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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Morphologische Individualität der Organismen.
Organismus bezeichnet. Die Zellen sind entweder selbst die ganzen
Organismen (Eier der Pflanzen und Thiere, einzellige Pflanzen etc.),
oder sie sind die Individuen, durch deren Verbindung der ganze Or-
ganismus, als Zellen-Gesellschaft oder Zellen-Staat, sich constituirt.

Es ist diese Auffassung, welche von Schleiden und Schwann
in die Wissenschaft eingeführt wurde, und welche man nach ihnen all-
gemein als "Zellentheorie" bezeichnet, gegenwärtig in der gesammten
Biologie die herrschende Theorie. So richtig dieselbe ohne Zweifel im
Grossen und Ganzen ist, und so sehr wir sie für die grosse Mehrzahl
aller Organismen als die allein berechtigte anerkennen müssen, so ist
es dennoch nicht möglich, sie auf alle Organismen ohne Ausnahme
auszudehnen. Vielmehr kennen wir viele Organismen niedersten
Ranges, z. B. Polythalamien und andere Rhizopoden, Protogeniden,
etc., deren ganzer Körper noch nicht einmal den Werth einer einzi-
gen Zelle besitzt, und einen individuell abgeschlossenen Form-Zustand
der lebenden Materie repräsentirt, den wir durch den Namen der
Cytode 1) oder des zellenähnlichen Körpers bezeichnen wollen.

Um unsere Unterscheidung der Elementar-Organismen in Zellen
und Cytoden zu begründen, ist es nöthig, auf die Geschichte der
Zellentheorie einen flüchtigen Blick zu werfen.

Schleiden, dem das Verdienst gebührt, zuerst auf dem Gebiete der
Pflanzenkunde die Zellentheorie begründet und mit scharfer Consequenz
durchgeführt zu haben, definirt die Pflanzenzelle (cellula), als "das Elemen-
tarorgan, welches vollständig entwickelt eine aus Zellstoff gebildete Wan-
dung nnd eine halbflüssige stickstoffhaltige Auskleidung besitzt, und das
einzige wesentliche Formelement aller Pflanzen bildet, ohne welches eine
Pflanze nicht besteht." Schwann, der Schleidens Zellentheorie auf
die Zusammensetzung des thierischen Körpers anwandte, und nachwies, dass
der thierische Organismus nicht minder als der pflanzliche einzig und allein
aus Zellen und Zellenderivaten, als letzten Elementartheilen, zusammenge-
setzt sei, legte ein grösseres Gewicht auf den Zellenkern (Nucleus) und
wies nach, dass der Kern in den allermeisten thierischen Zellen, und zu
irgend einer Zeit ihres Lebens wahrscheinlich in allen Zellen aufzufinden
sei. Nach Schleidens Auffassung ist demnach die Zelle aus zwei we-
sentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt, ein Bläschen, welches in einer
festen, ringsum geschlossenen Wandung oder Membran einen flüssigen oder
halbflüssigen Inhalt besitzt. Nach Schwann dagegen sind zum Begriffe
der Zelle drei wesentlich verschiedene Bestandtheile nothwendig, Mem-
bran, Inhalt
und Kern. Der letzte Bestandtheil, der Kern, wurde bald
so allgemein in den meisten animalen und vegetabilen Zellen, wenigstens in
einer gewissen frühesten Periode ihrer Existenz nachgewiesen, dass die Trini-

1) kutos, to, cellula, Zelle; kutodes, cellularis, zellenähnlich.

Morphologische Individualität der Organismen.
Organismus bezeichnet. Die Zellen sind entweder selbst die ganzen
Organismen (Eier der Pflanzen und Thiere, einzellige Pflanzen etc.),
oder sie sind die Individuen, durch deren Verbindung der ganze Or-
ganismus, als Zellen-Gesellschaft oder Zellen-Staat, sich constituirt.

Es ist diese Auffassung, welche von Schleiden und Schwann
in die Wissenschaft eingeführt wurde, und welche man nach ihnen all-
gemein als „Zellentheorie“ bezeichnet, gegenwärtig in der gesammten
Biologie die herrschende Theorie. So richtig dieselbe ohne Zweifel im
Grossen und Ganzen ist, und so sehr wir sie für die grosse Mehrzahl
aller Organismen als die allein berechtigte anerkennen müssen, so ist
es dennoch nicht möglich, sie auf alle Organismen ohne Ausnahme
auszudehnen. Vielmehr kennen wir viele Organismen niedersten
Ranges, z. B. Polythalamien und andere Rhizopoden, Protogeniden,
etc., deren ganzer Körper noch nicht einmal den Werth einer einzi-
gen Zelle besitzt, und einen individuell abgeschlossenen Form-Zustand
der lebenden Materie repräsentirt, den wir durch den Namen der
Cytode 1) oder des zellenähnlichen Körpers bezeichnen wollen.

Um unsere Unterscheidung der Elementar-Organismen in Zellen
und Cytoden zu begründen, ist es nöthig, auf die Geschichte der
Zellentheorie einen flüchtigen Blick zu werfen.

