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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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I. Entstehung der ersten Organismen.
mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe".1) Selbst viele von denjenigen
Naturforschern und Philosophen, welche geneigt sind, die sämmtlichen Er-
scheinungen des bestehenden Lebens gleich allen anderen Naturerschei-
nungen als nothwendige Folgen mechanisch wirkender Ursachen, also mo-
nistisch zu erklären, nehmen für die erste Entstehung der lebenden
Wesen zu der dualistischen Annahme einer freien Schöpfung ihre Zuflucht.
Sie verzichten auf die rein causale, d. h. mechanische Erklärung der Ent-
stehung des ersten Lebens, theils weil sie dadurch mit einigen der ältesten
und stärksten von unseren allgemein herrschenden grossen Vorurtheilen zu
collidiren fürchten, theils weil sie die Möglichkeit einer solchen Erklärung
nicht einsehen.

In letzterer Beziehung sei nun zunächst hier hervorgehoben, dass selbst
Kant, der für die gesammte organische Natur die dualistisch-teleologische,
für die gesammte anorganische Natur aber die monistisch-mechanische Be-
trachtungsmethode und Erklärungsweise consequent durchführte, der letzte-
ren zugestand, dass sie auch zur Erklärung der organischen Naturerschei-
nungen vollkommen berechtigt, und nur nicht dazu befähigt sei. Wir
würden also, selbst nach Kant, wenn wir die Möglichkeit einer mecha-
nischen Erklärung für die Entstehung des Lebens nachweisen, des Gesuches
um Berechtigung hierzu gewiss überhoben sein. Doch ist das entgegen-
stehende Vorurtheil, welches sich durch die vererbten Irrthümer von Jahr-
tausenden ausserordentlich befestigt hat, so mächtig, dass wir nicht umhin
können, hier die Unmöglichkeit einer sogenannten Schöpfung darzuthun und
die Nothwendigkeit der Annahme einer Autogonie, d. h. einer mechanischen
Entstehungsweise der ersten Lebensformen auf der Erde zu beweisen.

1) Aus dieser und aus verschiedenen Stellen seines epochemachenden Wer-
kes, an denen man ein Eingehen auf die vorliegende Frage erwarten sollte, geht
hervor, dass Darwin dieselbe absichtlich nicht berührt, und vollständig auf
deren wissenschaftliche Beantwortung verzichtet, indem er annimmt, dass jenen
einfachsten Urformen (gleichviel ob einer oder mehreren) "das Leben zuerst
vom Schöpfer eingehaucht worden sei." Ich habe bereits 1862 in meiner Mono-
graphie der Radiolarien (p. 232), in welcher ich mich entschieden für Darwins
Theorie ausgesprochen habe, bemerkt, dass der grösste Mangel derselben darin
liege, dass sie für die Entstehung der Urorganismen, aus denen alle anderen sich all-
mählig hervorgebildet haben, gar keine Anhaltspunkte liefert, und dass man für
diese ersten Species keinen besonderen Schöpfungs-Akt annehmen dürfe. In der
That erscheint mir (wie dies auch von Gegnern Darwins hervorgehoben worden
ist) die Annahme einer "Schöpfung" jener Urformen im gewöhnlichen Sinne
als ein so widerspruchsvoller Dualismus und so unvereinbar mit dem sonst durch-
aus monistischen Geiste und Werke des grossen englischen Naturforschers, dass
wir annehmen müssen, er sei absichtlich dieser allerdings gefährlichen und zu
vielen Conflicten Anlass gebenden Schwierigkeit aus dem Wege gegangen. Wir
können uns hier um so weniger entschliessen, auf die Beantwortung dieser Frage
zu verzichten, als der ganze causale Zusammenhang der Descendenz-Theorie die-
selbe durchaus erfordert, und erst dadurch die letzte Lücke in dem vollendeten
kosmologischen Systeme des Monismus ausgefüllt wird.

