II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.
werden lässt. Plasma und Kern sind mindestens in vielen Fällen doch wohl als wesentlich heterogene Plastiden-Theile zu betrachten und dem Kern vorzugsweise (wenn auch nicht allein) die Fortpflan- zung und damit die Vererbung der erblichen Eigenschaften der Zelle, dem Plasma dagegen vorzugsweise die Ernährung und damit zugleich die Anpassung derselben an die Umgebung, zuzuschreiben.
II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe oder Werkstücke.
II. 1. Morphologischer Begriff des Organes.
Die physiologische Individualität des Organismus bleibt bei zahl- reichen niederen Organismen, sehr vielen Protisten, den einzelligen Pflanzen, und den einzelligen Stammformen der Thiere auf die morpho- logische Individualität erster Ordnung, auf die Plastide beschränkt, ohne sich jemals auf eine höhere Stufe zu erheben. Sobald in diesen Fällen eine Vermehrung der Plastiden durch Theilung eintritt, ist da- mit zugleich eine Vermehrung der physiologischen Individuen gegeben, die als selbstständige Lebenseinheiten eine unabhängige Existenz führen.
Bei der grossen Mehrzahl derjenigen Lebewesen, welche gegen- wärtig die Erde bevölkern, erhebt sich die physiologische Individuali- tät über den Rang der einfachen Plastiden, der Form-Individuen er- ster Ordnung, indem mehrere Plastiden zu einem geselligen Verbande zusammentreten, der nun als eine höhere physiologische Einheit in das Leben tritt. Es entstehen dadurch die verschiedenen morphologi- schen Individuen höherer Ordnung, welche wir oben als Organe, Anti- meren, Metameren, Personen und Stöcke unterschieden haben.
Die wesentlichsten und obersten Gesetze, welche diese Vereini- gung der einfachen Form-Individuen erster Ordnung zu zusammenge- setzten leiten, sind die Gesetze der Aggregation oder Gemeinde- bildung und der Differenzirung oder Arbeitstheilung. Zunächst tritt eine Mehrzahl von gleichartigen Plastiden zu einer einfachen, aus homogenen Elementen bestehenden Gesellschaft zusammen. Die Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die physiologische Vervollkommnung, welche diese Gemeinde von gleichartigen Plastiden als höhere Einheit auszeichnet, besteht zunächst bloss in einem quantitativen Zuwachs der Kräfte. Mehrere gleiche Individuen vereinigt vermögen mehr Kraft zu entwickeln, als ein einziges allein. Allmählig aber geht aus dieser quantitativen Vervollkommnung durch Aggregation die viel wichtigere qualitative Vervollkommnung durch Differenzirung hervor. Es treten nämlich zunächst sehr geringe, bald aber be-
Haeckel, Generelle Morphologie. 19
II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.
werden lässt. Plasma und Kern sind mindestens in vielen Fällen doch wohl als wesentlich heterogene Plastiden-Theile zu betrachten und dem Kern vorzugsweise (wenn auch nicht allein) die Fortpflan- zung und damit die Vererbung der erblichen Eigenschaften der Zelle, dem Plasma dagegen vorzugsweise die Ernährung und damit zugleich die Anpassung derselben an die Umgebung, zuzuschreiben.
II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe oder Werkstücke.
II. 1. Morphologischer Begriff des Organes.
Die physiologische Individualität des Organismus bleibt bei zahl- reichen niederen Organismen, sehr vielen Protisten, den einzelligen Pflanzen, und den einzelligen Stammformen der Thiere auf die morpho- logische Individualität erster Ordnung, auf die Plastide beschränkt, ohne sich jemals auf eine höhere Stufe zu erheben. Sobald in diesen Fällen eine Vermehrung der Plastiden durch Theilung eintritt, ist da- mit zugleich eine Vermehrung der physiologischen Individuen gegeben, die als selbstständige Lebenseinheiten eine unabhängige Existenz führen.
