Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.Begriff und Aufgabe der Tectologie. Molekülen, welche die Materie des Kerns und des Protoplasma zu-sammensetzen. Diese Moleküle selbst aber sind wieder aus den chemischen Atomen zusammengesetzt. Somit wären wir denn wieder bei unserem Ausgangspunkt angelangt, nämlich der Identität von Atom und Individuum. Freilich ist hiermit, wie schon Alexander Braun ausgeführt hat, Nichts gewonnen. Denn wir besitzen nicht die Mittel, die supponirten Moleküle und Atome durch die Beobachtung nachzu- weisen. Allerdings müssen wir, wenn wir theoretisch dem Wesen des Zellenlebens auf den Grund kommen wollen, annehmen, dass die Thätigkeit der Atome und der durch ihre verschiedenartige Gruppirung gebildeten Moleküle es ist, aus welcher Form und Function der Zelle resultirt. Aber für die uns vorliegende Frage ist durch die Aner- kennung der unsichtbaren Atome als Individuen Nichts erreicht. Noch weniger wird aber dadurch gewonnen, dass man die ganz verschieden- artigen festen Körper, welche als sogenannter Zelleninhalt in vielen Zellen sich finden, die Stärke-, Chlorophyll-, Fett-, Pigment-Körner etc. als Individuen betrachtet. Diese sind jedenfalls am wenigsten be- rechtigt, eine besondere Individualität in Anspruch zu nehmen. Auch sind sie unter sich so verschieden, dass kein anderer gemeinsamer Ausdruck für sie zu finden ist, als: "Geformte Inhaltstheile des Proto- plasma." In sehr vielen Zellen fehlen sie als besondere, erkennbare Theile völlig. Werfen wir nun auf die verschiedenen Theile der Pflanze, welche Begriff und Aufgabe der Tectologie. Molekülen, welche die Materie des Kerns und des Protoplasma zu-sammensetzen. Diese Moleküle selbst aber sind wieder aus den chemischen Atomen zusammengesetzt. Somit wären wir denn wieder bei unserem Ausgangspunkt angelangt, nämlich der Identität von Atom und Individuum. Freilich ist hiermit, wie schon Alexander Braun ausgeführt hat, Nichts gewonnen. Denn wir besitzen nicht die Mittel, die supponirten Moleküle und Atome durch die Beobachtung nachzu- weisen. Allerdings müssen wir, wenn wir theoretisch dem Wesen des Zellenlebens auf den Grund kommen wollen, annehmen, dass die Thätigkeit der Atome und der durch ihre verschiedenartige Gruppirung gebildeten Moleküle es ist, aus welcher Form und Function der Zelle resultirt. Aber für die uns vorliegende Frage ist durch die Aner- kennung der unsichtbaren Atome als Individuen Nichts erreicht. Noch weniger wird aber dadurch gewonnen, dass man die ganz verschieden- artigen festen Körper, welche als sogenannter Zelleninhalt in vielen Zellen sich finden, die Stärke-, Chlorophyll-, Fett-, Pigment-Körner etc. als Individuen betrachtet. Diese sind jedenfalls am wenigsten be- rechtigt, eine besondere Individualität in Anspruch zu nehmen. Auch sind sie unter sich so verschieden, dass kein anderer gemeinsamer Ausdruck für sie zu finden ist, als: „Geformte Inhaltstheile des Proto- plasma.“ In sehr vielen Zellen fehlen sie als besondere, erkennbare Theile völlig. Werfen wir nun auf die verschiedenen Theile der Pflanze, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0289" n="250"/><fw place="top" type="header">Begriff und Aufgabe der Tectologie.</fw><lb/> Molekülen, welche die Materie des Kerns und des Protoplasma zu-<lb/> sammensetzen. Diese Moleküle selbst aber sind wieder aus den<lb/> chemischen Atomen zusammengesetzt. Somit wären wir denn wieder<lb/> bei unserem Ausgangspunkt angelangt, nämlich der Identität von Atom<lb/> und Individuum. Freilich ist hiermit, wie schon <hi rendition="#g">Alexander Braun</hi><lb/> ausgeführt hat, Nichts gewonnen. Denn wir besitzen nicht die Mittel,<lb/> die supponirten Moleküle und Atome durch die Beobachtung nachzu-<lb/> weisen. 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Jede dieser Individualitäten reprä-<lb/> sentirt, für sich betrachtet, sowohl in Form als in Function eine selbst-<lb/> ständige Einheit; jede ist aber zugleich eine Vielheit von der nächst<lb/> niederen Kategorie und als solche kein Individuum mehr. Es folgt<lb/> hieraus also, dass wir das Suchen nach einem <hi rendition="#g">absoluten</hi> Individuum<lb/> aufgeben und uns damit begnügen müssen, die relative Individualität<lb/> der über einander geordneten Pflanzentheile festzustellen. Diese Wahr-<lb/> heit ist denn auch schon lange von hervorragenden Botanikern aner-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0289]
Begriff und Aufgabe der Tectologie.