I. Entstehung der ersten Organismen.
mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe“.1) Selbst viele von denjenigen
Naturforschern und Philosophen, welche geneigt sind, die sämmtlichen Er-
scheinungen des bestehenden Lebens gleich allen anderen Naturerschei-
nungen als nothwendige Folgen mechanisch wirkender Ursachen, also mo-
nistisch zu erklären, nehmen für die erste Entstehung der lebenden
Wesen zu der dualistischen Annahme einer freien Schöpfung ihre Zuflucht.
Sie verzichten auf die rein causale, d. h. mechanische Erklärung der Ent-
stehung des ersten Lebens, theils weil sie dadurch mit einigen der ältesten
und stärksten von unseren allgemein herrschenden grossen Vorurtheilen zu
collidiren fürchten, theils weil sie die Möglichkeit einer solchen Erklärung
nicht einsehen.

In letzterer Beziehung sei nun zunächst hier hervorgehoben, dass selbst
Kant, der für die gesammte organische Natur die dualistisch-teleologische,
für die gesammte anorganische Natur aber die monistisch-mechanische Be-
trachtungsmethode und Erklärungsweise consequent durchführte, der letzte-
ren zugestand, dass sie auch zur Erklärung der organischen Naturerschei-
nungen vollkommen berechtigt, und nur nicht dazu befähigt sei. Wir
würden also, selbst nach Kant, wenn wir die Möglichkeit einer mecha-
nischen Erklärung für die Entstehung des Lebens nachweisen, des Gesuches
um Berechtigung hierzu gewiss überhoben sein. Doch ist das entgegen-
stehende Vorurtheil, welches sich durch die vererbten Irrthümer von Jahr-
tausenden ausserordentlich befestigt hat, so mächtig, dass wir nicht umhin
können, hier die Unmöglichkeit einer sogenannten Schöpfung darzuthun und
die Nothwendigkeit der Annahme einer Autogonie, d. h. einer mechanischen
Entstehungsweise der ersten Lebensformen auf der Erde zu beweisen.