Bei der grossen Mehrzahl derjenigen Lebewesen, welche gegen- wärtig die Erde bevölkern, erhebt sich die physiologische Individuali- tät über den Rang der einfachen Plastiden, der Form-Individuen er- ster Ordnung, indem mehrere Plastiden zu einem geselligen Verbande zusammentreten, der nun als eine höhere physiologische Einheit in das Leben tritt. Es entstehen dadurch die verschiedenen morphologi- schen Individuen höherer Ordnung, welche wir oben als Organe, Anti- meren, Metameren, Personen und Stöcke unterschieden haben.
Die wesentlichsten und obersten Gesetze, welche diese Vereini- gung der einfachen Form-Individuen erster Ordnung zu zusammenge- setzten leiten, sind die Gesetze der Aggregation oder Gemeinde- bildung und der Differenzirung oder Arbeitstheilung. Zunächst tritt eine Mehrzahl von gleichartigen Plastiden zu einer einfachen, aus homogenen Elementen bestehenden Gesellschaft zusammen. Die Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die physiologische Vervollkommnung, welche diese Gemeinde von gleichartigen Plastiden als höhere Einheit auszeichnet, besteht zunächst bloss in einem quantitativen Zuwachs der Kräfte. Mehrere gleiche Individuen vereinigt vermögen mehr Kraft zu entwickeln, als ein einziges allein. Allmählig aber geht aus dieser quantitativen Vervollkommnung durch Aggregation die viel wichtigere qualitative Vervollkommnung durch Differenzirung hervor. Es treten nämlich zunächst sehr geringe, bald aber be-
Haeckel, Generelle Morphologie. 19
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II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.
werden lässt. Plasma und Kern sind mindestens in vielen Fällen
doch wohl als wesentlich heterogene Plastiden-Theile zu betrachten
und dem Kern vorzugsweise (wenn auch nicht allein) die Fortpflan-
zung und damit die Vererbung der erblichen Eigenschaften der Zelle,
dem Plasma dagegen vorzugsweise die Ernährung und damit zugleich
die Anpassung derselben an die Umgebung, zuzuschreiben.
II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung:
Organe oder Werkstücke.
II. 1. Morphologischer Begriff des Organes.
Die physiologische Individualität des Organismus bleibt bei zahl-
reichen niederen Organismen, sehr vielen Protisten, den einzelligen
Pflanzen, und den einzelligen Stammformen der Thiere auf die morpho-
logische Individualität erster Ordnung, auf die Plastide beschränkt,
ohne sich jemals auf eine höhere Stufe zu erheben. Sobald in diesen
Fällen eine Vermehrung der Plastiden durch Theilung eintritt, ist da-
mit zugleich eine Vermehrung der physiologischen Individuen gegeben,
die als selbstständige Lebenseinheiten eine unabhängige Existenz
führen.
Bei der grossen Mehrzahl derjenigen Lebewesen, welche gegen-
wärtig die Erde bevölkern, erhebt sich die physiologische Individuali-
tät über den Rang der einfachen Plastiden, der Form-Individuen er-
ster Ordnung, indem mehrere Plastiden zu einem geselligen Verbande
zusammentreten, der nun als eine höhere physiologische Einheit in
das Leben tritt. Es entstehen dadurch die verschiedenen morphologi-
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meren, Metameren, Personen und Stöcke unterschieden haben.
Die wesentlichsten und obersten Gesetze, welche diese Vereini-
gung der einfachen Form-Individuen erster Ordnung zu zusammenge-
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bildung und der Differenzirung oder Arbeitstheilung. Zunächst
tritt eine Mehrzahl von gleichartigen Plastiden zu einer einfachen,
aus homogenen Elementen bestehenden Gesellschaft zusammen. Die
Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die physiologische Vervollkommnung,
welche diese Gemeinde von gleichartigen Plastiden als höhere Einheit
auszeichnet, besteht zunächst bloss in einem quantitativen Zuwachs
der Kräfte. Mehrere gleiche Individuen vereinigt vermögen mehr
Kraft zu entwickeln, als ein einziges allein. Allmählig aber geht aus
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/328>, abgerufen am 25.11.2024.
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