denn was sagt diese Theorie Anderes, als dass das Leben auf unserer
Erde zu einer bestimmten Zeit zum ersten Male auftrat? Und wenn wir
diese erste Entstehung des Lebens auf der Erde nicht der herrschen-
den Vorstellung gemäss als einen „Schöpfungsakt“ ansehen wollen, d. h.
als ein „Wunder“, welches sich als solches jeder naturwissenschaftlichen
Betrachtung entzieht, so müssen wir nothwendig annehmen, dass in jenem
Zeitpunkte anorganische Naturkörper zu organischen Verbindungen zusam-
mentraten, dass die „leblose Materie“ sich belebte, dass Organismen aus
Anorganen sich hervorbildeten. Ein Drittes giebt es nicht.

Wenn nun schon lediglich diese Erwägung uns zu der Behauptung be-
rechtigt, dass der Uebergang aus anorganischen in organische und in wirk-
lich „lebende“ Körper thatsächlich zu irgend einer Zeit erfolgt sein muss,
so knüpft sich daran weiter die Frage, wie derselbe zu Stande kam, und
zugleich die Aufgabe, die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen
von Naturkörpern scharf zu untersuchen. Diese Forderung erscheint um so
mehr berechtigt, als offenbar jene trennenden Unterschiede bisher meist all-
zusehr betont, und dagegen die verknüpfenden gleichen Grundeigenschaften,
welche Organismen und Anorgane innig verbinden, gewöhnlich nicht be-
rücksichtigt wurden. Indem wir nun hier nicht bloss analytisch das Unter-
scheidende, sondern auch synthetisch das Gemeinsame der lebenden und der
leblosen Naturkörper hervorheben, so werden wir dadurch alsbald nicht
allein den Vortheil haben, den jede allseitige Vergleichung zweier Objecte
bietet, dass wir nämlich den Character jedes einzelnen richtiger und voll-
ständiger beurtheilen; sondern wir werden auch zu der äusserst wichtigen
Anschauung gelangen, dass lebendige und leblose Natur in ebenso innigem
und nothwendigem Zusammenhange stehen, als alle Theile der Natur über-
haupt, und dass die gesammte Natur, organische und anorganische, zu-
sammen ein einziges grosses zusammenhängendes Ganzes bildet, welches
allenthalben und zu jeder Zeit von denselben einfachen, grossen und ewigen
Gesetzen regiert wird.

Da diese nothwendige Vergleichung der Organismen und der Anorgane
nur dann von Nutzen sein kann, wenn wir sämmtliche Seiten ihrer körper-
lichen Erscheinung vergleichend ins Auge fassen, so werden wir uns hier
nicht bloss auf die Betrachtung der Form beschränken können, welche
schon oben (p. 24) mit Vortheil verglichen wurde, sondern wir werden eben
so auch den Stoff, welcher der Form zu Grunde liegt, und die Function,
welche derselbe leistet, mit in Betracht ziehen müssen; wir werden uns
also aus dem engeren Gebiete der Morphologie einen Ausflug auf das wei-
tere Feld der allgemeinen Biologie und Abiologie (Chemie und Physik mit
eingeschlossen), erlauben müssen (vergl. oben p. 21). In erster Linie wer-
den wir dabei die organische und anorganische Materie zu vergleichen

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[114/0153] Organismen und Anorgane. der leblosen und belebten Naturkörper sind durch keine absolut unausfüll- bare Kluft von einander getrennt, und gehören nicht zwei verschiedenen Welten an; die ersten Organismen sind unmittelbar aus Anorganen entstan- den. Diese Behauptung lässt sich schon als eine absolut nothwendige Folgerung aus der allgemein angenommenen Kant-Laplace’schen Theorie über die Entstehung der Himmelskörper und der Erde insbesondere ablei- ten. Denn was sagt diese Theorie Anderes, als dass das Leben auf unserer Erde zu einer bestimmten Zeit zum ersten Male auftrat? Und wenn wir diese erste Entstehung des Lebens auf der Erde nicht der herrschen- den Vorstellung gemäss als einen „Schöpfungsakt“ ansehen wollen, d. h. als ein „Wunder“, welches sich als solches jeder naturwissenschaftlichen Betrachtung entzieht, so müssen wir nothwendig annehmen, dass in jenem Zeitpunkte anorganische Naturkörper zu organischen Verbindungen zusam- mentraten, dass die „leblose Materie“ sich belebte, dass Organismen aus Anorganen sich hervorbildeten. Ein Drittes giebt es nicht. Wenn nun schon lediglich diese Erwägung uns zu der Behauptung be- rechtigt, dass der Uebergang aus anorganischen in organische und in wirk- lich „lebende“ Körper thatsächlich zu irgend einer Zeit erfolgt sein muss, so knüpft sich daran weiter die Frage, wie derselbe zu Stande kam, und zugleich die Aufgabe, die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen von Naturkörpern scharf zu untersuchen. Diese Forderung erscheint um so mehr berechtigt, als offenbar jene trennenden Unterschiede bisher meist all- zusehr betont, und dagegen die verknüpfenden gleichen Grundeigenschaften, welche Organismen und Anorgane innig verbinden, gewöhnlich nicht be- rücksichtigt wurden. Indem wir nun hier nicht bloss analytisch das Unter- scheidende, sondern auch synthetisch das Gemeinsame der lebenden und der leblosen Naturkörper hervorheben, so werden wir dadurch alsbald nicht allein den Vortheil haben, den jede allseitige Vergleichung zweier Objecte bietet, dass wir nämlich den Character jedes einzelnen richtiger und voll- ständiger beurtheilen; sondern wir werden auch zu der äusserst wichtigen Anschauung gelangen, dass lebendige und leblose Natur in ebenso innigem und nothwendigem Zusammenhange stehen, als alle Theile der Natur über- haupt, und dass die gesammte Natur, organische und anorganische, zu- sammen ein einziges grosses zusammenhängendes Ganzes bildet, welches allenthalben und zu jeder Zeit von denselben einfachen, grossen und ewigen Gesetzen regiert wird. Da diese nothwendige Vergleichung der Organismen und der Anorgane nur dann von Nutzen sein kann, wenn wir sämmtliche Seiten ihrer körper- lichen Erscheinung vergleichend ins Auge fassen, so werden wir uns hier nicht bloss auf die Betrachtung der Form beschränken können, welche schon oben (p. 24) mit Vortheil verglichen wurde, sondern wir werden eben so auch den Stoff, welcher der Form zu Grunde liegt, und die Function, welche derselbe leistet, mit in Betracht ziehen müssen; wir werden uns also aus dem engeren Gebiete der Morphologie einen Ausflug auf das wei- tere Feld der allgemeinen Biologie und Abiologie (Chemie und Physik mit eingeschlossen), erlauben müssen (vergl. oben p. 21). In erster Linie wer- den wir dabei die organische und anorganische Materie zu vergleichen

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/153>, abgerufen am 24.11.2024.