1) Aus dieser und aus verschiedenen Stellen seines epochemachenden Wer-
kes, an denen man ein Eingehen auf die vorliegende Frage erwarten sollte, geht
hervor, dass Darwin dieselbe absichtlich nicht berührt, und vollständig auf
deren wissenschaftliche Beantwortung verzichtet, indem er annimmt, dass jenen
einfachsten Urformen (gleichviel ob einer oder mehreren) „das Leben zuerst
vom Schöpfer eingehaucht worden sei.“ Ich habe bereits 1862 in meiner Mono-
graphie der Radiolarien (p. 232), in welcher ich mich entschieden für Darwins
Theorie ausgesprochen habe, bemerkt, dass der grösste Mangel derselben darin
liege, dass sie für die Entstehung der Urorganismen, aus denen alle anderen sich all-
mählig hervorgebildet haben, gar keine Anhaltspunkte liefert, und dass man für
diese ersten Species keinen besonderen Schöpfungs-Akt annehmen dürfe. In der
That erscheint mir (wie dies auch von Gegnern Darwins hervorgehoben worden
ist) die Annahme einer „Schöpfung“ jener Urformen im gewöhnlichen Sinne
als ein so widerspruchsvoller Dualismus und so unvereinbar mit dem sonst durch-
aus monistischen Geiste und Werke des grossen englischen Naturforschers, dass
wir annehmen müssen, er sei absichtlich dieser allerdings gefährlichen und zu
vielen Conflicten Anlass gebenden Schwierigkeit aus dem Wege gegangen. Wir
können uns hier um so weniger entschliessen, auf die Beantwortung dieser Frage
zu verzichten, als der ganze causale Zusammenhang der Descendenz-Theorie die-
selbe durchaus erfordert, und erst dadurch die letzte Lücke in dem vollendeten
kosmologischen Systeme des Monismus ausgefüllt wird.
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[169/0208] I. Entstehung der ersten Organismen. mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe“. 1) Selbst viele von denjenigen Naturforschern und Philosophen, welche geneigt sind, die sämmtlichen Er- scheinungen des bestehenden Lebens gleich allen anderen Naturerschei- nungen als nothwendige Folgen mechanisch wirkender Ursachen, also mo- nistisch zu erklären, nehmen für die erste Entstehung der lebenden Wesen zu der dualistischen Annahme einer freien Schöpfung ihre Zuflucht. Sie verzichten auf die rein causale, d. h. mechanische Erklärung der Ent- stehung des ersten Lebens, theils weil sie dadurch mit einigen der ältesten und stärksten von unseren allgemein herrschenden grossen Vorurtheilen zu collidiren fürchten, theils weil sie die Möglichkeit einer solchen Erklärung nicht einsehen. In letzterer Beziehung sei nun zunächst hier hervorgehoben, dass selbst Kant, der für die gesammte organische Natur die dualistisch-teleologische, für die gesammte anorganische Natur aber die monistisch-mechanische Be- trachtungsmethode und Erklärungsweise consequent durchführte, der letzte- ren zugestand, dass sie auch zur Erklärung der organischen Naturerschei- nungen vollkommen berechtigt, und nur nicht dazu befähigt sei. Wir würden also, selbst nach Kant, wenn wir die Möglichkeit einer mecha- nischen Erklärung für die Entstehung des Lebens nachweisen, des Gesuches um Berechtigung hierzu gewiss überhoben sein. Doch ist das entgegen- stehende Vorurtheil, welches sich durch die vererbten Irrthümer von Jahr- tausenden ausserordentlich befestigt hat, so mächtig, dass wir nicht umhin können, hier die Unmöglichkeit einer sogenannten Schöpfung darzuthun und die Nothwendigkeit der Annahme einer Autogonie, d. h. einer mechanischen Entstehungsweise der ersten Lebensformen auf der Erde zu beweisen. 1) Aus dieser und aus verschiedenen Stellen seines epochemachenden Wer- kes, an denen man ein Eingehen auf die vorliegende Frage erwarten sollte, geht hervor, dass Darwin dieselbe absichtlich nicht berührt, und vollständig auf deren wissenschaftliche Beantwortung verzichtet, indem er annimmt, dass jenen einfachsten Urformen (gleichviel ob einer oder mehreren) „das Leben zuerst vom Schöpfer eingehaucht worden sei.“ Ich habe bereits 1862 in meiner Mono- graphie der Radiolarien (p. 232), in welcher ich mich entschieden für Darwins Theorie ausgesprochen habe, bemerkt, dass der grösste Mangel derselben darin liege, dass sie für die Entstehung der Urorganismen, aus denen alle anderen sich all- mählig hervorgebildet haben, gar keine Anhaltspunkte liefert, und dass man für diese ersten Species keinen besonderen Schöpfungs-Akt annehmen dürfe. In der That erscheint mir (wie dies auch von Gegnern Darwins hervorgehoben worden ist) die Annahme einer „Schöpfung“ jener Urformen im gewöhnlichen Sinne als ein so widerspruchsvoller Dualismus und so unvereinbar mit dem sonst durch- aus monistischen Geiste und Werke des grossen englischen Naturforschers, dass wir annehmen müssen, er sei absichtlich dieser allerdings gefährlichen und zu vielen Conflicten Anlass gebenden Schwierigkeit aus dem Wege gegangen. Wir können uns hier um so weniger entschliessen, auf die Beantwortung dieser Frage zu verzichten, als der ganze causale Zusammenhang der Descendenz-Theorie die- selbe durchaus erfordert, und erst dadurch die letzte Lücke in dem vollendeten kosmologischen Systeme des Monismus ausgefüllt wird.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/208>, abgerufen am 28.11.2024.