Molekülen, welche die Materie des Kerns und des Protoplasma zu-
sammensetzen. Diese Moleküle selbst aber sind wieder aus den
chemischen Atomen zusammengesetzt. Somit wären wir denn wieder
bei unserem Ausgangspunkt angelangt, nämlich der Identität von Atom
und Individuum. Freilich ist hiermit, wie schon Alexander Braun
ausgeführt hat, Nichts gewonnen. Denn wir besitzen nicht die Mittel,
die supponirten Moleküle und Atome durch die Beobachtung nachzu-
weisen. Allerdings müssen wir, wenn wir theoretisch dem Wesen des
Zellenlebens auf den Grund kommen wollen, annehmen, dass die
Thätigkeit der Atome und der durch ihre verschiedenartige Gruppirung
gebildeten Moleküle es ist, aus welcher Form und Function der Zelle
resultirt. Aber für die uns vorliegende Frage ist durch die Aner-
kennung der unsichtbaren Atome als Individuen Nichts erreicht. Noch
weniger wird aber dadurch gewonnen, dass man die ganz verschieden-
artigen festen Körper, welche als sogenannter Zelleninhalt in vielen
Zellen sich finden, die Stärke-, Chlorophyll-, Fett-, Pigment-Körner etc.
als Individuen betrachtet. Diese sind jedenfalls am wenigsten be-
rechtigt, eine besondere Individualität in Anspruch zu nehmen. Auch
sind sie unter sich so verschieden, dass kein anderer gemeinsamer
Ausdruck für sie zu finden ist, als: „Geformte Inhaltstheile des Proto-
plasma.“ In sehr vielen Zellen fehlen sie als besondere, erkennbare
Theile völlig.
Werfen wir nun auf die verschiedenen Theile der Pflanze, welche
von den verschiedenen Forschern als die „eigentlichen“ oder absoluten
pflanzlichen Individuen proclamirt worden sind, einen vergleichenden
Rückblick, so sehen wir bald, dass alle diese Theile subordinirte
Stufen eines gegliederten Ganzen sind, dass sie verschiedenen Kate-
gorieen oder Ordnungen angehören, von denen jede einzelne eine
Vielheit von der darauf folgenden untergeordneten Einheit repräsentirt.
Nicht weniger als fünf verschiedene Ordnungen oder über einander
geordnete Kategorieen von pflanzlichen Individuen lassen sich
gemäss den vorstehend angeführten verschiedenen Ansichten bei den
höheren Pflanzen deutlich unterscheiden, nämlich: 1) der Stock (Cor-
mus), 2) der Spross (Gemma), 3) das Stengelglied (Phyton), 4) das
Blatt (ein Organ), 5) die Zelle. Jede dieser Individualitäten reprä-
sentirt, für sich betrachtet, sowohl in Form als in Function eine selbst-
ständige Einheit; jede ist aber zugleich eine Vielheit von der nächst
niederen Kategorie und als solche kein Individuum mehr. Es folgt
hieraus also, dass wir das Suchen nach einem absoluten Individuum
aufgeben und uns damit begnügen müssen, die relative Individualität
der über einander geordneten Pflanzentheile festzustellen. Diese Wahr-
heit ist denn auch schon lange von hervorragenden Botanikern aner-
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