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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Vorwort.
mittelbaren Uebergang von einer guten Art zur andern. Es
waren die von der Schule verbotenen Früchte der Erkennt-
niss, an denen ich in stillen Mussestunden mein geheimes,
kindisches Vergnügen hatte.

Jene vergeblichen Bemühungen, des eigentlichen Wesens
der "Species" habhaft zu werden, leiteten mich seitdem bei
allen meinen Formen-Beobachtungen, und als ich später das
unschätzbare Glück hatte, in unmittelbarem Verkehr mit mei-
nem unvergesslichen Lehrer Johannes Müller die empiri-
schen Grundlagen und die herrschenden Anschauungen der
dualistischen Morphologie nach ihrem ganzen Umfang und
Inhalt kennen zu lernen, bildete sich bereits im Stillen jene
monistische Opposition aus, welche in dem vorliegenden
Werke ihren entschiedenen Ausdruck findet. Nicht wenig trug
dazu auch der kritische Einfluss meines hochverehrten Leh-
rers und Freundes Rudolph Virchow bei, dessen ich hier-
bei dankbarst erwähnen muss. Als sein Assistent lernte ich
in der "Cellular-Pathologie" des menschlichen Organismus
jene wunderbare Biegsamkeit und Flüssigkeit, jene erstaun-
liche Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit der organi-
schen Formen kennen, welche für deren Verständniss so un-
endlich wichtig ist, und von der doch nur die wenigsten
Morphologen eine ungefähre Idee haben. Man wird nun be-
greifen, weshalb ich, um mich Bär's Ausdrucks zu bedienen,
Darwin's That "mit so jubelndem Entzücken begrüsste, als
ob ich von einem Alp, der bisher auf der Kenntniss der
Organismen ruhte, mich befreit fühlte". Es fielen mir in der
That "die Schuppen von den Augen".

Durch eine Reihe von akademischen Vorträgen, welche
sich abwechselnd über alle einzelnen Gebietstheile der orga-
nischen Morphologie, und ausserdem jährlich über das Ge-

b

Vorwort.
mittelbaren Uebergang von einer guten Art zur andern. Es
waren die von der Schule verbotenen Früchte der Erkennt-
niss, an denen ich in stillen Mussestunden mein geheimes,
kindisches Vergnügen hatte.

Jene vergeblichen Bemühungen, des eigentlichen Wesens
der „Species“ habhaft zu werden, leiteten mich seitdem bei
allen meinen Formen-Beobachtungen, und als ich später das
unschätzbare Glück hatte, in unmittelbarem Verkehr mit mei-
nem unvergesslichen Lehrer Johannes Müller die empiri-
schen Grundlagen und die herrschenden Anschauungen der
dualistischen Morphologie nach ihrem ganzen Umfang und
Inhalt kennen zu lernen, bildete sich bereits im Stillen jene
monistische Opposition aus, welche in dem vorliegenden
Werke ihren entschiedenen Ausdruck findet. Nicht wenig trug
dazu auch der kritische Einfluss meines hochverehrten Leh-
rers und Freundes Rudolph Virchow bei, dessen ich hier-
bei dankbarst erwähnen muss. Als sein Assistent lernte ich
in der „Cellular-Pathologie“ des menschlichen Organismus
jene wunderbare Biegsamkeit und Flüssigkeit, jene erstaun-
liche Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit der organi-
schen Formen kennen, welche für deren Verständniss so un-
endlich wichtig ist, und von der doch nur die wenigsten
Morphologen eine ungefähre Idee haben. Man wird nun be-
greifen, weshalb ich, um mich Bär’s Ausdrucks zu bedienen,
Darwin’s That „mit so jubelndem Entzücken begrüsste, als
ob ich von einem Alp, der bisher auf der Kenntniss der
Organismen ruhte, mich befreit fühlte“. Es fielen mir in der
That „die Schuppen von den Augen“.

Durch eine Reihe von akademischen Vorträgen, welche
sich abwechselnd über alle einzelnen Gebietstheile der orga-
nischen Morphologie, und ausserdem jährlich über das Ge-

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[XVII/0024] Vorwort. mittelbaren Uebergang von einer guten Art zur andern. Es waren die von der Schule verbotenen Früchte der Erkennt- niss, an denen ich in stillen Mussestunden mein geheimes, kindisches Vergnügen hatte. Jene vergeblichen Bemühungen, des eigentlichen Wesens der „Species“ habhaft zu werden, leiteten mich seitdem bei allen meinen Formen-Beobachtungen, und als ich später das unschätzbare Glück hatte, in unmittelbarem Verkehr mit mei- nem unvergesslichen Lehrer Johannes Müller die empiri- schen Grundlagen und die herrschenden Anschauungen der dualistischen Morphologie nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt kennen zu lernen, bildete sich bereits im Stillen jene monistische Opposition aus, welche in dem vorliegenden Werke ihren entschiedenen Ausdruck findet. Nicht wenig trug dazu auch der kritische Einfluss meines hochverehrten Leh- rers und Freundes Rudolph Virchow bei, dessen ich hier- bei dankbarst erwähnen muss. Als sein Assistent lernte ich in der „Cellular-Pathologie“ des menschlichen Organismus jene wunderbare Biegsamkeit und Flüssigkeit, jene erstaun- liche Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit der organi- schen Formen kennen, welche für deren Verständniss so un- endlich wichtig ist, und von der doch nur die wenigsten Morphologen eine ungefähre Idee haben. Man wird nun be- greifen, weshalb ich, um mich Bär’s Ausdrucks zu bedienen, Darwin’s That „mit so jubelndem Entzücken begrüsste, als ob ich von einem Alp, der bisher auf der Kenntniss der Organismen ruhte, mich befreit fühlte“. Es fielen mir in der That „die Schuppen von den Augen“. Durch eine Reihe von akademischen Vorträgen, welche sich abwechselnd über alle einzelnen Gebietstheile der orga- nischen Morphologie, und ausserdem jährlich über das Ge- b

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/24>, abgerufen am 23.11.2024.