Schleiden, dem das Verdienst gebührt, zuerst auf dem Gebiete der
Pflanzenkunde die Zellentheorie begründet und mit scharfer Consequenz
durchgeführt zu haben, definirt die Pflanzenzelle (cellula), als „das Elemen-
tarorgan, welches vollständig entwickelt eine aus Zellstoff gebildete Wan-
dung nnd eine halbflüssige stickstoffhaltige Auskleidung besitzt, und das
einzige wesentliche Formelement aller Pflanzen bildet, ohne welches eine
Pflanze nicht besteht.“ Schwann, der Schleidens Zellentheorie auf
die Zusammensetzung des thierischen Körpers anwandte, und nachwies, dass
der thierische Organismus nicht minder als der pflanzliche einzig und allein
aus Zellen und Zellenderivaten, als letzten Elementartheilen, zusammenge-
setzt sei, legte ein grösseres Gewicht auf den Zellenkern (Nucleus) und
wies nach, dass der Kern in den allermeisten thierischen Zellen, und zu
irgend einer Zeit ihres Lebens wahrscheinlich in allen Zellen aufzufinden
sei. Nach Schleidens Auffassung ist demnach die Zelle aus zwei we-
sentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt, ein Bläschen, welches in einer
festen, ringsum geschlossenen Wandung oder Membran einen flüssigen oder
halbflüssigen Inhalt besitzt. Nach Schwann dagegen sind zum Begriffe
der Zelle drei wesentlich verschiedene Bestandtheile nothwendig, Mem-
bran, Inhalt
und Kern. Der letzte Bestandtheil, der Kern, wurde bald
so allgemein in den meisten animalen und vegetabilen Zellen, wenigstens in
einer gewissen frühesten Periode ihrer Existenz nachgewiesen, dass die Trini-

1) κύτος, τὸ, cellula, Zelle; κυτώδης, cellularis, zellenähnlich.
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[270/0309] Morphologische Individualität der Organismen. Organismus bezeichnet. Die Zellen sind entweder selbst die ganzen Organismen (Eier der Pflanzen und Thiere, einzellige Pflanzen etc.), oder sie sind die Individuen, durch deren Verbindung der ganze Or- ganismus, als Zellen-Gesellschaft oder Zellen-Staat, sich constituirt. Es ist diese Auffassung, welche von Schleiden und Schwann in die Wissenschaft eingeführt wurde, und welche man nach ihnen all- gemein als „Zellentheorie“ bezeichnet, gegenwärtig in der gesammten Biologie die herrschende Theorie. So richtig dieselbe ohne Zweifel im Grossen und Ganzen ist, und so sehr wir sie für die grosse Mehrzahl aller Organismen als die allein berechtigte anerkennen müssen, so ist es dennoch nicht möglich, sie auf alle Organismen ohne Ausnahme auszudehnen. Vielmehr kennen wir viele Organismen niedersten Ranges, z. B. Polythalamien und andere Rhizopoden, Protogeniden, etc., deren ganzer Körper noch nicht einmal den Werth einer einzi- gen Zelle besitzt, und einen individuell abgeschlossenen Form-Zustand der lebenden Materie repräsentirt, den wir durch den Namen der Cytode 1) oder des zellenähnlichen Körpers bezeichnen wollen. Um unsere Unterscheidung der Elementar-Organismen in Zellen und Cytoden zu begründen, ist es nöthig, auf die Geschichte der Zellentheorie einen flüchtigen Blick zu werfen. Schleiden, dem das Verdienst gebührt, zuerst auf dem Gebiete der Pflanzenkunde die Zellentheorie begründet und mit scharfer Consequenz durchgeführt zu haben, definirt die Pflanzenzelle (cellula), als „das Elemen- tarorgan, welches vollständig entwickelt eine aus Zellstoff gebildete Wan- dung nnd eine halbflüssige stickstoffhaltige Auskleidung besitzt, und das einzige wesentliche Formelement aller Pflanzen bildet, ohne welches eine Pflanze nicht besteht.“ Schwann, der Schleidens Zellentheorie auf die Zusammensetzung des thierischen Körpers anwandte, und nachwies, dass der thierische Organismus nicht minder als der pflanzliche einzig und allein aus Zellen und Zellenderivaten, als letzten Elementartheilen, zusammenge- setzt sei, legte ein grösseres Gewicht auf den Zellenkern (Nucleus) und wies nach, dass der Kern in den allermeisten thierischen Zellen, und zu irgend einer Zeit ihres Lebens wahrscheinlich in allen Zellen aufzufinden sei. Nach Schleidens Auffassung ist demnach die Zelle aus zwei we- sentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt, ein Bläschen, welches in einer festen, ringsum geschlossenen Wandung oder Membran einen flüssigen oder halbflüssigen Inhalt besitzt. Nach Schwann dagegen sind zum Begriffe der Zelle drei wesentlich verschiedene Bestandtheile nothwendig, Mem- bran, Inhalt und Kern. Der letzte Bestandtheil, der Kern, wurde bald so allgemein in den meisten animalen und vegetabilen Zellen, wenigstens in einer gewissen frühesten Periode ihrer Existenz nachgewiesen, dass die Trini- 1) κύτος, τὸ, cellula, Zelle; κυτώδης, cellularis, zellenähnlich.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/309>, abgerufen am 25.11.2024.